Rechtsfolge der Aufrechnung – Rückwirkung

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Händler H kauft von Schreiner S Tische für €10.000. Da H knapp bei Kasse ist, einigen sie sich, den Kaufpreis zu stunden. Während der Stundung muss H 5% Zinsen zahlen. Nach drei Monaten fällt H ein, dass ihm noch ein fünf Monate „alter“, fälliger Anspruch auch i.H.v. €10.000 gegen S zusteht.

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Einordnung des Falls

Rechtsfolge der Aufrechnung – Rückwirkung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. H steht ein Zahlungsanspruch gegen S i.H.v. €10.000 zu . Kann H mit diesem gegen den Kaufpreisanspruch des S aufrechnen?

Ja!

Die Aufrechnung setzt eine Aufrechnungslage (§§ 387, 390 BGB) und eine Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) voraus. Zudem darf die Aufrechnung nicht ausgeschlossen sein (§§ 392-394 BGB). H und S stehen gegenseitig Geldforderungen zu. Hs Forderung ist sofort (§ 271 Abs. 1 BGB) fällig und einredefrei. S‘ Forderung ist wirksam und erfüllbar. H hat nur noch die Aufrechnung zu erklären.
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2. H möchte die gezahlten Zinsen von S zurück. Als Anspruchsgrundlage kommt § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (Leistungskondiktion) in Betracht.

Genau, so ist das!

Voraussetzung der Leistungskondiktion ist, dass jemand etwas durch Leistung und ohne Rechtsgrund erlangt hat. Unproblematisch hat S die Zinszahlungen (etwas) durch Leistung – also eine bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens – erlangt. Problematisch ist, ob S diese ohne Rechtsgrund erlangt hat.

3. Die Aufrechnung beseitigt die Forderung des S nur für die Zukunft, sodass ein Rechtsgrund für die gezahlten Zinsen bestand (§ 389 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

§ 389 BGB bestimmt, dass die aufgerechneten Forderungen ab dem Zeitpunkt als erloschen gelten, ab dem das erste Mal eine Aufrechnungslage vorlag. Die Aufrechnung wirkt also ex tunc (von Anfang an).Hs Forderung bestand bereits und war auch fällig, als H von S die Tische kaufte. Damit lag zu diesem Zeitpunkt bereits eine Aufrechnungslage vor.

4. Die Zinszahlungen sind „ohne Rechtsgrund“ i.S.d. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (Leistungskondiktion) erfolgt.

Ja!

Voraussetzung der Leistungskondiktion ist, dass jemand (1) etwas (2) durch Leistung und (3) ohne Rechtsgrund erlangt hat.Zwischen H und S besteht ein Kaufvertrag inklusive Stundungsvereinbarung, welche den Rechtsgrund für die Zinszahlungen darstellt. Allerdings wirkt die von H erklärte Aufrechnung zurück (§ 389 BGB). Die Rückwirkung reicht bis zu dem Zeitpunkt, an dem das erste Mal eine Aufrechnungslage vorlag. Die Aufrechnungslage bestand mit Begründung der Kaufpreisforderung gegen H. Mit der Aufrechnung gilt Hs Schuld also rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Aufrechnungslage als beglichen. Zum selben Zeitpunkt fällt der Rechtsgrund weg. Die Zinszahlungen erfolgten damit ohne Rechtsgrund. H steht ein Anspruch auf Rückzahlung der Zinsen aus Leistungskondiktion zu.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SN

Sniter

30.10.2023, 09:50:59

Liebes Jurafuchsteam, es macht wsl im Fall der Aufrechnung auch Sinn, zu streiten, ob die Rückforderung auf die

condictio indebiti

i oder die

condictio ob causam finitam

fällt. Sowohl Anfechtung als auch Aufrechnung werden im Nachhinein erklärt (das könnte für

condictio ob causam finitam

sprechen), wirken aber ex tunc (das könnte für

condictio indebiti

i sprechen).

PH

Phil

23.12.2023, 15:30:33

Bei der ersten Frage müsste S gegen H einen Anspruch auf 10.000€ haben und nicht umgekehrt.

LELEE

Leo Lee

24.12.2023, 18:35:31

Hallo Phil, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat könnte die erste Aufgabe etwas falsch verstanden werden. Jedoch bezogen sich die 10.000 auf den Anspruch des H, den er gegen S hat (Ende des Sachverhalts). Damit keine Missverständnisse entstehen, haben wir nun im Sachverhalt erwähnt, dass der H gegen den S einen alten Anspruch auf ebenfalls i.H.v. 10.000 Euro besitzt :). Besinnliche Feiertage und einen guten Rutsch wünscht dir das Jurafuchsteam!

WO

Wolli

26.1.2024, 09:11:48

Bewirkt hier die Stundung inkl. Zinspflicht nicht, dass die Hauptforderung noch nicht erfüllbar ist? Die Zweifelsregel aus 271 II dürfte wg. der Zinszahlungen doch gerade nicht gelten oder? Oder ist die Stundung ein reines Entgegenkommen des Gläubigers, bei der der Schuldner grds. trotzdem weiterhin voll erfüllen darf?

LELEE

Leo Lee

27.1.2024, 18:13:43

Hallo Wolli, vielen Dank für diese sehr gute Frage! In der Tat könnte man auf den ersten Blick meinen, dass wegen der Stundung auch die Erfüllbarkeit „ausgesetzt“ sei für den bestimmten Zeitraum. Beachte allerdings, dass die Stundung die FÄLLIGKEIT (also wenn der Gläubiger fordern darf und Schuldner leisten muss) betrifft und die Erfüllbarkeit (wenn der Schuldner leisten kann und der Gläubiger annehmen muss) bestehen lässt! Somit bewirkt die Stundung, dass die Fälligkeit bei BESTEHEN bleibender Erfüllbarkeit hinausgeschoben wird. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Krüger § 271 Rn. 22 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Steinfan

Steinfan

29.4.2024, 15:20:49

Hallo, ich glaube der Gedanke von @[Wolli](208773) ist eher, dass bei befristeten entgeltlichen Darlehen normalerweise die Erfüllbarkeit des Rückzahlungsanspruchs fehlt, da der Darlehensgeber ein Interesse an der Zahlung der Zinsen hat. Dürfte der Darlehensnehmer früher erfüllen, würde auch der Anspruch auf künftige Zinszahlungen entfallen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass Erfüllbarkeit hier - wie von Wolli angedeutet - entgegen dem vorstehenden vorliegt, da der Schuldner hier ja durch die Zinsen primär zur Zahlung motiviert werden soll. Es geht dem „Darlehensgeber“ hier weniger darum, eine zusätzliche Einnahmequelle zu schaffen. Nicht nur darf der „Darlehensnehmer“ hier erfüllen, er soll dass vielmehr so schnell wie möglich. LG


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