Tatbestandlich ungleichwertige Objekte
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A will den ewig kläffenden Hund seines Nachbarn N erschießen. Dabei tötet er das beim Spielen in die Hundehütte gekrochene Kleinkind K, weil er es im Zwielicht für den Hund gehalten hat.
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Einordnung des Falls
Tatbestandlich ungleichwertige Objekte
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A unterliegt einem für den Vorsatz unbeachtlichen error in persona vel obiecto (Irrtum über das Handlungsobjekt).
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Faby
25.10.2021, 20:52:02
Und vollendete Sachbeschädigung bezüglich der Hundehütte 🤔😅
Geithombre
29.11.2023, 09:52:39
Das könnte in einer mündlichen Prüfung ggf. noch eine ausstehende Strafbarkeit sein, aber ohne weitere Angaben im Sachverhalt würde ich das nicht prüfen. Ebenso wenig wie ohne klare Indizien im Sachverhalt bei Tötungsdelikten die Sachbeschädigung bzgl. der Kleidung eine Rolle spielt, obwohl höchstwahrscheinlich die Kleidung durch Blut und Stich/Schuss-Löcher beschädigt sein dürfte.
Sniter
18.1.2023, 10:09:28
Liebes Jurafuchs-Team, vielen Dank für den Fall. Warum kommt hier eine Strafbarkeit wegen §§ 303, 22, 23 an dem Hund in Betracht? Wären die
Tatobjekte hier gleichwertig, wäre der
Vorsatzverbraucht; alles andere wäre eine unzulässige Verdopplung des
Vorsatzes. Führt die Ungleichwertigkeit der
Tatobjekte wirklich dazu, dass der A nur wegen § 222 hins K zu bestrafen ist und -weil § 222 kein
Vorsatzdelikt ist- das vorsätzliche Schießen dem A nochmal im Rahmen vom §§ 303 I, III, 22, 23
zur Lastgelegt werden kann?
Lukas_Mengestu
18.1.2023, 10:38:00
Hallo Sniter, vielen Dank für Deine Nachfrage. In der Tat besteht hier ein klarer Unterschied zwischen dem
error in persona vel obiectobei gleichwertigen und ungleichwertigen Objekten. Eine Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass A hier
Vorsatzbezüglich der Tötung des Kleinkindes, also eines Menschen hatte. Er irrt sich indes über das Angriffsobjekt und geht fälschlich davon aus, dass es sich um den Hund des N handelt. Das stellt einen relevanten
Tatbestandsirrtumnach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB dar, welcher den
Vorsatzausschließt. Damit scheidet die vorsätzliche Tötung aus und es kommt allenfalls eine Fahrlässigkeitstat in Betracht. Der
Vorsatzist insofern auch noch nicht "verbraucht". Da er sich auf den Hund bezog, den A nicht getroffen hat, besteht insofern eine Versuchsstrafbarkeit nach §§ 303 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB. Bei gleichwertigen
Tatobjekten ist dies anders. Wenn ich den Menschen A anvisiere,treffe und töte, dann ist es nach h.M. irrelevant, dass ich eigentlich Mensch B töten wollte. Es handelt sich lediglich um einen unbeachtlichen
Motivirrtum. Deswegen würde in diesem Fall einmal wegen vorsätzlichem Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) verurteilt und nicht zusätzlich auch noch wegen dem versuchten Totschlag. Ich hoffe, es ist jetzt noch etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Sniter
18.1.2023, 10:45:55
Super, danke Dir!
Vermouth
31.8.2023, 11:14:54
Warum
untauglicher Versuchbzgl. des § 303 StGB wegen des Hundes? Liegt das Problem hier im
Tatentschluss? Der Täter wollte ja objektiv nicht das Kind töten, sondern den Hund. Er hatte also keinen
Tatentschlussbzgl. des Kindes. Und weil ein Mensch kein geeignetes
Tatobjekti. S. d. § 303 StGB ist, ist es insgesamt ein
untauglicher Versuch, den ich auch im
Tatentschlussanspreche, oder?
