Strafrecht AT | Vorsatz | Parallelwertung in der Laiensphäre (Quittungen als Altpapier)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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P und R, die zum Reinigungspersonal der Firma F gehören, entsorgen diverse Quittungen und Auftragsbestätigungen, die ein unordentlicher Angestellter auf seinem Platz verteilt hatte, in der Annahme, es handele sich um nicht mehr benötigtes Altpapier.

Einordnung des Falls

Strafrecht AT | Vorsatz | Parallelwertung in der Laiensphäre (Quittungen als Altpapier)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. P und R hatten Vorsatz bzgl. einer Urkundenunterdrückung (§ 274 StGB).

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Nein!

Der Täter hat Vorsatz, wenn er mit dem Willen zur Verwirklichung des Tatbestands (voluntatives Element) in Kenntnis aller objektiven Tatumstände (kognitives Element) handelt. Bei normativen Tatbestandsmerkmalen genügt es, wenn der Täter den vom Gesetzgeber unter Strafe gestellten Sachverhalt in seiner sozialen Sinnbedeutung erkennt (Parallelwertung in der Laiensphäre). "Urkunde" ist ein normatives Tatbestandsmerkmal. Als Urkunde gilt jede menschliche verkörperte Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist.Dass die entsorgten Papiere dazu dienten, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen, war P und R nicht klar.

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S.

s.t.

31.8.2021, 12:12:05

Kann man sagen bei solchen Fällen, dass entweder eine Paraöleöwertung der Laiensphäre vorliegt oder ein Irrtum über Tatsachen oder Verbot ?

VIC

Victor

31.8.2021, 18:01:18

Hier ist das oder nicht zwangsläufig richtig. Der falsche Wertung in der Laiensphäre führt dazu, dass ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vorliegt. Ein Verbotsirrtum ist anders zu behandeln

lennart20

lennart20

27.2.2023, 14:45:42

Es wäre löblich, wenn noch erklärt werden würde, dass es auch einen Irrtum hinsichtlich eines deskriptiven Tatbestandsmerkmals vorliegen kann. Auch sollte auch der Begriff des Subsumtionsirrtums eingefügt werden. Danke

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.3.2023, 12:47:12

Hallo Lennart20, vielen Dank für den Hinweis. Wir haben in der Lektion noch zwei Aufgaben hinzugefügt, um die Abgrenzung zwischen deskriptiv/normativ deutlich zu machen. Auf den Begriff des Subsumtionsirrtums kommt es dagegen nur an, wenn der Täter bei normativen Tatbestandsmerkmalen zumindest den sozialen Sinngehalt seiner Handlung erfasst, auch wenn er nicht realisiert, dass er sich damit strafbar macht (zB im Bierdeckelfall, wo der Täter wissentlich die Striche wegkratzt, die seinen Getränkestand anzeigen - auch wenn er nicht weiß, dass er dadurch eine Urkunde verfälscht). Für die Frage der Schuld kommt es dann in der Tat an, ob der Subsumtionsirrtum vermeidbar war (§ 17 StGB). Hier liegt der Fall anders. Da P und R die Quittungen fälschlich für Altpapier halten, irren sie sich auch in der Laiensphäre bereits über tatsächliche Umstände eines Straftatbestands. Dies führt bereits zum Ausschluss des Vorsatzes, sodass man zur Prüfung der Schuld gar nicht mehr kommt. Beste Grüße, Lukas -für das Jurafuchs-Team

IT

Itsajourney

9.2.2024, 14:03:19

Liegt in diesem Fall dann ein Tatbestandsirrtum der P und R vor? Sie haben sich ja darüber geirrt, dass es sich bei dem „Altpapier“ um Urkunden handelte.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.2.2024, 15:41:46

Hallo Itsajourney, genauso ist es - es handelt sich um den ganz klassischen Fall des Tatbestandsirrtums (auch Tatumstandsirrtum genannt). Dieser wirkt vorsatzausschließend. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

IT

Itsajourney

13.2.2024, 22:19:50

Danke für die Aufklärung :)


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