Beweiskraft des HV-Protokolls

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Gegen den Angeklagten A wird vor der großen Strafkammer verhandelt. Die Öffentlichkeit wird unzulässigerweise von der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Im Hauptverhandlungsprotokoll ist nur die Wiederherstellung der Öffentlichkeit protokolliert, nicht aber der Ausschluss.

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Einordnung des Falls

Beweiskraft des HV-Protokolls

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Hauptverhandlung findet grundsätzlich öffentlich statt.

Ja!

Die Hauptverhandlung ist eine Gerichtsverhandlung und insoweit öffentlich (§ 169 S. 1 GVG). Grundsätzlich muss daher jedermann Zutritt zur Hauptverhandlung haben. Beschränkungen gibt es (1) aus persönlichen Gründen (§ 175, 177 GVG), (2) aus rechtlichen Gründen (§§ 171a ff. GVG) und (3) aus tatsächlichen Gründen (Kapazität des Sitzungsraums, Zugangskontrollen).
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2. Im Sitzungsprotokoll wird jede Aussage wortwörtlich festgehalten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Über die Hauptverhandlung ist ein Protokoll zu führen (§§ 271ff. StPO). Darin protokolliert werden jedoch nur die Formalien (§ 272 StPO) und der Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung „im Wesentlichen“ sowie die Beobachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten (§ 273 Abs. 1 StPO). Insbesondere wird grundsätzlich nicht der Wortlaut von Aussagen aufgenommen. Nur bei Hauptverhandlungen vor dem Amtsgericht sind zudem die „wesentlichen Ergebnisse“ der Vernehmungen aufzunehmen (§ 273 Abs. 2 StPO). Die vollständige Niederschreibung und Verlesung der Aussage kann aber angeordnet werden, wenn es auf den Wortlaut (nicht nur auf den Inhalt) der Aussage ankommt (273 Abs. 3 StPO).

3. Grundsätzlich kann nur das Protokoll die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten beweisen.

Ja, in der Tat!

Die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 274 StPO). Das Protokoll hat also positive und negative Beweiskraft. (1) Positive Beweiskraft bedeutet: Was im Protokoll vermerkt ist, gilt als geschehen, auch wenn es tatsächlich nicht zutrifft. (2) Negative Beweiskraft meint: Was im Protokoll nicht vermerkt ist, gilt als nicht geschehen. Der Inhalt des Protokolls kann daher grundsätzlich nur mit dem Nachweis der Fälschung angegriffen werden (§ 274 S. 2 StPO).

4. In Ausnahmefällen kann die Beweiskraft auch ohne Nachweis der Fälschung angegriffen werden.

Ja!

Die Beweiskraft des Protokolls entfällt ausnahmsweise insbesondere auch dann, wenn das Protokoll offensichtliche Lücken, Unklarheiten oder Widersprüche aufweist. Dann muss das Rechtsmittelgericht im Wege des Freibeweises und in freier Beweiswürdigung ermitteln, wie der Verfahrensablauf tatsächlich war. Eine Lücke ist offensichtlich, wenn ein protokollierter Vorgang beweist, dass ein anderer geschehen ist, über den das Protokoll schweigt. Hier wurde die Wiederherstellung der Öffentlichkeit protokolliert. Dieser Vorgang beweist, dass vorher ein Ausschluss stattgefunden hat, über den das Protokoll schweigt, sodass eine offensichtliche Lücke vorliegt.
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