Vermouth
31.8.2023, 11:24:29
Eigentlich müsste die versuchte Sachbeschädigung doch ein tauglicher Versuch sein, oder? Verstehe es leider nicht ganz…
Fuchsfrauchen
3.9.2023, 13:59:46
Ich verstehe es so, dass ein
untauglicher Versuchbedeutet, dass der
Tatbestandder Sachbeschädigung nicht erfüllt bzw. vollendet werden kann. In der Hütte befindet sich ja das Kind, was keine Sache ist und ich deshalb kann auch keine Sachbeschädigung verwirklicht werden. Der untaugliche Versuch ist aber trotzdem erstmal strafbar. Die Strafe kann aber zb gem. § 23 III stgb gemildert werden.
Leo Lee
3.9.2023, 20:14:29
Hallo Vermouth und Fuchsfrauchen, wie Fuchsfrauchen richtigerweise angemerkt hat, liegt das Problem hier im
Tatentschluss! Denn der Versuch ist im Grunde eine reine
Vorsatz-Prüfung. D.h., wie stellen uns die Frage, was wollte der Täter tun und wieso hat er dies nicht erreicht? Wenn statt des Kindes tatsächlich ein Hund drin gewesen wäre und unser Täter einfach danebengeschossen hätte, hat er versucht den Hund zu töten; hätte er nicht daneben geschossen, hätte er auch den Hund töten können. Mithin konnte der Versuch auch „von vornherein“ erfolgreich sein können, weshalb ein tauglicher (möglicher) Versuch vorlagl. Hier jedoch konnte der Täter von vornherein nie sein gewolltes Ziel erreichen, denn auch wenn er das Objekt trifft, hat er nicht (wie zuvor geplant) eine Sache (Hund), sondern einen Menschen (eben keine Sache i.S.d. 303 StGB) aus der Welt geschaffen. Deshalb war sein Plan, den Hund zu töten (und 303 zu verwirklichen) von „vornherein“ niemals möglich und mithin sein Versuch auch untauglich (unmöglich) zu verwirklichen. Leichter fällt diese Abgrenzung, wenn du „Tauglichkeit“ mit „Möglichkeit“ ersetzt. Wenn also von vornherein der Täter niemals sein Ziel „möglich machen“ konnte, ist der Versuch wie hier untauglich! Hierzu kann ich die sehr hilfreiche Lektüre von Wessels/Beulke/Satzger AT 51. Auflage, Rn. 979 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
lafrantastique
10.2.2024, 17:36:53
Hi, wie wäre es mit Blick auf §90a BGB zu werten, wenn eine Sache angepeilt wird und tatsächlich ein Tier getroffen wird? Und beides hat den gleichen
Geldwert?
QuiGonTim
6.5.2024, 20:22:17
Das wäre wohl unbeachtlich. Der
Sachbegriffdes § 303 StGB umfasst gemäß der Wertung des § 90a S. 3 BGB auch das Tier jedenfalls dann, wenn es nicht herrenlos ist. Denn § 303 StGB schützt die Integrität der Sache vor allem aufgrund ihrer Eigenschaft als Vermögensposition eines anderen. Der
Geldwert der Sache(n) spielt hinsichtlich der bloßen Strafbarkeit keine Rolle, denn § 303 StGB schützt die Integrität von Sachen unabhängig von ihrem Wert. Die Strafnorm des § 17 Nr. 1 TierSchG (Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund) ist hier mangels Strafbarkeit fahrlässigen Handelns nicht einschlägig.
F. Rosenberg 🦅
1.10.2024, 13:13:38
Es liegt hier ein
Tatbestandsirrtum(§ 16 I 1) vor. Der Täter wollte den Hund töten, d.h. sein
Vorsatzbezog sich auf eine Sachbeschädigung (§ 303 I). Er tötete stattdessen das Kleinkind. Damit irrte er sich über einen Umstand, der zum gesetzlichen
Tatbestanddes § 303 I gehört, sodass der
Vorsatzentfällt. Sofern mein Gedanke richtig ist, wäre es schön, dies in der Lösung darzustellen.
Nils
4.12.2024, 22:07:53
Ein „error in objecto“ ist ein spezieller Fall des
Tatbestandsirrtums. Insofern ist die Lösung doch identisch.