Hallo Juradiccted, gerne! Die Abgrenzung ist beim unechten Unterlassungsdelikt dogmatisch wirklich etwas knifflig und variiert zwischen Literatur und Rechtsprechung:
Möglichkeit 1, wie dies Teile der Literatur machen: Im Rahmen der Garantenstellung wird nur festgestellt, dass Ehegatten Beschützergaranten sind (und dies kurz begründet). Im Rahmen der objektiven Zurechnung wird dann gefragt, ob sich ein vom Täter gesetztes,
rechtlich missbilligtes Risiko im Erfolg realisiert hat. Ist das vom Täter gesetzte Risiko ein Unterlassen, muss danach zunächst festgestellt werden, ob es sich dabei überhaupt um ein
rechtlich missbilligtes Risiko handelt. Dies wäre dann in der Klausur das Einfallstor für die obigen Überlegungen zu Schutzzweck und Freiverantwortlichkeit. Diesem Aufbau folgt auch unser Fall hier, daher wurde im Fall die objektive Zurechnung verneint.
Möglichkeit 2, wie dies andere Teile der Literatur und die Rechtsprechung machen: Im Rahmen der Garantenstellung wird zunächst die Eigenschaft als Beschützergarant geprüft. Dann wird in einem nächsten Schritt direkt geprüft, wie weit die Pflicht zum Handeln reicht. Es wird also nicht nur die grundsätzliche Eigenschaft als Garant thematisiert, sondern in einem zweiten Schritt die Reichweite geprüft, also stehen nach diesem Aufbau hier in diesem zweiten Schritt die obigen Überlegungen. Der BGH wählt diesen Aufbau naturgemäß deswegen, da er bei
Vorsatzdelikten ohnehin nicht mit der objektiven Zurechnung arbeitet. Selbst wenn man die objektive Zurechnung aber grundsätzlich anerkennt, könnte man diesen Aufbau wählen. Für die objektive Zurechnung bliebe dann nur noch, ob sich die Gefahr realisiert hat, die der Täter durch die pflichtwidrige Unterlassung der gebotenen Rettungshandlung geschaffen oder aufrechterhalten hat. Die Frage, ob es sich um ein
rechtlich missbilligtes Risiko handelt, wäre dann "herausgeschält" in die
Garantenpflicht. Dies kann man durchaus dogmatisch begründen: Um ein
rechtlich missbilligtes Risiko kann es sich beim Unterlassen nur handeln, wenn der Täter rechtlich für das Ausbleiben des Erfolges einzustehen hat, also verpflichtet ist, zur Erfolgsabwendung tätig zu werden. Nichts anderes beschreibt die
Garantenpflicht. Insofern bestehen hier also zwischen der "klassischen Formel" der objektiven Zurechnung und der
Garantenpflicht dogmatisch Überschneidungen. Man darf sich dann nicht irritieren lassen: Der Sache nach geht es genau um die obigen Wertungsfragen der objektiven Zurechnung, bloß unter dem Punkt der Reichweite der
Garantenpflicht diskutiert. Auch hier wird also klar zwischen grundsätzlicher Garantenstellung einerseits und Reichweite der
Garantenpflichten andererseits unterschieden. Man würde dann in unserem Fall dann in der Lösung die objektive Zurechnung nicht mehr ansprechen.
Prinzipiell kannst du beide Möglichkeiten als Aufbau wählen, da beide so vertreten werden. Vom Gefühl der Lösungsskizzen her würde ich aber sogar sagen, dass Möglichkeit 2 in Lösungsskizzen etwas verbreiteter ist, was wohl auch daran liegt, dass etliche Klausurfälle der Rechtsprechung nachgebildet sind. Mit Lösungsmöglichkeit 2 wirst du die Lösungsskizze daher wahrscheinlich häufiger "treffen".
Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias