Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Fahrlässigkeit

Verantwortungsbereich des Opfers, freiverantwortliche Selbstschädigung des Opfers 1

Verantwortungsbereich des Opfers, freiverantwortliche Selbstschädigung des Opfers 1

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Fahrzeughalterin H stellt ihrem Neffen N ihren Pkw für eine Fahrt nach Hamburg zur Verfügung. Sie weiß, dass er bereits mehrmals durch die praktische Fahrprüfung gefallen ist und keine Fahrerlaubnis besitzt. Unterwegs begeht N einen Fahrfehler. In der Folge verunglückt er tödlich.

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Einordnung des Falls

Verantwortungsbereich des Opfers, freiverantwortliche Selbstschädigung des Opfers 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat H den Tod des N kausal herbeigeführt?

Ja, in der Tat!

Nach der Äquivalenztheorie (= conditio-sine-qua-non-Formel) ist eine Handlung kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Hätte H ihren Pkw nicht N zur Verfügung gestellt, wäre dieser damit auch nicht nach Hamburg gefahren und nicht auf dem Weg tödlich verunglückt.
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2. Hat H sich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten (§ 222 StGB)?

Ja!

Der einschlägige Sorgfaltsmaßstab ergibt sich aus § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG. Danach ist verboten, dass der Halter eines Fahrzeugs zulässt, dass jemand das Fahrzeug führt, ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis zu haben. H stellt dem N ihren Pkw zur Verfügung, obwohl dieser noch keinen Führerschein hat.

3. War der Tod des N auch objektiv vorhersehbar?

Genau, so ist das!

Die objektive Vorhersehbarkeit setzt voraus, dass der Erfolgseintritt sowie Kausalverlauf für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar gewesen ist. Für einen durchschnittlichen Fahrzeughalter ist es nicht unvorhersehbar, dass es zu mitunter tödlichen Unfällen kommen kann, wenn ein Fahranfänger ohne Führerschein sein Fahrzeug führt.

4. Hat N sich eigenverantwortlich selbst gefährdet?

Ja, in der Tat!

Der Zurechnungszusammenhang ist ausgeschlossen, wenn sich der gegenständliche Erfolg als Realisierung eines freiverantwortlichen Entschlusses des Opfers zur Selbstgefährdung darstellt. Wenn schon die Beteiligung an der freiverantwortlichen Selbsttötung mangels strafbarer Haupttat nicht strafbar ist, kann erst Recht nicht die bloße Mitwirkung an einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung bestraft werden. Indes bleibt es bei der Zurechnung, wenn Willensmängel beim Opfer vorliegen oder die Tatherrschaft bei einem Dritten liegt (Fremdgefährdung). N ist durch die Fahrt mit dem Pkw frei von Willensmängeln eine Selbstgefährdung eingegangen, die sich im tödlichen Unfall realisierte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

IS

IsiRider

1.3.2023, 10:58:44

Ich finde es fraglich, ob er das Risiko tatsächlich abschätzen konnte. Und müsste sie sich den Führerschein zeigen lassen? Er könnte sie ja belügen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.3.2023, 12:29:21

Hallo IsiRider, es ist lebensnah anzunehmen, dass der Neffe volljährig war, wenn er das Auto mit Führerschein alleine hätte führen können. Von einem mindestens 18 jährigen kann man durchaus annehmen, dass er die Gefährlichkeit des Fahrens ohne Führerschein erkennt. Ob sie sich einen Führerschein hätte vorzeigen lassen müssen kommt sehr auf den Einzelfall an. Vielleicht ist sie ja seit der vermeintlich oder tatsächlich bestandenen Fahrprüfung schon mehrfach von ihm gefahren worden, es ist in der Familie groß zelebriert worden als er bestanden hat... Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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