Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Objektive Zurechnung

Einverständliche Selbstgefährdung („Kokainfall“)

Einverständliche Selbstgefährdung („Kokainfall“)

12. April 2025

17 Kommentare

4,7(21.012 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Drogendealer T liefert O versehentlich reines Heroin statt des von O ursprünglich bestellten Kokains. O nimmt das Rauschgift selbst ein und stirbt.

Diesen Fall lösen 79,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Kokainfall (BGHSt 53, 288 – einverständliche Fremdgefährdung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T ist der Tod des O objektiv zuzurechnen.

Genau, so ist das!

Eine die Zurechnung ausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers ist von der einverständlichen Fremdgefährdung abzugrenzen. Das Opfer gefährdet sich selbst, wenn die alleinige Tatherrschaft bei ihm selbst liegt. Eigenverantwortlich ist diese Selbstgefährdung nach der verbreiteten Ansicht der Einwilligungslösung, wenn der Entschluss des Opfers nach den Grundsätzen einer wirksamen Einwilligung nicht zu beanstanden, insbesondere frei von Willensmängeln ist. Die ebenfalls vertretene Exkulpationslösung schließt Eigenverantwortlichkeit erst dann aus, wenn das Opfer bei entsprechender Anwendung der §§ 19, 20, 35 StGB und § 3 JGG schuldlos wäre. Zwar ist der Betäubungsmittelhandel verboten, T trifft als Lieferanten, der das Risiko besser überblicken kann, dennoch eine Prüfungspflicht. Die Aushändigung des richtigen Rauschmittels fällt in seinen Verantwortungsbereich und er hat die Herrschaft über die dem Schadenseintritt vorausgehende Risikosituation inne. Bloße Fahrlässigkeit bezüglich der Verwechslung des Rauschgiftes unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht. O überschaut das mit dem Heroin verbundene Risiko irrtumsbedingt nicht und er wäre auch nicht nach §§ 19, 20, 35 StGB und § 3 JGG schuldlos. Er handelt daher nicht eigenverantwortlich.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

S.

s.t.

8.8.2021, 16:02:12

Müsste ich hier dann beim

Vorsatz

rausfallen oder ist dad ein

error in objecto

?

Dave K. 🦊

Dave K. 🦊

24.9.2021, 19:24:57

Meiner Meinung nach ist der Fall viel zu „dünn“ um einen

Vorsatz

anzunehmen. Kein „für möglich halten“ einer Verwechslung. Somit 212 (-), aber 222 (+) Wer schon illegal mit Drogen handelt, hat sicher zu gehen, dass es zu keiner Verwechslung kommt.

QUIG

QuiGonTim

27.1.2022, 10:10:36

Es wäre hier wohl ein grober Fehler den

error in objecto

anzunehmen. Beim

error in objecto

identifiziert der Täter das Tatobjekt, also die aus Sicht des Täters zu schädigende Sache oder Person, fehlerhaft. Klassischer Fall: Jäger J schießt auf ein vermeintliches Wildschwein, das in Wahrheit Spaziergänger S ist. Im vorliegenden Fall identifiziert T das Tatobjekt, nämlich den O, richtig. Der Irrtum bezieht sich lediglich auf das Heroin, also das “Tatmittel”. (Mangels

Vorsatz

es wäre das Heroin hier hinsichtlich des Tötungsdelikts nicht als Tatmittel zu bezeichnen, 74 I StGB.)

BBE

bibu knows best

19.6.2022, 10:51:34

Ich finde auch, dass der Dealer keinen

Vorsatz

hatte.

JOU

Joul

15.3.2022, 15:56:09

Ich bin mir bei diesem Fall etwas unsicher. Die alleinige Tatherrschaft der zum Tode führenden Handlung liegt mit der eigenständigen Einnahme doch ganz klar nur bei O oder? Zusätzlich durch die Verwechslung des Stoffes liegt doch sogar ebenfalls kein überlegenes Wissen des T vor. Ich habe es noch nicht ganz verstanden und wäre so eigentlich zu einem anderen Ergebnis gekommen.

