Autorennen – einverständliche Fremdgefährdung


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Klassisches Klausurproblem

T nimmt als Fahrer an einem illegalen Autorennen am Bodensee teil. O steigt in Kenntnis dieses Wettkampfes als Beifahrerin ein. Bei einem hochriskanten Überholmanöver des T prallt der umgebaute VW Golf mit tödlichen Folgen für O gegen einen Baum.

Einordnung des Falls

Autorennen (BGHSt 53, 55 – einverständliche Fremdgefährdung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da O sich eigenverantwortlich selbst gefährdet hat, ist der Erfolg dem T nicht objektiv zuzurechnen.

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Nein, das trifft nicht zu!

Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn durch das Verhalten des Täters (1) eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen worden ist, die (2) sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert. Eine die Zurechnung ausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers ist von der einverständlichen Fremdgefährdung abzugrenzen. Das Opfer gefährdet sich selbst, wenn es selbstgefährdende Handlungen vornimmt oder sich in eine schon bestehende Gefahr hineinbegibt und die Tatherrschaft nicht allein bei dem "Täter" liegt.Hier lag die Herrschaft über das Geschehen unmittelbar vor sowie ab Beginn des Überholvorgangs allein bei T als Fahrzeugführer. O als Beifahrerin war ohne die Möglichkeit, ihre Gefährdung durch eigene Handlungen abzuwenden, lediglich den Wirkungen des Fahrverhaltens des T ausgesetzt.

2. Der Strafbarkeit des T wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) steht die rechtfertigende Einwilligung der O entgegen.

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Nein!

Der rechtfertigenden Einwilligung in das Risiko des eigenen Todes scheidet aus, wenn die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten wird. Dies ergibt sich aus dem Zweck des § 228 StGB und der Wertung des § 216 StGB. Die Grenze zur Sittenwidrigkeit wird in den Fällen der §§ 222, 229 StGB dann überschritten, wenn unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Verletzung eine konkrete Todesgefahr vorliegt.Durch das hochriskante Überholmanöver war hier für O eine konkrete Todesgefahr gegeben. T ist strafbar wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB).

3. Die Tötung oder Verletzung eines anderen Menschen ist stets gerechtfertigt, wenn dieser in diese einwilligt.

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Nein!

Der rechtfertigenden Einwilligung in eine Tötung oder Körperverletzung sind Schranken gesetzt, da das Gesetz ein Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolgt. Dies ergibt sich aus dem Zweck des § 228 StGB und der Wertung des § 216 StGB. Die Grenze zur Sittenwidrigkeit wird in den Fällen der §§ 222, 229 StGB dann überschritten, wenn unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Verletzung eine konkrete Todesgefahr vorliegt.

4. Es ist aber stets zulässig, in das bloße Risiko des eigenen Todes einzuwilligen.

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Nein, das ist nicht der Fall!

In Fällen, in denen das spätere Opfer in das Risiko des eigenen Todes eingewilligt und sich dieses anschließend - im Rahmen des von der Einwilligung "gedeckten" Geschehensablaufs - verwirklicht hat, legt der Bundesgerichtshof die gleichen Maßstäbe wie bei der Einwilligung in die vorsätzliche Körperverletzung an. Eine Einwilligung ist insofern jedenfalls dann unzulässig, wenn die Schwelle zur Sittenwidrigkeit überschritten ist.

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Elijah

Elijah

29.3.2020, 17:54:54

Es liegt doch nah, dass bei einem Autorennen lebensgefährliches passieren kann. Genauso, dass man als Beifahrer nichts ausrichten kann. Trotzdem ist O eingestiegen, in Kenntnis des Rennens. Wieso gilt das nicht als Selbstgefährdung?

Marilena

Marilena

29.3.2020, 21:14:41

Ja da stimme ich Dir an sich zu. Für die Frage, wer die Gefährdungsherrschaft innehatte, ist aber das unmittelbar zum Erfolgseintritt führende Geschehen maßgeblich. Also nicht das Einsteigen ins Auto, sondern das Geschehen unmittelbar vor sowie ab Beginn des Überholvorgangs. Hierbei hatte ausschließlich der Fahrzeugführer die Herrschaft. Beifahrer waren in diesem Zeitraum dagegen – ohne die Möglichkeit, ihre Gefährdung durch eigene Handlungen abzuwenden – lediglich den Wirkungen des Fahrverhaltens der Fahrer ausgesetzt.

Elijah

Elijah

29.3.2020, 21:17:24

Ah okay, danke! 😊

lennart20

lennart20

21.4.2023, 11:46:23

Wie genau gelingt eine Angrenzung von der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung zur rechtfertigenden Einwilligung?

JCF

JCF

1.5.2023, 15:16:29

Man schaut auf die Tatherrschaft: Liegt die Tatherrschaft beim "Opfer", handelt es sich i.d.R. um eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung, sodass bereits der objektive Tatbestand entfällt. Liegt die Tatherrschaft bei einem Dritten, so kann dieser gerechtfertigt sein, wenn das "Opfer" eine wirksame Einwilligung abgegeben hat.

DIAA

Diaa

27.6.2023, 17:29:36

Irgendwie ist das Ergebnis widersprüchlich. Im vorigen HIV-Fall wurde eine Selbstgefährdung bejaht, doch hier wird eine solche mit dem Arg. abgelehnt, dass der T die alleinige Tatherrschaft über das Überholmanöver besitzt. Doch ich frage mich, wieso hier "der Einstieg ins Auto trotz Kenntnis vom Wettkampfes" nicht als eigene Selbstgefährdung betrachtet wird. Jedem ist bewusst, dass ein, insbesondere illegales, Autorennen gefährliche und in den meisten Fällen tödlich Folgen hat. Vielen Danke für eure Mühe, liebes Fuchs-Team!

DIAA

Diaa

27.6.2023, 17:30:54

tödliche ***

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.7.2023, 09:56:29

Hallo Diaa, ich verstehe, dass das widersprüchlich erscheint. Wichtig ist aber im Kopf zu behalten, dass es nicht allein auf die Kenntnis von der Gefährdung, sondern auch auf die Tatherrschaft über die letzte Handlung ankommt. Das Opfer gefährdet sich selbst, wenn es selbstgefährdende Handlungen vornimmt oder sich in eine schon bestehende Gefahr hineinbegibt und die Tatherrschaft nicht allein bei dem "Täter" liegt. Bei dem einverständlich vorgenommenen Geschlechtsverkehr aus dem von dir angesprochenen Fall beherrschten beide das Geschehen gemeinsam. Zudem hatte O ebenso Kenntnis wie T von der Infektion. Somit lag keine alleinige Tatherrschaft des T vor. In dem Autorennenfall hatte O zwar auch Kenntnis von dem Rennen, allerdings hatte er keinen Einfluss auf die Fahrweise und Steuerung des Autos. Die Tatherrschaft "über den letzten Akt" lag ganz allein bei T. Somit scheidet eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung aus. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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