Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Objektive Zurechnung

Autorennen – einverständliche Fremdgefährdung

Autorennen – einverständliche Fremdgefährdung

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

T nimmt als Fahrer an einem illegalen Autorennen am Bodensee teil. O steigt in Kenntnis dieses Wettkampfes als Beifahrerin ein. Bei einem hochriskanten Überholmanöver des T prallt der umgebaute VW Golf mit tödlichen Folgen für O gegen einen Baum.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Autorennen (BGHSt 53, 55 – einverständliche Fremdgefährdung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da O sich eigenverantwortlich selbst gefährdet hat, ist der Erfolg dem T nicht objektiv zuzurechnen.

Nein, das trifft nicht zu!

Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn durch das Verhalten des Täters (1) eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen worden ist, die (2) sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert. Eine die Zurechnung ausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers ist von der einverständlichen Fremdgefährdung abzugrenzen. Das Opfer gefährdet sich selbst, wenn es selbstgefährdende Handlungen vornimmt oder sich in eine schon bestehende Gefahr hineinbegibt und die Tatherrschaft nicht allein bei dem "Täter" liegt.Hier lag die Herrschaft über das Geschehen unmittelbar vor sowie ab Beginn des Überholvorgangs allein bei T als Fahrzeugführer. O als Beifahrerin war ohne die Möglichkeit, ihre Gefährdung durch eigene Handlungen abzuwenden, lediglich den Wirkungen des Fahrverhaltens des T ausgesetzt.
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2. Der Strafbarkeit des T wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) steht die rechtfertigende Einwilligung der O entgegen.

Nein!

Der rechtfertigenden Einwilligung in das Risiko des eigenen Todes scheidet aus, wenn die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten wird. Dies ergibt sich aus dem Zweck des § 228 StGB und der Wertung des § 216 StGB. Die Grenze zur Sittenwidrigkeit wird in den Fällen der §§ 222, 229 StGB dann überschritten, wenn unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Verletzung eine konkrete Todesgefahr vorliegt.Durch das hochriskante Überholmanöver war hier für O eine konkrete Todesgefahr gegeben. T ist strafbar wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB).

3. Die Tötung oder Verletzung eines anderen Menschen ist stets gerechtfertigt, wenn dieser in diese einwilligt.

Nein!

Der rechtfertigenden Einwilligung in eine Tötung oder Körperverletzung sind Schranken gesetzt, da das Gesetz ein Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolgt. Dies ergibt sich aus dem Zweck des § 228 StGB und der Wertung des § 216 StGB. Die Grenze zur Sittenwidrigkeit wird in den Fällen der §§ 222, 229 StGB dann überschritten, wenn unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Verletzung eine konkrete Todesgefahr vorliegt.

4. Es ist aber stets zulässig, in das bloße Risiko des eigenen Todes einzuwilligen.

Nein, das ist nicht der Fall!

In Fällen, in denen das spätere Opfer in das Risiko des eigenen Todes eingewilligt und sich dieses anschließend - im Rahmen des von der Einwilligung "gedeckten" Geschehensablaufs - verwirklicht hat, legt der Bundesgerichtshof die gleichen Maßstäbe wie bei der Einwilligung in die vorsätzliche Körperverletzung an. Eine Einwilligung ist insofern jedenfalls dann unzulässig, wenn die Schwelle zur Sittenwidrigkeit überschritten ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Elijah

Elijah

29.3.2020, 17:54:54

Es liegt doch nah, dass bei einem Autorennen lebensgefährliches passieren kann. Genauso, dass man als Beifahrer nichts ausrichten kann. Trotzdem ist O eingestiegen, in Kenntnis des Rennens. Wieso gilt das nicht als Selbstgefährdung?

Marilena

Marilena

29.3.2020, 21:14:41

Ja da stimme ich Dir an sich zu. Für die Frage, wer die Gefährdungsherrschaft innehatte, ist aber das unmittelbar zum Erfolgseintritt führende Geschehen maßgeblich. Also nicht das Einsteigen ins Auto, sondern das Geschehen unmittelbar vor sowie ab Beginn des Überholvorgangs. Hierbei hatte ausschließlich der Fahrzeugführer die Herrschaft. Beifahrer waren in diesem Zeitraum dagegen – ohne die Möglichkeit, ihre Gefährdung durch eigene Handlungen abzuwenden – lediglich den Wirkungen des Fahrverhaltens der Fahrer ausgesetzt.

Elijah

Elijah

29.3.2020, 21:17:24

Ah okay, danke! 😊

lennart20

lennart20

21.4.2023, 11:46:23

Wie genau gelingt eine Angrenzung von der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung zur rechtfertigenden Einwilligung?

JCF

JCF

1.5.2023, 15:16:29

Man schaut auf die Tatherrschaft: Liegt die Tatherrschaft beim "Opfer", handelt es sich i.d.R. um eine

eigenverantwortliche Selbstgefährdung

, sodass bereits der objektive Tatbestand entfällt. Liegt die Tatherrschaft bei einem Dritten, so kann dieser gerechtfertigt sein, wenn das "Opfer" eine wirksame Einwilligung abgegeben hat.

DIAA

Diaa

27.6.2023, 17:29:36

Irgendwie ist das Ergebnis widersprüchlich. Im vorigen HIV-Fall wurde eine Selbstgefährdung bejaht, doch hier wird eine solche mit dem Arg. abgelehnt, dass der T die alleinige Tatherrschaft über das Überholmanöver besitzt. Doch ich frage mich, wieso hier "der Einstieg ins Auto trotz Kenntnis vom Wettkampfes" nicht als eigene Selbstgefährdung betrachtet wird. Jedem ist bewusst, dass ein, insbesondere illegales, Autorennen gefährliche und in den meisten Fällen tödlich Folgen hat. Vielen Danke für eure Mühe, liebes Fuchs-Team!

DIAA

Diaa

27.6.2023, 17:30:54

tödliche ***

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.7.2023, 09:56:29

Hallo Diaa, ich verstehe, dass das widersprüchlich erscheint. Wichtig ist aber im Kopf zu behalten, dass es nicht allein auf die Kenntnis von der Gefährdung, sondern auch auf die Tatherrschaft über die letzte Handlung ankommt. Das Opfer gefährdet sich selbst, wenn es selbstgefährdende Handlungen vornimmt oder sich in eine schon bestehende Gefahr hineinbegibt und die Tatherrschaft nicht allein bei dem "Täter" liegt. Bei dem einverständlich vorgenommenen Geschlechtsverkehr aus dem von dir angesprochenen Fall beherrschten beide das Geschehen gemeinsam. Zudem hatte O ebenso Kenntnis wie T von der Infektion. Somit lag keine alleinige Tatherrschaft des T vor. In dem Autorennenfall hatte O zwar auch Kenntnis von dem Rennen, allerdings hatte er keinen Einfluss auf die Fahrweise und Steuerung des Autos. Die Tatherrschaft "über den letzten Akt" lag ganz allein bei T. Somit scheidet eine

eigenverantwortliche Selbstgefährdung

aus. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

CL@

cl@ra

15.9.2024, 17:51:01

Verstehe ich das richtig, dass man zum einen bei der objektiven Zurechnung prüft, ob diese nicht vorliegt, weil das Verhalten des Opfers ein die

objektive Zurechnung

ausschließendes Dazwischentreten sein könnte? Und anschließend - wenn die

objektive Zurechnung

zu bejahen ist, weil keine

eigenverantwortliche Selbstgefährdung

des Opfers vorliegt - im Rahmen der Rechtswidrigkeit prüft, ob eine rechtfertigende Einwilligung vorliegt? Wie würde die Rspr. das hier machen? Die Rpsr. prüft Fragen zur objektiven Zurechnung doch im Rahmen des

Vorsatz

es. Mir fällt es weiterhin schwer zu verstehen, warum die Rspr. die Fragen innerhalb des subj. TB klärt und wie sie die Prüfung im Rahmen des

