Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Schadensersatz wegen Unmöglichkeit (Leistungsstörungsrecht)

Anfängliche Unmöglichkeit und Vertretenmüssen (Beschaffungsrisiko)

Anfängliche Unmöglichkeit und Vertretenmüssen (Beschaffungsrisiko)

27. Juni 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Fall zur Anfänglichen Unmöglichkeit und Vertretenmüssen (Beschaffungsrisiko): Zwei Frauen schütteln ihre Hände vor einem Plakat auf dem "Hydro" steht. Sie schließen einen Vertrag über ein wasserstoffbetriebenes Rad.

Produzent P kündigt an, ein limitiertes, mit Wasserstoff betriebenes Rad auf den Markt zu bringen. Händlerin H verspricht Investorin I, ihr das Rad nach erfolgter Produktion zu besorgen. P gibt das Projekt wegen technischer Schwierigkeiten auf. I hätte das Rad mit Gewinn verkaufen können.

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Einordnung des Falls

Anfängliche Unmöglichkeit und Vertretenmüssen (Beschaffungsrisiko)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist die Lieferung des Rades für H nach Vertragsschluss unmöglich geworden?

Nein, das trifft nicht zu!

Kann der Schuldner die geschuldete Leistung objektiv oder subjektiv endgültig nicht (mehr) erfüllen, so liegt Unmöglichkeit vor und er wird von seiner Leistungspflicht frei (§ 275 Abs. 1 BGB). Liegt das Leistungshindernis bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschluss vor, so handelt es sich um anfängliche Unmöglichkeit, tritt es erst danach ein, so handelt es sich um nachträgliche Unmöglichkeit.Da das Fahrrad nie hergestellt wurde, war es H von Anfang an unmöglich, ihre Lieferpflicht zu erfüllen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass H erst nach Vertragsschluss erfuhr, dass die Produktion eingestellt wird. Anspruchsgrundlage ist insoweit § 311a Abs. 2 BGB.
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2. Hatte H positive Kenntnis von der Unmöglichkeit?

Nein!

§ 311a Abs. 2 S. 2 BGB schließt die Haftung des Schuldners aus, wenn er das Leistungshindernis bei Vertragsschluss nicht kannte und seine Unkenntnis nicht zu vertreten hatte.Zwar wusste H, dass das Modell derzeit noch nicht existierte. Sie ging allerdings fest davon aus, dass es produziert werden würde. Eine positive Kenntnis der endgültigen Unmöglichkeit lag damit nicht vor.

3. Hatte H ihre Unkenntnis zu vertreten, da sie fahrlässig gehandelt hat?

Nein, das ist nicht der Fall!

Maßstab für das Vertretenmüssen sind die §§ 276 ff. BGB. Sofern also keine strengere oder mildere Haftung vereinbart ist, hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Maßgeblich ist damit die Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB). Das Vertretenmüssen wird vermutet. Dies ergibt sich aus der Negativformulierung des § 311a Abs. 2 S. 2 BGB („das gilt nicht wenn“).Aufgrund der Ankündigung des P musste H nicht damit rechnen, dass die Produktion eingestellt würde. H hat insoweit nicht fahrlässig gehandelt.

4. Hat sich H durch die Übernahme des Beschaffungsrisikos einer strengeren Haftung unterworfen?

Ja, in der Tat!

Ein Vertretenmüssen kann auch ohne Verschulden vorliegen, wenn die Parteien eine schärfere Haftung vereinbart haben, z.B durch Übernahme des Beschaffungsrisikos (§ 276 Abs. 1 BGB). Die Reichweite des Beschaffungsrisikos lässt sich dabei nicht abstrakt festlegen, sondern bestimmt sich nach der Parteivereinbarungen.Das Versprechen, das Rad nach erfolgter Produktion zu liefern, stellt eine marktbezogene Gattungsschuld dar, durch die sich H dazu verpflichtet, das Rad auf dem Markt zu besorgen.

5. Hatte H ihre Unkenntnis zu vertreten, da sie das Beschaffungsrisiko übernommen hat?

Nein!

Die Reichweite des Beschaffungsrisikos lässt sich dabei nicht abstrakt festlegen, sondern richtet sich nach der Parteivereinbarung. Auch bei marktbezogenen Gattungsschulden will der Schuldner im Allgemeinen keine uneingeschränkte Beschaffungspflicht übernehmen, sondern nur für solche Hindernisse haften, die seiner Einflussnahme unterliegen. Die Pflicht findet regelmäßig dort ihre Grenze, wo das Hindernis nicht nur für den Schuldner, sondern für jedermann besteht (insbesondere das Produktionsrisiko).H verspricht I lediglich ihr das Rad auf dem Markt zu besorgen. Das Risiko, dass das Rad nie hergestellt wird, sollte hiervon nicht umfasst werden. Die diesbezügliche Unkenntnis hatte H also trotz Übernahme des Beschaffungsrisikos nicht zu vertreten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Tobias Baumgarten

Tobias Baumgarten

11.10.2024, 14:59:59

Wieso seht ihr hier eine

Unmöglichkeit

bereits bei Vertragsschluss? Es wird bei Vertragsschluss ja vereinbart, dass das Hydro NACH Produktion beschafft wird. Es war also klar, dass dir Verpflichtung zur Beschaffung nicht sofort besteht (dann wäre es anfänglich unmöglich gewesen), sondern erst nach Produktion. Insofern ist die

Unmöglichkeit

doch erst eingetreten, als der Produzent verkündet, dass das Hydro nicht in Produktion gehen wird?!

LELEE

Leo Lee

13.10.2024, 12:02:28

Hallo Tobias Baumgarten, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat lässt sich der Einwand hören, dass bei Vertragsschluss noch "nichts unmöglich" war, zumal das Hydro erst NACH Produktion abgesetzt wurde. Beachte allerdings, dass dieses Hindernis, was zum Zeitpunkt der Fälligkeit, der wiederum in der Zeitspanne NACH Vertragsschluss liegt, im Grunde nur fortgesetzt wird. D.h. also, dass bildlich gesprochen die

Unmöglichkeit

- also dass das Produkt nie hergestellt wird - bereits beim Vertragsschluss im "Keim angelegt" war und sich dieses Risiko nunmehr verkörpert/realisiert hat. Denn nachträglich unmöglich wird eine Leistung nur, wenn sie überhaupt mal möglich war. Wenn aber das Hydro bei Vertragsschluss nicht verfügbar war und nach dem Vertragsschluss immer noch nicht, dann war es Quasi "niemals" verfügbar, weshalb bereits bei Vertragsschluss die Leistung unmöglich war. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst §

311a

Rn. 36 sehr empfehlen :)! Liebe Grü

JURA

juramaus1

20.11.2024, 16:20:36

Könnte man auch sagen, dass die Grenze des

Beschaffungsrisiko

s in der objektiven

Unmöglichkeit

liegt?


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