Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Fahrlässigkeit
Verantwortungsbereich Dritter, Schulterluxations-Fall
Verantwortungsbereich Dritter, Schulterluxations-Fall
31. Mai 2025
9 Kommentare
4,6 ★ (23.361 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Die B fährt O unter Missachtung von dessen Vorrang am Zebrastreifen an. Zur Behandlung der so erlittenen Schulterluxation spritzt die Ärztin A dem O ein Muskelerschlaffungsmittel, ohne ihn jedoch an ein Beatmungsgerät anzuschließen. O erstickt aufgrund der Lähmung seiner Atemmuskulatur.
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Einordnung des Falls
Verantwortungsbereich Dritter, Schulterluxations-Fall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Relevante Tathandlung der A ist das Unterlassen, den O an das Beatmungsgerät anzuschließen (§ 13 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. A hat sich wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht, indem sie O das Muskelrelaktionsmittel spritzte (§ 222 StGB).
Ja, in der Tat!
3. Auch B hat den Tod des O kausal herbeigeführt (§ 222 StGB).
Ja!
4. B hat sich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten.
Genau, so ist das!
5. Die hM. sieht den Zurechnungszusammenhang zwischen dieser Sorgfaltspflichtverletzung und dem Tod des O allerdings als unterbrochen an.
Ja, in der Tat!
6. Nach aA. ist indes maßgeblich, ob der Arzt eine neue Gefahrenquelle eröffnet oder lediglich die Ausgangsgefahr nicht abwendet.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Blotgrim
27.5.2022, 10:16:50
Warum wird hier das verabreichen des Mittels als relevante Handlung in der ersten Frage angesehen ? Hätte man das Opfer an ein Beatmungsgerät angeschlossen wäre ja nichts passiert. Oder ließe sich beides vertreten, man kommt am Ende ja zum selben Ergebnis ?

Nora Mommsen
21.6.2022, 11:49:56
Hallo Blotgrim, die Abgrenzung zwischen Strafbarkeit durch Tun oder Unterlassen erfolgt nach dem
Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit. Danach ist an dieser Stelle die erste Handlung relevant, da dadurch die Gefahr des Erstickungstodes durch Lähmung der Atemmuskulatur geschaffen wird. Ohne die Spritze hätte es ja gar nicht erst des Beatmungsgerätes bedurft. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team.
Fuchsfrauchen
29.8.2023, 23:07:01
Ich finde diese Fälle irgendwie frustrierend. Die Spritze zu setzen war nach ärztlicher Kunst genau richtig - nur das nicht anschließen des Beatmungsgeräts war doch das Problem und mE liegt hier der
Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit.
Rechtsanwalt B. Trüger
6.1.2025, 15:31:51
Ich sehe es wie @[Fuchsfrauchen](89264)! Ich verstehe den Sachverhalt auch so, dass die Spritze medizinisch angebracht/nötig war. mMn liegt der
Schwerpunkt der Vorwerfbarkeitnicht im Spritzen ohne Anschluss an das Beatmungsgerät (aktives Tun), sondern im bloßen Unterlassen des Anschließen. Andernfalls könnte man gefühlt jeden Sachverhalt/jede
Vorwerfbarkeitdahingehend ausweiten, dass man die unterlassene Handlung mit in das aktive Tun hineinzieht, und der
Schwerpunkt der Vorwerfbarkeitin solchen Fällen nie im Unterlassen liegen würde. Dies könnte in jedem Fall zu folgender Rechnung führen: Spritzen/aktives Tun + kein Anschluss ans Gerät/Unterlassen = i.E. aktives Tun mMn muss man den Fall hier aufspalten und auf das Unterlassen abstellen. Gerne könnt Ihr mich mit entsprechender Erklärung vom Gegenteil hier überzeugen:)
benjaminmeister
12.4.2025, 11:15:51
Ich finde den Fall auch tricky. Es gibt ja das Beispiel mit den Operationen durch einen Herzchirugen, der mehrere Patienten mit Hepatits B infiziert, weil er sich vorher (!) nicht untersuchen lassen hat. Der
Schwerpunkt der Vorwerfbarkeitwird allgemein beim aktiven Tun, nämlich der Vornahme der Operation ohne die vorherige Untersuchung gesehen. Das ergibt Sinn, weil hätte er nicht operiert, wäre die Nichtvornahme der eigenen Untersuchung nicht vorwerfbar. Hier liegt der Fall aber mMn. anders (in Übereinstimmung mit den guten Ausführungen von @[Rechtsanwalt B. Trüger](208842)): Die Spritze war medizinisch angebracht und kann nicht vorwerfbar sein. Erst der danach gebotene Anschluss an die Maschine wurde unterlassen (!) und ist vorwerfbar. Das kann man auch super mit den Baustellenfälle vergleichen: Das Schaffen der Gefahrenquelle "genehmigte Baustelle" ist nicht vorwerfbar. Vorwerfbar ist nur, dass es unterlassen wurde die Gefahrenquelle anschließend ausreichend zu sichern. Da würde auch niemand auf die Idee kommen und die
Vorwerfbarkeitdarin sehen, dass jemand eine (genehmigte aber ungesicherte) Baustelle erschaffen hat, sondern eben im nachträglichen Unterlassen der ausreichenden Sicherung. Vielleicht kann hier jemand nochmal drüber schauen @[Sebastian Schmitt](263562).

MerkurMagie
5.5.2025, 10:56:45
@[Rechtsanwalt B. Trüger](208842) Ich finde es aber auch interessant, dass alle hier im Thread direkt annehmen, dass die Betäubung mit einem derart starken Mittelchen lege artis ist. Ich bin offensichtlich kein Arzt, gehe aber davon aus, dass hier nicht allgemeingültig davon ausgegangen werden darf, dass diese zwingend
erforderlichist. Ausgehend von diesem Überlegung ist es wiederum deutlich naheliegender, diese Betäubung als Tathandlung heranzuziehen, da diese grundsätzlich die Gefahr der Atemweglähmung schafft und auch nicht als nach lege Artis zwingende Gefahrverringerung angesehen werden kann.
benjaminmeister
5.5.2025, 16:16:34
@[MerkurMagie](205550) ich finde aus dem Sachverhalt geht es - mangels anderweitiger Hinweise und weil von "zur Behandlung" die Rede ist - schon deutlich hervor, dass die Spritze lege artis sein muss und nur das unterlassene Anschließen an die Beatmungsmachine ein Behandlungsfehler ist. Bei so Arztfällen sollten wir uns schon darauf verlassen können, dass im Sachverhalt ausdrücklich erwähnt wird, wenn etwas "zur Behandlung" zwar subjektiv gewollt ist aber objektiv diese Behandlung falsch/nicht zielführend ist. Das ist hier gerade nicht der Fall. Kritisiert wird im Sachverhalt nur das Unterlassen der Beatmung und der darauf basierende Atemstillstand. Das die Spritze ansich falsch ist, kann man als medizinischer Laie im Sachverhalt nirgends erkennen.