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Als Z in der Frankfurter Innenstadt joggt, sieht sie, wie T auf O einsticht. Z kann als einzige Zeugin das Geschehen wiedergeben. Damit er nicht verurteilt wird, droht T der Z, sie und ihre Familie zu töten, sofern sie gegen ihn aussagt. Z sagt aus, eine Frau habe zugestochen.

Einordnung des Falls

Erforderlichkeit („nicht anders abwendbar“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Z hat durch ihre Aussage den Tatbestand der Falschaussage (§ 153 StGB) erfüllt. Sofern eine Notstandslage, eine Notstandshandlung und ein Verteidigungswille der Z bestand, könnte sie nach dem rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt sein.

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Genau, so ist das!

Der rechtfertigende Notstandstand erfordert eine Notstandslage, eine Notstandshandlung und einen Verteidigungswillen. Geschützt wird nicht nur die Abwehr einer Gefahr von eigenen Rechtsgütern, sondern auch die Notstandshilfe. Also auch Gefahren die einen anderen betreffen. Dies wird durch den Wortlaut des § 34 S. 2 StGB deutlich, nachdem auch andere Rechtsgüter notstandsfähig sind.T bedroht sowohl Zs Leben als auch das Leben von Zs Familie.

2. Die vorherige Inanspruchnahme staatlicher Hilfe ist für die Frage, ob die Gefahr nicht anders abwendbar ist, unerheblich.

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Nein, das trifft nicht zu!

Das Merkmal der Nicht-anders-Abwendbarkeit entspricht dem der Erforderlichkeit bei der Notwehr (§ 32 StGB). Das Verteidigungsmittel muss demnach überhaupt zur Verteidigung geeignet sein und zugleich das relativ mildeste Mittel darstellen. Allerdings beruht der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) auf dem Prinzip der Interessenabwägung und nicht auf dem Rechtsbewährungsprinzip. Weshalb sofern eine Gefahr durch die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe oder durch ein Ausweichen beseitigt wird, dies das relativ mildeste Mittel darstellt.Z hätte sich wegen Ts Drohung an das Gericht oder die Polizei wenden können. Allerdings wäre hierdurch die Gefahr nicht beseitigt worden.

3. Durch Ts Drohung liegt ein Nötigungsnotstand vor.

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Ja!

Ein Nötigungsnotstand liegt vor, wenn ein Dritter den Notstandstäter zu einer Tat unter Einsatz einer Drohung zwingt.Z macht eine Falschaussage, da T ihr und ihrer Familie andernfalls mit dem Tod gedroht hat.

4. Aufgrund des Nötigungsnotstands ist nach h.M. die Angemessenheit der Notstandshandlung (Falschaussage) abzulehnen.

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Genau, so ist das!

Wie sich ein Nötigungsnotstand auf die Angemessenheit auswirkt ist sehr umstritten. Eine Ansicht hält auch bei einem Nötigungsnotstand die Notstandshandlung für angemessen und das Verhalten damit gerechtfertigt. Nach der h.M. ist die Tat eines Notstandstäters im Rahmen eines Nötigungsnotstandes nicht angemessen. Begründet wird dies damit, dass sich der Notstandstäter selbst im Unrecht befindet. Rechtsprinzipien und Rechtswerte werden durch eine Rechtfertigung nicht mehr beachtet, dadurch kann die Notstandshandlung nicht mehr angemessen sein.Z macht eine Falschaussage, da T ihr andernfalls mit dem Tod gedroht hat. Ein Nötigungsnotstand liegt vor. Z's Falschaussage ist nicht gerechtfertigt.

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EB

Elias Von der Brelie

17.5.2023, 12:46:22

Die Falschaussage wäre nicht gerechtfertigt, aber unter Umständen (die hier erfüllt sind?) entschuldigt, oder? Sie würde also trotzdem Straffrei bleiben wenn ich das richtig verstanden habe. Lg

Nora Mommsen

Nora Mommsen

18.5.2023, 11:11:20

Hallo Elias Von der Brelie, danke für deine Frage. Genau - im Fall des Nötigungsnotstands gibt es grob zwei Ansichten. Die eine vertritt eine Rechtfertigungslösung, wonach die im Nötigungsnotstand begangene Tat über § 34 StGB gerechtfertigt sein soll. Nach anderer Ansicht kommt dies nicht in Betracht, da der Genötigte bewusst auf die Seite des Unrechts getreten sei. Danach bleibt nur die Entschuldigung nach § 35 StGB, der engere Voraussetzungen hat und nicht die rechtswidrige Tat sondern nur die Schuld entfallen lässt. In diesem Fall - Gefahr für Leib ung Leben der Z und ihrer Familie, wird man aber eine Anwendbarkeit des § 35 StGB annehmen können. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Benny0707

Benny0707

18.3.2024, 15:12:55

hallo. Die Möglichkeit andere Rechtsgüter unter § 34 StGB zu zählen, steht in § 34 S. 1 StGB und nicht in § 34 S. 2 StGB. Liebe Grüße Benny :)


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