Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Unmittelbares Ansetzen und Unterlassen - fehlende Garantenstellung

Unmittelbares Ansetzen und Unterlassen - fehlende Garantenstellung

20. Mai 2025

19 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

T sieht einen jungen Mann im Wasser ertrinken, den sie für ihren pubertierenden Sohn S hält. In Wirklichkeit ertrinkt gerade ein Fremder. Da S der T zuletzt sehr auf die Nerven gegangen ist, lässt T ihn ertrinken, obwohl sie erkennt, dass sie ihn leicht retten könnte.

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Einordnung des Falls

Unmittelbares Ansetzen und Unterlassen - fehlende Garantenstellung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat sich wegen vollendeten Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).

Nein!

Ein Unterlassen wegen vollendeten Totschlags (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB) ist nur dann strafbar, wenn auch eine Garantenstellung besteht. Zwar ist der Taterfolg eingetreten. Es besteht jedoch objektiv keine Garantenstellung. Daher ist der objektive Tatbestand nicht erfüllt.
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2. Der versuchte Totschlag durch Unterlassen ist strafbar (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Der Versuch durch Unterlassen ist dann strafbar, wenn es sich um ein Delikt handelt, bei dem der Versuch auch durch Handlung strafbar ist. Rechtsfolge des § 13 Abs. 1 StGB ist die Gleichstellung des Unterlassens mit einer Handlung im engeren Sinne. Dabei ist wie sonst auch der Versuch eines Verbrechens stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).

3. T hatte „Tatentschluss“ bezüglich der objektiven Merkmale des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Es gelten die Maßstäbe, die auch sonst für den Versuch gelten, wobei der Täter die Merkmale der unechten Unterlassungstat ebenfalls in den Vorsatz aufgenommen haben muss. T hatte Vorsatz in Bezug auf die objektiven Merkmale des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB), also die Tötung eines Menschen. Die hier vorliegende Zweiteilung dient der Verständlichkeit.

4. T hatte „Tatentschluss“, den Totschlag durch Unterlassen zu begehen.

Ja!

T hat vorsätzlich in Bezug auf das Unterlassen einer möglichen Rettungshandlung gehandelt, wobei das Unterlassen quasi-kausal für den Erfolgseintritt war. Zwar trifft T hinsichtlich des fremden Mannes objektiv keine Garantenstellung, jedoch hat T die Vorstellung, dass es sich um ihren Sohn handelt. Dabei ist im Tatentschluss von der Tätervorstellung auszugehen und zu prüfen, ob der objektive Tatbestand erfüllt wäre, wenn diese zutrifft. Wäre der Ertrinkende tatsächlich S, hätte T eine Pflicht die Gefahr abzuwehren, da sie ihren Sohn schützen muss. Diese Verantwortungsposition ist auch für einen Laien erkennbar. T hat daher Tatentschluss in Bezug auf ihre Garantenstellung. Die Entsprechungsklausel ist bei § 212 StGB nach herrschender Meinung nicht relevant.

5. Das unmittelbare Ansetzen beim Unterlassungsdelikt gleicht dem unmittelbaren Ansetzen durch Tätigkeit.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das unmittelbare Ansetzen beim Unterlassungsdelikt weicht vom unmittelbaren Ansetzen beim Handlungsdelikt ab, da beim Handlungsdelikt am Vorgehen des Täters angeknüpft wird. Zwar lässt sich die gleiche Definition anwenden, allerdings sind die Kriterien beim Unterlassungsdelikt noch weniger greifbar, da regelmäßig nur an einen Zeitablauf angeknüpft wird und nicht an eine vom Täter vorgestellte Handlungskette

6. T hat nach herrschender Meinung unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.

Ja, in der Tat!

Die herrschende Meinung geht daher von einem unmittelbaren Ansetzen aus, wenn die erste mögliche Rettungshandlung nicht vorgenommen wird (also das Geschehen aus den Händen gegeben wird) und eine unmittelbare Gefahr für das geschützte Rechtsgut entsteht. T hat den Mann nicht gerettet, obwohl sich dieser in unmittelbarer Ertrinkungsgefahr befand.

7. Andere Theorien stellen auf absolute Zeitpunkte ab.

Ja!

Andere Theorien orientieren sich nicht an der Gefährdung, sondern an Zeitpunkten zwischen Vorsatz und Vollendung oder Fehlschlag. Dabei stellt eine Theorie auf die letzte Handlungsmöglichkeit ab und eine andere auf die erste Handlungsmöglichkeit. Zwar werden die Theorien beide abgelehnt, in der Praxis wird jedoch im Ergebnis häufig auf die erste Handlungsmöglichkeit abgestellt, da das Kriterium der unmittelbaren Gefährdung wertungsoffen ist. Daneben wird teilweise vertreten, dass die letzte sichere Handlungsmöglichkeit ausschlaggebend ist. Bei der Argumentation für oder gegen eine Theorie muss man sich auch an der Wertung für das unmittelbare Ansetzen durch Handlung orientieren, da das Gesetz gerade keine Sonderregelungen für das Unterlassen vorsieht.
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