Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Objektive Zurechnung

HIV-Infektion – eigenverantwortliche Selbstschädigung

HIV-Infektion – eigenverantwortliche Selbstschädigung

24. Oktober 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Die 17-jährige verantwortungsreife O weiß von der HIV-Infektion ihres Freundes T und ist sich der Ansteckungsmöglichkeit bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr bewusst. Dennoch drängt O den T zu ungeschütztem Verkehr. Nach kurzer Zeit wird auch bei O der Aids-Erreger festgestellt.

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Einordnung des Falls

HIV-Infektion (BayObLG NJW 1990, 131 - eigenverantwortliche Selbstschädigung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da O trotz Ts HIV-Infektion mit ihm ungeschützt Geschlechtsverkehr haben möchte, liegt eine Selbstgefährdung vor.

Genau, so ist das!

Eine die objektive Zurechnung ausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers ist von der einverständlichen Fremdgefährdung abzugrenzen. Das Opfer gefährdet sich selbst, wenn es selbstgefährdende Handlungen vornimmt oder sich in eine schon bestehende Gefahr hineinbegibt und die Tatherrschaft nicht allein bei dem "Täter" liegt.Bei dem einverständlich vorgenommenen Geschlechtsverkehr beherrschten beide das Geschehen gemeinsam. Insbesondere hatte O ebenso Kenntnis wie T von der Infektion. Somit lag keine alleinige Tatherrschaft des T vor.
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2. O hat eigenverantwortlich gehandelt.

Ja!

Eigenverantwortlich handelt, wer nach seinen geistigen Fähigkeiten und sittlichen Reife im konkreten Fall in der Lage war, die Bedeutung der Handlung und ihrer möglichen Folgen zu erkennen und zu bewerten, insbesondere den Wert des gefährdeten Rechtsguts und die sittliche Bedeutung des Vorgangs zutreffend einzuschätzen.Zwar war O noch minderjährig. Sie besaß indes die notwendige Verantwortungsreife im Hinblick auf das Risiko, das sie durch den ungeschützten Geschlechtsverkehr einging.

3. T ist die HIV-Infizierung der O objektiv zuzurechnen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn durch das Verhalten des Täters (1) eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen worden ist, die (2) sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert. Die Zurechnung entfällt im Falle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers. O hatte ebenso Kenntnis wie T. Bei dem einverständlich vorgenommenen Geschlechtsverkehr beherrschten beide das Geschehen gemeinsam. Zudem war O verantwortungsreif. Somit lag eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, die die objektive Zurechnung ausschließt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

19.4.2020, 18:05:59

Würde sich etwas anderes ergeben, wenn der T volljährig wäre?

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

19.4.2020, 21:00:15

Hi, danke für die Frage! Das Alter des T spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. In der Prüfung befindet man sich nach der Kausalität und fragt, ob hier eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen wurde (objektive Zurechenbarkeit). Dies ist dann nicht der Fall, wenn das Opfer (hier O) als Dritter die Gefahr freiverantwortlich übernimmt. Irrtümer können in diesem Zusammenhang die Freiverantwortlichkeit ausschließen - hier gibt es einen Theoriestreit zwischen der Rechtsguts- und Schuldlösung bzw. der Einwilligungslösung. Man könnte sicher auch darüber nachdenken, ob die Freiverantwortlichkeit bei mangelnder Einsichtsfähigkeit aufgrund zu geringen Alters auszuschließen wäre (wobei mir dazu kein konkreter Fall aus der Rechtsprechung bekannt ist).

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

19.4.2020, 21:00:19

Viele Grüße Für das Jurafuchs-Team - Stefan

Isabell

Isabell

28.10.2020, 09:41:36

Danke für die ausführliche Antwort! Sonnige Grüße

DEPA

Der Paragraf

19.12.2021, 20:09:40

Zwei Anmerkungen: 1) Die Tatherrschaft liegt hier nicht allein bei O, sondern eben bei beiden gemeinsam. Demzufolge kann bei strikter Subsumtion unter den genannten Maßstab keine Selbstgefährdung, sondern nur eine ggf.

einverständliche Fremdgefährdung

vorliegen. 2) Der Maßstab ist aber auch unscharf. Denn er vermischt das Merkmal der Eigenverantwortlichkeit mit dem Merkmal der Selbstgefährdung. Die (alleinige) Tatherrschaft entscheidet nur über letztere, während sich die Eigenverantwortlichkeit nach Einwilligungs-, bzw. Exkulpationsregeln beurteilt (str.).

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.12.2021, 10:09:45

Vielen Dank für Deine Anmerkung. Wir haben die Aufgabe noch einmal präzisiert und hierbei insbesondere den Maßstab überarbeitet und nun kleinschrittiger nach Selbstgefährdung und Eigenverantwortlichkeit gefragt. Schau es Dir gerne noch einmal an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DEPA

Der Paragraf

20.12.2021, 14:47:57

Super, vielen Dank! :)

lennart20

lennart20

27.2.2023, 12:49:42

Hier sollte mE nach stärker auf die Tatherrschaft hingewiesen werden und auch, dass die Eigenverantwortlichkeit umstritten ist und demnach auf die Einwilligungslehre und die

Exkulpationslösung

angesprochen werden sollte

AS

as.mzkw

28.8.2024, 10:19:10

Im Titel heißt es unter der Kategorie „Probleme“: „Wie grenzt man die Teilnahme an einer Selbstgefährdung von einer eigenverantwortlichen Fremdgefährdung ab?“ Richtig ist: „Wie grenzt man die Teilnahme an einer Selbstgefährdung von einer einverständlichen Fremdgefährdung ab?“

Eigenverantwortliche Selbstgefährdung

einerseits und

einverständliche Fremdgefährdung

andererseits schließen sich ja gerade aus.

QUIG

QuiGonTim

15.10.2024, 15:18:07

Wie verhalten sich die Eigenverantwortlichkeit und die Voraussetzungen der rechtfertigenden Einwilligung zueinander? Gibt es Ähnlichkeiten? Müsste die Eigenverantwortlichkeit nicht deutlich enger gefasst sein, um der rechtfertigenden Einwilligungen überhaupt noch einen Anwendungsbereich zu lassen?


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