Abgrenzung beendeter/unbeendeter Versuch und Fehlschlag


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T möchte die O töten, schießt auf sie und trifft sie in den Oberkörper. O taumelt und stürzt. Zur Überraschung der T steht O jedoch direkt wieder auf und läuft weg. Obwohl T geplant hatte, so oft wie möglich zu schießen, lässt sie O laufen und denkt, dass O wohl doch nicht lebensbedrohlich verletzt sei.

Einordnung des Falls

Abgrenzung beendeter/unbeendeter Versuch und Fehlschlag

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch ist nach h.M. fehlgeschlagen.

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Nein, das trifft nicht zu!

Ein Versuch gilt dann als fehlgeschlagen, wenn der Täter glaubt, dass er den Erfolg nicht mehr herbeiführen kann, ohne eine völlig neue Kausalkette in Gang zu setzen. T kann mit der Waffe nochmals auf O schießen und so innerhalb des gleichen Kausalverlaufs den Erfolg herbeiführen.

2. Der Versuch ist nach der Einzelaktstheorie fehlgeschlagen.

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Ja!

Nach der Einzelaktstheorie liegt ein fehlgeschlagener Versuch dann vor, wenn der Täter eine Maßnahme vorgenommen hat, die nach seiner Vorstellung ausreicht, um den Erfolg herbeizuführen und dieser Einzelakt dann nicht in einen Erfolg mündet. Danach ist jede Handlung, die theoretisch zum Erfolg führen kann, eine eigene Tat. Dabei kommt es auch auf den ursprünglichen Tatplan nicht an. T hätte die O bereits durch den ersten Schuss töten können. Der erste Schuss stellt demnach bereits einen fehlgeschlagenen Versuch dar.

3. Der Versuch ist nach der Tatplantheorie fehlgeschlagen.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der früheren Rechtsprechung soll ein fehlgeschlagener Versuch dann vorliegen, wenn der Täter zur Erfolgsherbeiführung eine Tathandlung vornehmen muss, die er ursprünglich nicht in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Es kommt dabei auf den Tatplan an. T hat geplant, mehrfach auf O zu schießen, wenn dies notwendig ist. Sie hat jedoch nur einmal geschossen und daher von ihrem Tatplan Abstand genommen.

4. Es liegt ein beendeter Versuch vor, als T die O trifft.

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Ja, in der Tat!

Ein Versuch gilt dann als beendet, wenn der Täter glaubt, dass er alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan hat. Dabei reicht es aus, dass der Täter es für möglich hält, dass er alles Erforderliche getan hat, aber auch, wenn er sich keine Gedanken macht, aber die Möglichkeit sieht. Dabei ist auf die Vorstellung zum Zeitpunkt nach der letzten Ausführungshandlung abzustellen. Zum Zeitpunkt nach der letzten Ausführungshandlung nimmt T billigend in Kauf, dass O bereits tot war, da sie stürzte. T war auch verwundert, als O wieder aufstand.

5. Der Rücktrittshorizont der T hat sich korrigiert.

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Ja!

Eine Korrektur des Rücktrittshorizontes ist dann möglich, wenn der Täter in nahem zeitlichen Zusammenhang erkennt, dass der Erfolg doch nicht ohne weitere Handlungen eintreten wird. In engstem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang ist auch eine umgekehrte Korrektur zum Nachteil des Täters möglich. Der Rücktrittshorizont hat sich korrigiert. Kurz nach Ts Vorstellung von der Tötung der O steht diese wieder auf. T ist der Ansicht, dass O nicht lebensbedrohlich verletzt sei. Daher liegt im Ergebnis ein unbeendeter Versuch vor.

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LK

Leyla Keles

24.3.2022, 19:07:31

Hallo liebes Jurafuchs Team! Könntet Ihr vielleicht kurz den Unterschied zum vorherigen Fall bezüglich der Korrektur des Rücktrittshorizonts erläutern? Ich verstehe nicht, warum im vorherigen Fall keine Korrektur vorliegt. Danke!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.3.2022, 17:24:56

Hallo leybeykel, im vorherigen Fall lag eine zeitliche Zäsur zwischen dem Abschluss der Handlung und dem Erkennen, dass das Opfer doch nicht stirbt. Aus diesem Grund kommt hier eine Korrektur des Rücktrittshorizontes nicht in Betracht. Anders hier - hier hat T in engem zeitlichen Zusammenhang gemerkt, dass der Versuch doch noch nicht beendet ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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