Drogendealer hat überlegenes Wissen (Fremdgefährdung)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

H ist heroinabhängig. Er ordert bei Dealer D eine große Menge reinen Heroins. D erkennt aufgrund des physischen und psychischen Zustands des H, dass H das mit dem Konsum von reinem Heroin verbundene Risiko nicht mehr abschätzen kann. Trotzdem übergibt er H den Stoff.

Einordnung des Falls

Drogendealer hat überlegenes Wissen (Fremdgefährdung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn H infolge des Konsums des reinen Heroins stirbt, ist dieser Tod dem D objektiv zuzurechnen.

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

...Wird geladen

Ja, in der Tat!

Eine die Zurechnung ausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers ist von der einverständlichen Fremdgefährdung abzugrenzen. Das Opfer gefährdet sich eigenverantwortlich selbst, wenn die alleinige Tatherrschaft bei ihm selbst liegt.Obwohl D erkennt, dass H das Risiko nicht mehr einschätzen kann, übergibt er ihm das Heroin. Damit hat er die Gefahr geschaffen, dass H sich eine Überdosis verabreicht. D hat kraft überlegenen Wissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst gefährdende H und damit Tatherrschaft. Die Eigenverantwortlichkeit des H wird durch die Verantwortung des D überlagert. Wenn H tatsächlich infolge einer Überdosis stirbt, ist D dieser Tod damit wegen der Tatherrschaft auch zurechenbar.

Jurafuchs kostenlos testen


I-m-possible

I-m-possible

14.7.2021, 11:29:22

Kann man hier nicht zur Gegenauffassung gelangen, dass D infolge seiner Suchterkrankung sehr wohl erfahren ist und auch um die Risiken von Drogen weiss. Sonst müsste jedem Drogendealer ein erhöhtes Mass aufgebürdet werden sich um die physische und psychische Gesundheit seiner Kunden sich Gedanken zu machen, was bei dem Klientel ja ohnehin sehr zweifelhaft ist, da es ein "Massengeschäft" ist?

S.

s.t.

8.8.2021, 16:05:14

Noch eine Frage , wie wäre es einzuschätzen, wenn der H ohne weiteres einen anderen Lieferanten beauftragen könnte, also der D austauschbar ist und dieses weiß?

frausummer

frausummer

25.10.2021, 11:12:25

Ich finde die Begründung auch zweifelhaft. Wer regelmäßig solche Drogen konsumiert, kann ja wohl nicht attestiert werden, noch über eine realistische Einschätzung in dem Bereich zu verfügen. Danach dürfte ein Drogendealer doch nie mehrfach an dieselbe Person verkaufen.

Hendrik

Hendrik

14.11.2021, 20:06:14

Hallo, hier meine Einschätzung zu den von euch aufgeworfenen Fragen: Um eine entsprechende Erfahrung im Umgang mit Drogen annehmen zu können, müsste dies im Sachverhalt stehen, zumal der Sachverhalt deutlich macht, dass H das Risiko nicht mehr einschätzen kann. Würde H einen anderen Lieferanten beauftragen können, läge hinsichtlich der Kausalität eine hypothetische Reserveursache vor, die unerheblich wäre. Für die objektive Zurechnung spielt es keine Rolle, ob der D um seine mögliche Austauschbarkeit weiß, da gerade er durch sein Verhalten das rechtlich erhebliche Risiko geschaffen hat. Anstelle allgemeiner Erwägungen zur Fähigkeit von Konsumenten, ihr Konsumverhalten selbst einschätzen zu können würde ich mich eher am Sachverhalt orientieren und auf die benannte nicht mehr vorhandene Fähigkeit zur Selbsteinschätzung abstellen. Viele Grüße Hendrik

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

13.9.2022, 16:18:05

Hier würde ich mir eine Abgrenzung zu dem Fall wünschen, in dem der Arzt trotz Instabilität des Patienten Meth verschreibt, was ihm dort nicht objektiv zuzurechnen ist.

QUIG

QuiGonTim

27.3.2023, 11:47:13

Liebes Jurafuchsteam, ich habe einmal gerlernt, dass in den Fällen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung sowohl die Selbstgefährung als auch die Eigenverantwortlichkeit zu prüfen sei. Während bei der Selbstgefährdung die Tathersschaft im Mittelpunkt steht, geht es bei der Eigenverantwortlichkeit um die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des sich selbst Gefährdenden. Im Vorliegenden Fall hätte ich die Tatherrschaft und zugleich die Selbstgefährdung bejaht, die Einsichts- und Urteilsfähigkeit und damit die Eigenverantwortlichkeit jedoch verneint. Ihr bezieht die Argumentation jedoch in diesem wie auch in allen anderen Fällen ausschließlich auf die Tatherrschaft, in der dann die Einsichts- und Urteilsfähigkeit aufgeht. Sind es bloß zwei vertretbare Wege zum gleichen Ziel oder ist meine geteilte Prüfung abzulehnen?

lennart20

lennart20

21.4.2023, 11:57:49

Ich schließe mich hier QuiGonTims Überlegungen und Bedenken an.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.10.2023, 14:15:03

Hallo ihr beiden, danke für eure Fragen! Zur Lösung der Fälle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung gibt es zwei Meinungen: Die Einwilligungslösung vertritt die Ansicht, dass die Regeln über die rechtfertigende Einwilligung Anwendung finden. Die Schuldlösung orientiert sich an den Schuldnormen und prüft, ob die Handlung einem Dritten gegenüber schuldhaft gewesen wäre. Wenn dies der Fall ist, liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor. Wenn man diese Ansätze durcheinander wirft, verkennt man, das es zwei unterschiedliche Ansätze gibt die durchaus auch zu unterschiedlichen Lösungen kommen (so z.B. im Stromschlagfall, dort hatte sich das LG München der Einwilligungslösung angeschlossen; LG München II, 20.01.2020 - 1 Ks 21 Js 5718/18). Wir werden im Team besprechen, dass wir dazu noch eine Einheit ergänzen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


© Jurafuchs 2024