Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Objektive Zurechnung
Drogendealer hat überlegenes Wissen (Fremdgefährdung)
Drogendealer hat überlegenes Wissen (Fremdgefährdung)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
H ist heroinabhängig. Er ordert bei Dealer D eine große Menge reinen Heroins. D erkennt aufgrund des physischen und psychischen Zustands des H, dass H das mit dem Konsum von reinem Heroin verbundene Risiko nicht mehr abschätzen kann. Trotzdem übergibt er H den Stoff.
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Einordnung des Falls
Drogendealer hat überlegenes Wissen (Fremdgefährdung)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Wenn H infolge des Konsums des reinen Heroins stirbt, ist dieser Tod dem D objektiv zuzurechnen.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
I-m-possible
14.7.2021, 11:29:22
Kann man hier nicht zur Gegenauffassung gelangen, dass D infolge seiner Suchterkrankung sehr wohl erfahren ist und auch um die Risiken von Drogen weiss. Sonst müsste jedem Drogendealer ein erhöhtes Mass aufgebürdet werden sich um die physische und psychische Gesundheit seiner Kunden sich Gedanken zu machen, was bei dem Klientel ja ohnehin sehr zweifelhaft ist, da es ein "Massengeschäft" ist?
s.t.
8.8.2021, 16:05:14
Noch eine Frage , wie wäre es einzuschätzen, wenn der H ohne weiteres einen anderen Lieferanten beauftragen könnte, also der D austauschbar ist und dieses weiß?
frausummer
25.10.2021, 11:12:25
Ich finde die Begründung auch zweifelhaft. Wer regelmäßig solche Drogen konsumiert, kann ja wohl nicht attestiert werden, noch über eine realistische Einschätzung in dem Bereich zu verfügen. Danach dürfte ein Drogendealer doch nie mehrfach an dieselbe Person verkaufen.
Hendrik
14.11.2021, 20:06:14
Hallo, hier meine Einschätzung zu den von euch aufgeworfenen Fragen: Um eine entsprechende Erfahrung im Umgang mit Drogen annehmen zu können, müsste dies im Sachverhalt stehen, zumal der Sachverhalt deutlich macht, dass H das Risiko nicht mehr einschätzen kann. Würde H einen anderen Lieferanten beauftragen können, läge hinsichtlich der Kausalität eine
hypothetische Reserveursachevor, die unerheblich wäre. Für die
objektive Zurechnungspielt es keine Rolle, ob der D um seine mögliche Austauschbarkeit weiß, da gerade er durch sein Verhalten das rechtlich erhebliche Risiko geschaffen hat. Anstelle allgemeiner Erwägungen zur Fähigkeit von Konsumenten, ihr Konsumverhalten selbst einschätzen zu können würde ich mich eher am Sachverhalt orientieren und auf die benannte nicht mehr vorhandene Fähigkeit zur Selbsteinschätzung abstellen. Viele Grüße Hendrik
ehemalige:r Nutzer:in
13.9.2022, 16:18:05
Hier würde ich mir eine Abgrenzung zu dem Fall wünschen, in dem der Arzt trotz Instabilität des Patienten Meth verschreibt, was ihm dort nicht objektiv zuzurechnen ist.
QuiGonTim
27.3.2023, 11:47:13
Liebes Jurafuchsteam, ich habe einmal gerlernt, dass in den Fällen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung sowohl die Selbstgefährung als auch die Eigenverantwortlichkeit zu prüfen sei. Während bei der Selbstgefährdung die Tathersschaft im Mittelpunkt steht, geht es bei der Eigenverantwortlichkeit um die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des sich selbst Gefährdenden. Im Vorliegenden Fall hätte ich die Tatherrschaft und zugleich die Selbstgefährdung bejaht, die Einsichts- und Urteilsfähigkeit und damit die Eigenverantwortlichkeit jedoch verneint. Ihr bezieht die Argumentation jedoch in diesem wie auch in allen anderen Fällen ausschließlich auf die Tatherrschaft, in der dann die Einsichts- und Urteilsfähigkeit aufgeht. Sind es bloß zwei vertretbare Wege zum gleichen Ziel oder ist meine geteilte Prüfung abzulehnen?
lennart20
21.4.2023, 11:57:49
Ich schließe mich hier QuiGonTims Überlegungen und Bedenken an.
Nora Mommsen
27.10.2023, 14:15:03
Hallo ihr beiden, danke für eure Fragen! Zur Lösung der Fälle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung gibt es zwei Meinungen: Die Einwilligungslösung vertritt die Ansicht, dass die Regeln über die rechtfertigende Einwilligung Anwendung finden. Die Schuldlösung orientiert sich an den Schuldnormen und prüft, ob die Handlung einem Dritten gegenüber schuldhaft gewesen wäre. Wenn dies der Fall ist, liegt eine
eigenverantwortliche Selbstgefährdungvor. Wenn man diese Ansätze durcheinander wirft, verkennt man, das es zwei unterschiedliche Ansätze gibt die durchaus auch zu unterschiedlichen Lösungen kommen (so z.B. im Stromschlagfall, dort hatte sich das LG München der Einwilligungslösung angeschlossen; LG München II, 20.01.2020 - 1 Ks 21 Js 5718/18). Wir werden im Team besprechen, dass wir dazu noch eine Einheit ergänzen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
mwally
14.8.2024, 14:51:27
Ich meine mich an einen Fall hier bei Jurafuchs zu erinnern, in dem ein Arzt einem Suchtkranken größere Mengen Methadon verschrieben hat, obwohl ihm klar war, dass der Patient die Dosierung nicht mehr unter Kontrolle hat. Dabei wurde die
objektive Zurechnungverneint. Wo ist der Unterschied zu diesem Fall mit dem Dealer?
julia_purpose
7.9.2024, 16:22:37
Der Unterschied zwischen diesen beiden Konstellationen ist folgender: Auf der Seite des Aushändigenden der Betäubungsmittel stehen in beiden Fällen Personen, die ein überlegenes Wissen zu haben scheinen. Der Arzt weiß, dass der Suchtkranke die Dosierung oftmals viel zu hoch ansetzt. Der Dealer weiß, dass der Heroinabhängige so stark geschädigt ist, dass er die Lage überhaupt nicht mehr erfassen kann. Hier ergibt sich dann der Unterschied zwischen den Konstellationen auf der Seite der Suchtkranken: Der Patient war zwar psychisch erkrankt, konnte aber aufgrund seiner Erfahrungen und seiner übrigen geistigen Einsichtsfähigkeit die Lage noch sehr gut selbst einschätzen und sich bewusst eigenverantwortlich dazu entscheiden, eine Überdosierung vorzunehmen. Der Heroinabhängige in diesem Fall hat jedoch keine geistige Kapazität mehr, um eine bewusste eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Da er keine Eigenverantwortung mehr übernehmen kann, hat der Dealer mit der Übergabe des Heroins bei überlegenem Wissen die Tatherrschaft inne und aus diesem Grund ist die Zurechnung hier zu bejahen. :)
verLAWren
17.10.2024, 14:20:05
Ganz genau @[julia_purpose](145904)! Hinzukommt, dass in dem Sachverhalt die Erfahrung als "jahrelang" (oder so ähnlich) angegeben wurde, was das Ergebnis nochmal bestärkt. Arzt der weiß, dass der Suchtkranke hoch ansetzt < Suchtkranker mit jahrelanger Erfahrung