+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

T möchte O verprügeln und ihm eine Gabel in die Augen stechen, wobei er nur billigend in Kauf nimmt, dass O erblindet. Nachdem T auf O einprügelt hat und gerade mit der Gabel zustechen möchte, kommt eine dritte Person. T flieht.

Einordnung des Falls

Versuch der Erfolgsqualifikation 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch einer schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

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Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Die schwere Körperverletzung wird mit mindestens einem Jahr bestraft (§ 226 Abs. 1 StGB). § 226 Abs. 3 StGB findet nach § 12 Abs. 3 StGB keine Berücksichtigung.

2. Der Täter kann auch die Erfolgsqualifikation versuchen.

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Ja, in der Tat!

Eine Erfolgsqualifikation ist auch vorsätzlich möglich. Bei einer Erfolgsqualifikation ist mindestens Fahrlässigkeit erforderlich (§ 18 StGB), sodass Vorsatz ebenfalls möglich ist. Bei § 226 Abs. 2 StGB ist ausdrücklich auch Absicht und Wissen erforderlich. Ein Versuch ist daher möglich.

3. T hat „Tatentschluss“ bezüglich einer schweren Körperverletzung.

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Ja!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T nimmt billigend in Kauf, dass O durch seine Körperverletzung das Sehvermögen auf beiden Augen verliert. Er hat daher Tatentschluss bezüglich der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB).

4. T hat dadurch, dass er gerade zustechen wollte, „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.

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Genau, so ist das!

Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB). Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. T wollte gerade in die Augen des O hineinstechen. Er hat unmittelbar zur Tat angesetzt.

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SN

Sniter

23.12.2022, 17:08:18

Prüfe ich hier einen Versuch des § 226 I oder des § 226 II? Wenn der T "gerade mit der Gabel zustechen will", handelt er doch sicher nicht mit dolus eventualis, sondern -was das Zustechen angeht- mit dolus directus 1. Grades.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.1.2023, 16:27:54

Hallo sniter, danke für deine Nachfrage. Die Formulierung des Sachverhalts "gerade mit einer Gabel" ist als zeitliche Beschreibung zu verstehen. Der Sachverhalt gibt zudem vor, dass er billigend die Erblindung in Kauf nimmt - also gerade nicht wissentlich oder absichtlich handelt. Des weiteren ist § 226 Abs. 2 StGB keine eigene Qualifikation, sondern eine Strafzumessungsvorschrift. Sie ist also nach der Schuld zu prüfen und im ersten Examen regelmäßig nicht anzusprechen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

RAP

Raphaeljura

14.7.2023, 07:27:31

Danke Nora Mommsen. Das ist eine Top Antwort.

MK-

MK-

16.12.2023, 17:34:03

Ich habe tatsächlich gelernt, dass der Abs. 2 ein Qualifikationstatbestand ist (vgl. auch Fischer, StGB § 226 Rn. 15) und bin deshalb etwas verwundert, dass sie in der Antwort als Strafzumessungsvorschrift ausgewiesen wird. Vom Aufbau wirkt es auf mich auch eher wie eine Qualifikation und nicht wie ein Regelbeispiel. Was ist jetzt korrekt?

suessmaus

suessmaus

17.4.2024, 16:32:31

Aber § 226 II wäre ja nur bei Dolus Directus 1. oder 2. grades einschlägig. Kann man in Fällen, in denen der Täter weniger als Dolus Directus 2. Grades hatte, trotzdem bei der Frage nach der Versuchsstrafbarkeit auf das Strafmaß des § 226 II iVm. § 23 I verweisen? Es erscheint mir etwas widersprüchlich.


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