Vorsatz

es einleitet.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

19.9.2024, 17:31:19

Hey @[cl@ra](168733), danke für deine Nachfrage. Die „

eigenverantwortliche Selbstgefährdung

“ ist eine Art Fallgruppe, die du im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit des Erfolgs unter dem Gesichtspunkt des „Schutzzwecks der Norm“ ansprechen kannst. Dahinter steckt das Eigenverantwortlichkeitsprinzip: Wer eine eigenverantwortliche Selbstschädigung oder Gefährdung eines anderen fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann nicht allein aus diesem Grund einer fahrlässigen Tötung oder Körperverletzung schuldig sein, wenn sich dieses Risiko verwirklicht. Der Wegfall der Strafbarkeit unter dem Aspekt der Eigentverantwortlichkeit kommt aber dann nicht in Betracht, wenn das entsprechende Strafgesetz gerade vor solchen Selbstgefährdungen schützen soll. Dies ist aber bei §§ 222,

229 StGB

nicht der Fall. Siehe hierzu z.B. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 50.A. 2020, RdNr. 1133; Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 15, RdNr. 163ff. Führe dir vor Augen, was das Kriterium der objektiven Zurechnung regeln soll: Es ist eine normative Korrektur zur schlichten Kausalität. Nur, weil das Verhalten des Täters kausal für einen Erfolg war, muss das Verhalten dem Täter dennoch nicht zwingend strafrechtlich vorwerfbar sein. Hier werden Wertungen getroffen. Wenn jemand eigenverantwortlich sagt: Hey, ich will mich selbst gefährden und diese Gefahr tritt dann tatsächlich ein, dann hat die Person sich quasi selbst fahrlässig geschädigt. Die fahrlässige Mitgefährdung durch den Täter tritt dahinter zurück. (Bitte so nicht in der Klausur schreiben, ich wollte es nur einmal mit anderen Worten erklären ;)) Bei einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung besteht also bereits tatbestandlich keine Strafbarkeit. Eine die

objektive Zurechnung

ausschließende

eigenverantwortliche Selbstgefährdung

des Opfers ist von der einverständlichen Fremdgefährdung abzugrenzen. Das Opfer gefährdet sich selbst, wenn es selbstgefährdende Handlungen vornimmt oder sich in eine schon bestehende Gefahr hineinbegibt und die Tatherrschaft nicht allein bei dem „Täter“ liegt. Schaue dir dazu z.B. auch diesen Fall hier an: https://applink.jurafuchs.de/OlKcVBOp1Mb Von der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ist die rechtfertigende Einwilligung zu unterscheiden. Hier erfüllt das Verhalten des Täters zwar den Tatbestand, es liegt also eine Fremdgefährdung vor, die Strafbarkeit entfällt aber auf Rechtswidrigkeitsebene durch die Einwilligung des Opfers in die vorgenommene Fremdschädigung durch den Täter. Das Opfer kann aber nicht unbegrenzt in jegliche Art von Gefährdung einwilligen. Aus § 216 StGB ergibt sich zunächst, dass das Rechtsgut Leben nicht

disponibel

, hier also nicht in eine Gefährdung durch einen anderen eingewilligt werden kann. Auch die Einwilligung in eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit unterliegt Grenze (insbesondere aus § 2

28 StGB

: in eine sittenwidrige Körperverletzung kann nicht eingewilligt werden). Zum Thema der Einwilligung kann ich dir die entsprechenden Kapitel aus dem Abschnitt der Rechtfertigungsgründe empfehlen: https://applink.jurafuchs.de/t3D6YzXp1Mb Für die Falllösung: In Fällen wie dem vorliegenden, sollte man zunächst auf TB-Ebene die

eigenverantwortliche Selbstgefährdung

diskutieren und sofern diese – wie hier – nicht angenommen werden kann, eine rechtfertigende Einwilligung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit prüfen. Ich bin mir nicht sicher, welche Rspr. du meinst, wenn du sagst, dass die

objektive Zurechnung

i.R.d.

Vorsatz

es geprüft wird. Das tritt m.E. nicht zu. Vielleicht verwechselst du hier etwas? Schau dir auch gerne nochmal das Prüfungsschema zu §

229 StGB

an: https://applink.jurafuchs.de/7DZ23aCp1Mb Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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