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Klassisches Klausurproblem

T ist von ihrem 5-jährigen Kind S genervt, welches dauerhaft vor dem Fernseher sitzt. Sie hat keine Lust mehr, es ständig zu Tisch zu rufen. Daher hört sie auf, sich darum zu kümmern und nimmt in Kauf, dass S stirbt. 2 Tage später findet das Jugendamt S fast verdurstet vor.

Einordnung des Falls

Bei versuchter Unterlassung 4

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der versuchte Totschlag durch Unterlassen ist strafbar (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).

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Ja!

Der Versuch durch Unterlassen ist dann strafbar, wenn es sich um ein Delikt handelt, bei dem der Versuch auch durch Handlung strafbar ist. Rechtsfolge des § 13 Abs. 1 StGB ist die Gleichstellung des Unterlassens mit einer Handlung im engeren Sinne. Dabei ist wie sonst auch der Versuch eines Verbrechens stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).

2. T hatte „Tatentschluss“ bezüglich der objektiven Merkmale des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB).

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Genau, so ist das!

Es gelten die Maßstäbe, die auch sonst für den Versuch gelten, wobei der Täter die Merkmale der unechten Unterlassungstat ebenfalls in den Vorsatz aufgenommen haben muss. T hat zunächst Vorsatz in Bezug auf den Tod ihres Kindes. Der Vorsatz muss in Bezug auf die objektive Zurechnung erfolgen. Da das Kind 5 Jahre alt ist, besteht unproblematisch die Pflicht der Eltern, das Kind zu versorgen. Diese Pflichtverletzung soll sich in dem Verdurstenlassen realisieren. In anderen Konstellationen wie z.B. in Fällen der Selbstgefährdung greift indes die objektive Zurechnung als Begrenzung der Strafbarkeit.

3. T hatte „Tatentschluss“, den Totschlag durch Unterlassen zu begehen.

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Ja, in der Tat!

T hat eine Rettungsmöglichkeit erkannt und diese unterlassen, wobei sie billigend in Kauf nimmt, dass durch die Handlungsmöglichkeit der Tod von S ausbleiben könnte (Quasi-Kausalität). T wusste, dass sie als Mutter eine besondere Verantwortungsposition innehat. Damit hat sie Vorsatz bezüglich ihrer Beschützergarantenposition und seiner Garantenposition durch Ingerenz in Form der Parallelwertung in seiner Laiensphäre. Die Entsprechungsklausel ist bei § 212 StGB nach herrschender Meinung nicht relevant.

4. Das unmittelbare Ansetzen beim Unterlassungsdelikt unterscheidet sich vom unmittelbaren Ansetzen durch Tätigkeit.

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Ja!

Das unmittelbare Ansetzen beim Unterlassungsdelikt weicht vom unmittelbaren Ansetzen beim Handlungsdelikt ab, da beim Handlungsdelikt am Vorgehen des Täters angeknüpft wird. Zwar lässt sich die gleiche Definition anwenden, allerdings sind die Kriterien beim Unterlassungsdelikt noch weniger greifbar, da regelmäßig nur an einen Zeitablauf angeknüpft wird und nicht an eine vom Täter vorgestellte Handlungskette.

5. T hat nach herrschender Meinung unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.

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Genau, so ist das!

Die herrschende Meinung geht daher von einem unmittelbaren Ansetzen (§ 22 StGB) aus, wenn die erste mögliche Rettungshandlung nicht vorgenommen wird und eine unmittelbare Gefahr für das geschützte Rechtsgut entsteht. T hat ihre Pflicht zur Versorgung des Kindes unterlassen. Schwierig ist hier zu bestimmen, wann eine unmittelbare Gefahr für das Leben vorgelegen hat, da nach einem Tag ohne Wasser noch kein lebensbedrohlicher Zustand vorliegt. Man müsste daher darauf abstellen, ab wann die Gefahr für das Kind akut ist. Dabei muss man bedenken, dass der Zeitpunkt durch einen Laien nicht bestimmbar ist und daher spätestens nach zwei Tagen die T zumindest billigend in Kauf nimmt, dass ein solcher Zustand vorliegt.

6. Andere Theorien stellen auf absolute Zeitpunkte ab.

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Ja, in der Tat!

Andere Theorien orientieren sich nicht an der Gefährdung, sondern an Zeitpunkten zwischen Vorsatz und Vollendung oder Fehlschlag. Dabei stellt eine Theorie auf die letzte Handlungsmöglichkeit ab und eine andere auf die erste Handlungsmöglichkeit. Zwar werden die Theorien beide abgelehnt, in der Praxis wird jedoch im Ergebnis häufig auf die erste Handlungsmöglichkeit abgestellt, da das Kriterium der unmittelbaren Gefährdung wertungsoffen ist. Daneben wird teilweise vertreten, dass die letzte sichere Handlungsmöglichkeit ausschlaggebend ist. Bei der Argumentation für oder gegen eine Theorie muss man sich auch an der Wertung für das unmittelbare Ansetzen durch Handlung orientieren, da das Gesetz gerade keine Sonderregelungen für das Unterlassen vorsieht.

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