Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Versuch der Erfolgsqualifikation - Unmittelbares Ansetzen

Versuch der Erfolgsqualifikation - Unmittelbares Ansetzen

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

T möchte O zunächst verprügeln und ihr im Anschluss daran dann eine Gabel in die Augen stechen, wobei T beabsichtigt, dass O erblindet. Während T auf O einprügelt, kommt ein Dritter, sodass T flieht.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch einer schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

Ja, in der Tat!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Die absichtliche schwere Körperverletzung wird mit mindestens drei Jahren bestraft (§ 226 Abs. 2 StGB).
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2. Der Täter kann auch eine Erfolgsqualifikation versuchen.

Ja!

Eine Erfolgsqualifikation ist auch vorsätzlich möglich. Bei einer Erfolgsqualifikation ist mindestens Fahrlässigkeit erforderlich (§ 18 StGB), sodass Vorsatz ebenfalls möglich ist. Bei § 226 Abs. 2 StGB ist ausdrücklich auch Absicht und Wissen erforderlich. Ein Versuch ist daher möglich.

3. Auch ein Versuch des § 226 Abs. 2 StGB ist möglich.

Genau, so ist das!

Nach herrschender Meinung kann der Täter nicht nur § 226 Abs. 1 StGB versuchen, sondern auch § 226 Abs. 2 StGB. Ein Versuch unterfällt auch nicht immer § 226 Abs. 2 StGB, da der Eventualvorsatz nicht von § 226 Abs. 2 StGB erfasst wird.

4. T hat „Tatentschluss“ bezüglich einer schweren Körperverletzung.

Ja, in der Tat!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T hat die Absicht, dass O durch die Körperverletzung das Sehvermögen auf beiden Augen verliert. Sie hat daher Tatentschluss bezüglich der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 2 StGB i.V.m. § 226 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB).

5. T hat dadurch, dass sie auf O einprügelte, „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.

Nein!

Das unmittelbare Ansetzen (§ 22 StGB) liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Bei der Wertung kommt es auf die konkrete Vorstellung des Täters an. Das Erblinden sollte nicht durch das Prügeln, sondern durch das spätere Zustechen mit der Gabel erfolgen. Bei der Wertung kommt es daher darauf an, ob man das Zücken und Zustechen mit der Gabel als wesentlichen Zwischenschritt wertet. Es kommt auch darauf an, wie lange T auf O einprügeln wollte und wieviel Zeit daher zwischen dem aktuellen Stadium und dem Stechen mit der Gabel liegt. Da dies aber hier nicht feststellbar ist und das Zustechen mit der Gabel eine neue Handlung ist, die auch ein eigenes Tatziel beinhaltet, ist ein unmittelbares Ansetzen eher zu verneinen. Eine andere Ansicht ist jedoch vertretbar.

6. T hat dadurch unmittelbar angesetzt, dass sie den Tatbestand des Grunddelikts bereits verwirklicht hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Qualifikationstatbestand stellt ein eigenes Delikt dar. Daher muss der Täter zu diesem selbst unmittelbar ansetzen. Das unmittelbare Ansetzen zum Grundtatbestand reicht daher nicht aus. T hat durch die Schläge zum Grundtatbestand, also der einfachen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB), unmittelbar angesetzt. Dies ist jedoch unerheblich für das unmittelbare Ansetzen der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 2 StGB i.V.m. § 226 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB). Im Einzelfall kann aber die Handlung, mit der der Täter zum Grunddelikt unmittelbar ansetzt, gleichzeitig die Handlung sein, mit der er zum Qualifikationstatbestand unmittelbar ansetzt. Der Täter muss zur Verwirklichung des Gesamttatbestandes ansetzen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAR

Martymcfly

17.6.2021, 21:16:04

Vielleicht könnte man den Sachverhalt etwas klarer gestalten. Meiner Meinung lässt sich hier leicht auch vertreten, dass das Zustechen mit der Gabel keine zeitliche oder räumliche Zäsur darstellt und daher schon mit dem Verprügeln zur Qualifikation unmittelbar angesetzt wurde. Daher ist es 50/50 ob man die Meinung der Lösungsskizze trifft. Der Sachverhalt könnte mit wenigen Details so verändert werden, dass die Lösung eindeutiger wird. Ich hoffe das war verständlich. Liebe Grüße

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

18.6.2021, 00:14:24

Hallo Martymcfly, in der Tat ist die Sachlage hier keineswegs eindeutig, worauf wir auch im Lösungstext hinweisen. Aber zugegebenermaßen ist das natürlich u.a. im Hinblick auf die Erhaltung des eigenen Streaks nur bedingt hilfreich. Insofern haben wir den Sachverhalt nun etwas angepasst, um es deutlicher zu machen. In einem Prozess müsste der Richter den oft zitierten Grundsatz "in dubio pro reo" anwenden, wenn er nicht mit hinreichender Sicherheit abgrenzen kann, ob nun ein

unmittelbares Ansetzen

bereits stattgefunden hat. Dann wäre zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, dass ein

unmittelbares Ansetzen

noch nicht stattgefunden hat, weswegen allein nach dem Grunddelikt verurteilt würde. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

29.8.2023, 12:25:50

Das ist jetzt wahrscheinlich etwas "blöd", aber für den

Versuch der Erfolgsqualifikation

, die grundsätzlich Fahrlässigkeit erfordert, müsste der Täter aber trotzdem mindestens bedingten

Vorsatz

haben, oder?

tyrannosaurus lex

tyrannosaurus lex

4.11.2023, 13:31:24

Ja. Der Tatentschluss iRd. Versuchs umfasst ja (wenigstens)

Vorsatz

bezüglich der Verwirklichung der objektiven TBM. Da der Tatentschluss zwingende Voraussetzung einer Versuchsstrafbarkeit ist, kann es keinen fahrlässigen Versuch geben.


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