Tatbestandlich ungleichwertige Objekte

24. Januar 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

A will den ewig kläffenden Hund seines Nachbarn N erschießen. Dabei tötet er das beim Spielen in die Hundehütte gekrochene Kleinkind K, weil er es im Zwielicht für den Hund gehalten hat.

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Einordnung des Falls

Tatbestandlich ungleichwertige Objekte

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A unterliegt einem für den Vorsatz unbeachtlichen error in persona vel obiecto (Irrtum über das Handlungsobjekt).

Nein, das trifft nicht zu!

Der Vorsatz muss sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes beziehen. Irrt sich der Täter über die Identität der konkret individualisierten Person oder Sache (error in persona vel obiecto), ist diese Objektverwechslung für den Vorsatz unbeachtlich, wenn das konkret getroffene und das erwartete Objekt tatbestandlich gleichwertig sind.„Sache“ (§ 303 StGB) und „Mensch“ (§ 212 StGB) sind tatbestandlich nicht gleichwertig. A wusste nicht, dass er in Wirklichkeit auf einen Menschen schoss. In Betracht kommt nur eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) in Tateinheit mit versuchter Sachbeschädigung (§§ 303 Abs. 1, 3, 22, 23 Abs. 1 StGB). Bei letzterer handelt es sich um einen untauglichen Versuch, denn ein Mensch ist kein taugliches Tatobjekt i.S.d. § 303 StGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FABY

Faby

25.10.2021, 20:52:02

Und vollendete Sachbeschädigung bezüglich der Hundehütte 🤔😅

GEI

Geithombre

29.11.2023, 09:52:39

Das könnte in einer mündlichen Prüfung ggf. noch eine ausstehende Strafbarkeit sein, aber ohne weitere Angaben im Sachverhalt würde ich das nicht prüfen. Ebenso wenig wie ohne klare Indizien im Sachverhalt bei Tötungsdelikten die Sachbeschädigung bzgl. der Kleidung eine Rolle spielt, obwohl höchstwahrscheinlich die Kleidung durch Blut und Stich/Schuss-Löcher beschädigt sein dürfte.

SN

Sniter

18.1.2023, 10:09:28

Liebes Jurafuchs-Team, vielen Dank für den Fall. Warum kommt hier eine Strafbarkeit wegen §§ 303, 22, 23 an dem Hund in Betracht? Wären die

Tatobjekt

e hier gleichwertig, wäre der

Vorsatz

verbraucht; alles andere wäre eine unzulässige Verdopplung des

Vorsatz

es. Führt die Ungleichwertigkeit der

Tatobjekt

e wirklich dazu, dass der A nur wegen § 222 hins K zu bestrafen ist und -weil § 222 kein

Vorsatz

delikt ist- das vorsätzliche Schießen dem A nochmal im Rahmen vom §§ 303 I, III, 22, 23

zur Last

gelegt werden kann?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

18.1.2023, 10:38:00

Hallo Sniter, vielen Dank für Deine Nachfrage. In der Tat besteht hier ein klarer Unterschied zwischen dem

error in persona vel obiecto

bei gleichwertigen und ungleichwertigen Objekten. Eine Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass A hier

Vorsatz

bezüglich der Tötung des Kleinkindes, also eines Menschen hatte. Er irrt sich indes über das Angriffsobjekt und geht fälschlich davon aus, dass es sich um den Hund des N handelt. Das stellt einen relevanten

Tatbestandsirrtum

nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB dar, welcher den

Vorsatz

ausschließt. Damit scheidet die vorsätzliche Tötung aus und es kommt allenfalls eine Fahrlässigkeitstat in Betracht. Der

Vorsatz

ist insofern auch noch nicht "verbraucht". Da er sich auf den Hund bezog, den A nicht getroffen hat, besteht insofern eine Versuchsstrafbarkeit nach §§ 303 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB. Bei gleichwertigen

Tatobjekt

en ist dies anders. Wenn ich den Menschen A anvisiere,treffe und töte, dann ist es nach h.M. irrelevant, dass ich eigentlich Mensch B töten wollte. Es handelt sich lediglich um einen unbeachtlichen

Motivirrtum

. Deswegen würde in diesem Fall einmal wegen vorsätzlichem Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) verurteilt und nicht zusätzlich auch noch wegen dem versuchten Totschlag. Ich hoffe, es ist jetzt noch etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SN

Sniter

18.1.2023, 10:45:55

Super, danke Dir!

