Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Rechtfertigungsgründe
Notstandshandlung – Angemessenheit (§ 34 S.2 StGB)
Notstandshandlung – Angemessenheit (§ 34 S.2 StGB)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A ist irakische Staatsangehörige. Da ihr Leben im Irak bedroht ist, entschließt sie sich mittels einem von Schleusern zur Verfügung gestellten falschen Reisepass, der eine Aufenthaltsgenehmigung für Griechenland enthält, in Deutschland einzureisen.
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Einordnung des Falls
Notstandshandlung – Angemessenheit (§ 34 S.2 StGB)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A hat den Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) erfüllt. Zum Zeitpunkt der Einreise befand sie sich in einer Notstandslage im Sinne von § 34 S. 1 StGB.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Fälschen eines Ausweisdokuments als Notstandshandlung ist angemessen im Sinne von § 34 S. 2 StGB.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Tigerwitsch
22.2.2021, 12:44:12
Könnte A sich nicht auf 35 StGB berufen?
Ferdinand
11.6.2021, 17:40:14
Die Notstandshandlung müsste erforderlich sein. Das ist der Fall, wenn die hier drohende Gefahr für Leib/Leben nicht anders anwendbar ist. M.E. würde man (wenn man im Hinblick auf die Wahrung der Rechtsordnung keinen Wertungswiderspruch zu § 34 hervorrufen will) sagen müssen, dass die drohende Gefahr durch ein ordnungsgemäßes Asylverfahren ebenfalls abwendbar wäre. Daher § 35 (-).
Dominik
27.1.2023, 18:53:10
Ich versteh das garnicht. Warum sollte in dem Fall denn überhaupt deutsches Recht greifen? Sie ist weder deutsche Staatsangehörige noch wird eine Straftat auf deutschem Boden verübt?
Sebastián
31.1.2023, 13:51:29
Ich denke es geht darum, dass sie den gefälschten Reisepass auf deutschem Boden gebraucht, also § 267 I Var. 3 (etwa um die Einreise
behörden zu täuschen) Dann würde sie eine unechte Urkunde gebrauchen - für die Unechtheit der Urkunde ist ja egal, was der (vermeintliche) Ursprungsort des Dokuments ist Dann ist auch deutsches Strafrecht anwendbar gem. §§ 3, 9 I StGB
Dominik
6.2.2023, 17:21:51
Joaaaa ok… aber das ist dann ja nochmal ein ganz anderer Sachverhalt und Tatbestand. An dem Punkt ist sie ja sowieso schon lange nicht mehr durch den rechtfertigen Notstand gerechtfertigt. Das eine ist das verwenden eines gefälschten Ausweisdokuments, um aus einen unsicheren Land zu fliehen und in ein sicheres Land (Griechenland) einzureisen. Etwas ganz anderes ist es dann ja aber, aus einem bereits sicherem Land (Griechenland) nach Deutschland einzureisen und dort die
Behörden weiterhin durch ein gefälschtes Dokument zu betrügen.
der unerkannt geisteskranke E
3.5.2023, 19:52:58
Die Gefahr liegt in einer Abschiebung, die ohne Ausweis droht und eine Gefahr für sie darstellen würde. Ein Notstand ist also auch in Deutschland nicht von vorherein ausgeschlossen.
FalkTG
31.3.2024, 16:06:11
Verstehe ich es richtig, dass der Verweis auf den regulären Rechtsweg nur deswegen angemessen ist, weil Deutschland ein Rechtsstaat ist (und ggf. diese Interessen schützt)?. Was wäre wenn a) Deutschland zB sämtliche Asylrechte abschafft und es keinen anderen Weg gäbe, oder b) Deutschland kein Rechtsstaat mehr wäre (zugegeben dies eignet sich eher für eine fiktive Klausur).
Leonie
23.4.2024, 10:41:41
Ich habe mir die Frage gestellt, ob das Hinzuziehen rechtsstaatlicher Mittel nicht auch schon iRv „nicht-anders-abwendbar“ angesprochen werden müsste. Dort könnte man diese als milderes Mittel ansprechen. Müsste man die rechtsstatlichen Mittel als mildere Mittel dann verneinen, weil sie nicht gleich effektiv sind, weil aus Sicht einer objektiven Geflüchteten in der gleichen Situation nicht sicher ist, ob sie genauso schnell bzw. mit sicherer Wahrscheinlichkeit einen Aufenthaltstitel bekommen würde? Oder lässt man diesen Punkt offen und verneint zumindest die Angemessenheit und damit § 34 StGB?
F. Rosenberg 🦅
16.10.2024, 10:04:40
Beides ist vertretbar. Meines Erachtens sollte man beim Prüfungspunkt ,Erforderlichkeit' immer so vorgehen: Man stellt fest, welche milderen Mittel es gibt - und verneint diese unter Hinweis darauf, dass sie nicht gleich wirksam sind wie das vom Täter gewählte Mittel.