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Klassisches Klausurproblem

Kleindealer D schluckt vor seiner Festnahme schnell ein Tütchen mit 0,5g Cannabis. Da sich die Drogen im Magen des D befinden, ordnet die Staatsanwaltschaft die Verabreichung von Brechmitteln an. D weigert sich, das Mittel selbst zu schlucken. Die einzige Möglichkeit ist daher die Verabreichung mittels einer Magensonde.

Einordnung des Falls

§ 81a – Brechmittel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. D ist verpflichtet, das Brechmittel zu schlucken.

Nein, das trifft nicht zu!

Bei Zwangsmitteln gilt der Grundsatz, dass für den Beschuldigten keine Pflicht besteht, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nemo tenetur). Er muss die Ermittlungen nicht durch aktives Verhalten fördern, wohl aber die Maßnahme passiv dulden. Aufgrund der notwendigen Mitwirkung des Beschuldigten ist das Schlucken des Brechmittels nicht erzwingbar.

2. Ermächtigungsgrundlage für die Verabreichung der Magensonde ist hier § 102 StPO.

Nein!

§ 81a StPO regelt die körperliche Untersuchung durch Untersuchungen oder andere körperliche Eingriffe (§ 81a Abs. 1 StPO). Das Auffinden von Beweismitteln beim Beschuldigten unterfällt hingegen in der Regel der Durchsuchung (§ 102 StPO). Die Anwendungsbereiche werden nach dem Zweck der Maßnahme abgegrenzt: Zielt die Maßnahme auf eine Untersuchung der körperlichen Beschaffenheit, ist § 81a StPO einschlägig; zielt sie auf die Suche nach Beweismitteln, ist § 102 StPO einschlägig. Eine Ausnahme gilt aber dort, wo im Körperinneren nach Beweismitteln gesucht wird. Denn § 102 StPO erlaubt keine Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität und § 81a StPO ist gerade auf solche Eingriffe zugeschnitten. Da die Verabreichung das Körperinnere betrifft, handelt es sich um einen körperlichen Eingriff (§ 81a Abs. 1 S. 2 StPO).

3. Die zwangsweise Verabreichung der Magensonde wäre hier unverhältnismäßig.

Genau, so ist das!

Der Eingriff im Rahmen von § 81a StPO muss verhältnismäßig sein. Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, wenn sie unerlässlich ist und in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat steht. Zwar verstößt die Verabreichung nicht gegen den nemo tenetur-Grundsatz, denn dieser verbietet nur auf die Willensbildung gerichteten Zwang (Pflicht zur Einnahme des Brechmittels), nicht aber die Anwendung willensausschließenden Zwangs (Zuführen des Brechmittels) und nachfolgende unwillentliche Körperreaktionen. Jedoch werden durch die Maßnahme erhebliche Gesundheitsgefahren begründet und stehen mildere Mittel wie das Warten auf das Ausscheiden auf natürlichem Wege zur Verfügung. Außer bei schwerster Kriminalität ist die Verabreichung von Brechmitteln daher in der Regel unverhältnismäßig. Hier wird mit 0,5g der Grenzwert der geringen Menge (6-10g) um ein Vielfaches unterschritten, die Verabreichung steht nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat.

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JO

Jose

26.1.2022, 15:47:28

Laut Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist die Verabreichung von Brechmittel Folter, die nach Art. 3 EMRK verboten ist. In Deutschland wurde auch nach dem Urteil des EGMR Brechmittel eingesetzt, wobei mindestens zwei Personen (Schwarze Asylbewerber) gestorben sind. Olaf Scholz ordnete damals in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister die Verabreichung von Brechmitteln an, obwohl dies durch den EGMR schon verboten worden war.

MAT

Matschegenga

13.2.2022, 09:41:24

Auch wenn Olaf Scholz in diversen Fällen seine Windbeuteligkeit unter Beweis stellen durfte, würde ich fairerweise hinterfragen: Bist du sicher, dass das "vom EGMR schon verboten" war? Scholz hat die Methode als Innensenator 2001 zugelassen. Ich hab den Eindruck, das EGMR-Urteil kam erst 2006, und zwar wahrscheinlich auch unter dem Einfluss der 2 Todesfälle, die du genannt hast? Ich könnte mich irren. Die Tode und die dadurch entfachte Diskussion über die Methode fielen auch in die Legislaturperiode der CDU/FDP/Schill-Koalition, da hätte Scholz natürlich nichts mehr ändern können.

James Morgan McGill

James Morgan McGill

11.11.2022, 12:20:03

Leitet sich der nemo-tenetur-Grundsatz nicht aus §§ 136 I 2, 243 V 1 StPO bzw. aus Art. 2 I GG iVm Art. 1 I GG ab? Bei der ersten Antwortmöglichkeit wird auf Art. 103 II GG verwiesen. Diese Vorschrift betrifft meines Wissens jedoch den Grundsatz „nulla poena sine lege“.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

12.11.2022, 12:55:12

Hallo James Morgan McGill, danke dir für den Hinweis. Es ist in der Tat so, dass sich der nemo-tenetur Grundsatz aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG herleitet und an verschiedenen Stellen einfach gesetzlichen Niederschlag gefunden hat. So zum Beispiel in den von dir angesprochenen §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO. Wir haben die Aufgabe dahingehend angepasst. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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