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

15.3.2022, 23:05:46

Ich glaube, so müsste man überlegen: Bei der Unterscheidung zwischen der strafbaren Fremdschädigung durch T und der freiverantwortlichen Selbstgefährdung seitens O kann zuungunsten des T die Selbstverantwortlichkeit des O entfallen, wenn O einem Irrtum unterliegt. O ging hier davon aus, dass er Kokain erhält. Das Risiko, dass ihm stattdessen Heroin gegeben wurde hat O gar nicht erkannt. Er war insoweit gar nicht „einwilligungsfähig“. Fazit: Eine

eigenverantwortliche Selbstgefährdung

liegt dann nicht vor, wenn beim Rechtsgutsinhaber ein erheblicher Irrtum über das tatsächlich eingegangene Risiko besteht und es nur dem Täter/Mitwirkenden möglich wäre, das konkrete Risiko vollständig zu erfassen. Wenn der Täter in diesem Fall fahrlässig seine besseren Erkenntnismöglichkeiten nicht ausschöpft, so ist der Erfolg sein Werk.

JOU

Joul

16.3.2022, 16:20:23

Danke, der Punkt mit „Einwilligungsunfähigkeit“ durch einen Irrtum leuchtet mir ein!

MAND

Mandy

4.1.2025, 11:50:43

die Lösung sagt folgendes: O überschaut das mit dem Heroin verbundene Risiko irrtumsbedingt nicht und wäre auch nicht nach §§ 19, 20,

35 StGB

und § 3JGG schuldlos. soweit würde ich mit gehen. dann kommt der Satz: Er handelte daher nicht eigenverantwortlich. und hier meine Frage: die

Exkulpationslösung

sagt doch, dass man so lange eigenverantwortlich handelt, bis die Grenze zur Schuldlosigkeit erreicht ist. Handele ich also schuldhaft (nicht schuldlos) bin ich eigenverantwortlich. Nach dieser Ansicht läge doch eine Eigenverantwortlichkeit vor, oder?

Deno

Deno

21.1.2025, 17:06:32

Ja, das hatte mich auch verwirrt. Da kein Schuldausschließungsgrund vorliegt, würde O - zumindest nach der Entschuldigungslösung - eigenverantwortlich handeln und es könnte dem T nicht zugerechnet werden?

PAUHE

Paul Hendewerk

8.3.2025, 16:55:32

Nach der

Exkulpationslösung

entfällt die Eigenverantwortlichkeit dann, wenn der sich selbst Schädigende (Opfer), ginge es um seine Strafbarkeit, schuldlos handelte. Hier bestehen keine Zweifel an der Schulldfähigkeit des O und Entschuldigungsgründe, die zu Gunsten des O eingreifen könnten, sind nicht ersichtlich. Insofern stimme ich Dir zu!

QUIG

QuiGonTim

7.3.2025, 08:13:37

Die beiden Theorien kommen hier zu unterschiedlichen Ergebnissen. O wusste nicht, dass er statt Kokain Heroin konsumiert. Dies stellt einen Willensmangel dar, der nach der

Einwilligungslösung

zum Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit führt. Allerdings liegen keine Hinweise darauf vor, dass O sich in einem Zustand befand, der, wäre er selbst Täter, eine

Schuldunfähigkeit

begründen würde. Nach der

Exkulpationslösung

handelte O also eigenverantwortlich. Da die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wäre der Streit in der Klausur zu entscheiden. Würdet ihr, liebes Jurafuchs-Team, das noch ergänzen? Interessant ist insbesondere, welche Argumente für bzw. gegen die Ansichten sprechen.

MO

Moritz

10.3.2025, 12:07:56

@[QuiGonTim](133054) Stimme dir absolut zu. Insbesondere der letzte Satz ("O überschaut das mit dem Heroin verbundene Risiko irrtumsbedingt nicht und wäre auch nicht nach §§ 19, 20,

35 StGB

oder § 3 JGG schuldlos") zeigt doch gerade auf, dass die beiden Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Der Satz ist daher irreführend. Argumente: Pro-Schuldlösung: Für die Schuldlösung spricht, dass sie insgesamt - mit den Maßstäben der §§ 19, 20,

35 StGB

, § 3 JGG - "klarerer" Kriterien zur Abgrenzung der Verantwortungsbereiche bietet, was sie vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG (Bestimmtheitsgebot) vorzugswürdig erscheinen lässt. Pro -

Einwilligungslösung

: Für die

Einwilligungslösung

spricht, dass es widersprüchlich wäre die "Eigenverantwortlichkeit" bei der Selbstgefährdung nach anderen Maßstäben zu bemessen als bei der "einverständlichen

Fremdgefährdung

", zumal die Grenze zwischen "eigenverantwortlicher Selbstgefährdung" und "einverständlicher

Fremdgefährdung

" fließend ist. Insofern wahrt diese Ansicht mit der Orientierung an den "Einwilligungsmaßstäben" den systematischen Einklang zur "einverständlichen

Fremdgefährdung

".


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