VER

Vermouth

31.8.2023, 11:14:54

Warum

untauglicher Versuch

bzgl. des § 303 StGB wegen des Hundes? Liegt das Problem hier im

Tatentschluss

? Der Täter wollte ja objektiv nicht das Kind töten, sondern den Hund. Er hatte also keinen

Tatentschluss

bzgl. des Kindes. Und weil ein Mensch kein geeignetes

Tatobjekt

i. S. d. § 303 StGB ist, ist es insgesamt ein

untauglicher Versuch

, den ich auch im

Tatentschluss

anspreche, oder?

VER

Vermouth

31.8.2023, 11:24:29

Eigentlich müsste die versuchte Sachbeschädigung doch ein tauglicher Versuch sein, oder? Verstehe es leider nicht ganz…

FUCH

Fuchsfrauchen

3.9.2023, 13:59:46

Ich verstehe es so, dass ein

untauglicher Versuch

bedeutet, dass der

Tatbestand

der Sachbeschädigung nicht erfüllt bzw. vollendet werden kann. In der Hütte befindet sich ja das Kind, was keine Sache ist und ich deshalb kann auch keine Sachbeschädigung verwirklicht werden. Der untaugliche Versuch ist aber trotzdem erstmal strafbar. Die Strafe kann aber zb gem. § 23 III stgb gemildert werden.

LELEE

Leo Lee

3.9.2023, 20:14:29

Hallo Vermouth und Fuchsfrauchen, wie Fuchsfrauchen richtigerweise angemerkt hat, liegt das Problem hier im

Tatentschluss

! Denn der Versuch ist im Grunde eine reine

Vorsatz

-Prüfung. D.h., wie stellen uns die Frage, was wollte der Täter tun und wieso hat er dies nicht erreicht? Wenn statt des Kindes tatsächlich ein Hund drin gewesen wäre und unser Täter einfach danebengeschossen hätte, hat er versucht den Hund zu töten; hätte er nicht daneben geschossen, hätte er auch den Hund töten können. Mithin konnte der Versuch auch „von vornherein“ erfolgreich sein können, weshalb ein tauglicher (möglicher) Versuch vorlagl. Hier jedoch konnte der Täter von vornherein nie sein gewolltes Ziel erreichen, denn auch wenn er das Objekt trifft, hat er nicht (wie zuvor geplant) eine Sache (Hund), sondern einen Menschen (eben keine Sache i.S.d. 303 StGB) aus der Welt geschaffen. Deshalb war sein Plan, den Hund zu töten (und 303 zu verwirklichen) von „vornherein“ niemals möglich und mithin sein Versuch auch untauglich (unmöglich) zu verwirklichen. Leichter fällt diese Abgrenzung, wenn du „Tauglichkeit“ mit „Möglichkeit“ ersetzt. Wenn also von vornherein der Täter niemals sein Ziel „möglich machen“ konnte, ist der Versuch wie hier untauglich! Hierzu kann ich die sehr hilfreiche Lektüre von Wessels/Beulke/Satzger AT 51. Auflage, Rn. 979 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

lafrantastique

lafrantastique

10.2.2024, 17:36:53

Hi, wie wäre es mit Blick auf §90a BGB zu werten, wenn eine Sache angepeilt wird und tatsächlich ein Tier getroffen wird? Und beides hat den gleichen

Geld

wert?

QUIG

QuiGonTim

6.5.2024, 20:22:17

Das wäre wohl unbeachtlich. Der

Sachbegriff

des § 303 StGB umfasst gemäß der Wertung des § 90a S. 3 BGB auch das Tier jedenfalls dann, wenn es nicht herrenlos ist. Denn § 303 StGB schützt die Integrität der Sache vor allem aufgrund ihrer Eigenschaft als Vermögensposition eines anderen. Der

Geld

wert der Sache(n) spielt hinsichtlich der bloßen Strafbarkeit keine Rolle, denn § 303 StGB schützt die Integrität von Sachen unabhängig von ihrem Wert. Die Strafnorm des § 17 Nr. 1 TierSchG (Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund) ist hier mangels Strafbarkeit fahrlässigen Handelns nicht einschlägig.

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

1.10.2024, 13:13:38

Es liegt hier ein

Tatbestandsirrtum

(§ 16 I 1) vor. Der Täter wollte den Hund töten, d.h. sein

Vorsatz

bezog sich auf eine Sachbeschädigung (§ 303 I). Er tötete stattdessen das Kleinkind. Damit irrte er sich über einen Umstand, der zum gesetzlichen

Tatbestand

des § 303 I gehört, sodass der

Vorsatz

entfällt. Sofern mein Gedanke richtig ist, wäre es schön, dies in der Lösung darzustellen.

Nils

Nils

4.12.2024, 22:07:53

Ein „error in objecto“ ist ein spezieller Fall des

Tatbestandsirrtum

s. Insofern ist die Lösung doch identisch.


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