Tatbestandlich ungleichwertige Objekte
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A will den ewig kläffenden Hund seines Nachbarn N erschießen. Dabei tötet er das beim Spielen in die Hundehütte gekrochene Kleinkind K, weil er es im Zwielicht für den Hund gehalten hat.
Einordnung des Falls
Tatbestandlich ungleichwertige Objekte
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A unterliegt einem für den Vorsatz unbeachtlichen error in persona vel obiecto (Irrtum über das Handlungsobjekt).
Diese Rechtsfrage lösen 82,7 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Nein, das trifft nicht zu!
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Faby
25.10.2021, 20:52:02
Und vollendete Sachbeschädigung bezüglich der Hundehütte 🤔😅
Sniter
18.1.2023, 10:09:28
Liebes Jurafuchs-Team, vielen Dank für den Fall. Warum kommt hier eine Strafbarkeit wegen §§ 303, 22, 23 an dem Hund in Betracht? Wären die Tatobjekte hier gleichwertig, wäre der Vorsatz verbraucht; alles andere wäre eine unzulässige Verdopplung des Vorsatzes. Führt die Ungleichwertigkeit der Tatobjekte wirklich dazu, dass der A nur wegen § 222 hins K zu bestrafen ist und -weil § 222 kein Vorsatzdelikt ist- das vorsätzliche Schießen dem A nochmal im Rahmen vom §§ 303 I, III, 22, 23 zur Last gelegt werden kann?

Lukas_Mengestu
18.1.2023, 10:38:00
Hallo Sniter, vielen Dank für Deine Nachfrage. In der Tat besteht hier ein klarer Unterschied zwischen dem error in persona vel obiecto bei gleichwertigen und ungleichwertigen Objekten. Eine Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass A hier Vorsatz bezüglich der Tötung des Kleinkindes, also eines Menschen hatte. Er irrt sich indes über das Angriffsobjekt und geht fälschlich davon aus, dass es sich um den Hund des N handelt. Das stellt einen relevanten Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB dar, welcher den Vorsatz ausschließt. Damit scheidet die vorsätzliche Tötung aus und es kommt allenfalls eine Fahrlässigkeitstat in Betracht. Der Vorsatz ist insofern auch noch nicht "verbraucht". Da er sich auf den Hund bezog, den A nicht getroffen hat, besteht insofern eine Versuchsstrafbarkeit nach §§ 303 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB. Bei gleichwertigen Tatobjekten ist dies anders. Wenn ich den Menschen A anvisiere,treffe und töte, dann ist es nach h.M. irrelevant, dass ich eigentlich Mensch B töten wollte. Es handelt sich lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum. Deswegen würde in diesem Fall einmal wegen vorsätzlichem Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) verurteilt und nicht zusätzlich auch noch wegen dem versuchten Totschlag. Ich hoffe, es ist jetzt noch etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Sniter
18.1.2023, 10:45:55
Super, danke Dir!
Vermouth
31.8.2023, 11:14:54
Warum untauglicher Versuch bzgl. des § 303 StGB wegen des Hundes? Liegt das Problem hier im Tatentschluss? Der Täter wollte ja objektiv nicht das Kind töten, sondern den Hund. Er hatte also keinen Tatentschluss bzgl. des Kindes. Und weil ein Mensch kein geeignetes Tatobjekt i. S. d. § 303 StGB ist, ist es insgesamt ein untauglicher Versuch, den ich auch im Tatentschluss anspreche, oder?
Vermouth
31.8.2023, 11:24:29
Eigentlich müsste die versuchte Sachbeschädigung doch ein tauglicher Versuch sein, oder? Verstehe es leider nicht ganz…
Fuchsfrauchen
3.9.2023, 13:59:46
Ich verstehe es so, dass ein untauglicher Versuch bedeutet, dass der Tatbestand der Sachbeschädigung nicht erfüllt bzw. vollendet werden kann. In der Hütte befindet sich ja das Kind, was keine Sache ist und ich deshalb kann auch keine Sachbeschädigung verwirklicht werden. Der untaugliche Versuch ist aber trotzdem erstmal strafbar. Die Strafe kann aber zb gem. § 23 III stgb gemildert werden.
Leo Lee
3.9.2023, 20:14:29
Hallo Vermouth und Fuchsfrauchen, wie Fuchsfrauchen richtigerweise angemerkt hat, liegt das Problem hier im Tatentschluss! Denn der Versuch ist im Grunde eine reine Vorsatz-Prüfung. D.h., wie stellen uns die Frage, was wollte der Täter tun und wieso hat er dies nicht erreicht? Wenn statt des Kindes tatsächlich ein Hund drin gewesen wäre und unser Täter einfach danebengeschossen hätte, hat er versucht den Hund zu töten; hätte er nicht daneben geschossen, hätte er auch den Hund töten können. Mithin konnte der Versuch auch „von vornherein“ erfolgreich sein können, weshalb ein tauglicher (möglicher) Versuch vorlagl. Hier jedoch konnte der Täter von vornherein nie sein gewolltes Ziel erreichen, denn auch wenn er das Objekt trifft, hat er nicht (wie zuvor geplant) eine Sache (Hund), sondern einen Menschen (eben keine Sache i.S.d. 303 StGB) aus der Welt geschaffen. Deshalb war sein Plan, den Hund zu töten (und 303 zu verwirklichen) von „vornherein“ niemals möglich und mithin sein Versuch auch untauglich (unmöglich) zu verwirklichen. Leichter fällt diese Abgrenzung, wenn du „Tauglichkeit“ mit „Möglichkeit“ ersetzt. Wenn also von vornherein der Täter niemals sein Ziel „möglich machen“ konnte, ist der Versuch wie hier untauglich! Hierzu kann ich die sehr hilfreiche Lektüre von Wessels/Beulke/Satzger AT 51. Auflage, Rn. 979 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo