Anfängliche Unmöglichkeit und fehlendes Vertretenmüssen

16. Februar 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V trifft K in Freiburg, um ihren Oldtimer „Tommy“ zu verkaufen. Noch vor Vertragsabschluss stehlen unbekannte Diebe „Tommy“ aus Vs gut gesichertem Ferienhaus auf Rügen. K, der zur Abholung mit V nach Rügen gekommen war, verlangt Ersatz seines entgangenen Gewinns für den geplanten Weiterverkauf sowie der Fahrtkosten.

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Einordnung des Falls

Anfängliche Unmöglichkeit und fehlendes Vertretenmüssen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann von V Übergabe und Übereignung des Wagens verlangen (§ 433 Abs. 1 BGB).

Nein!

Bei Abschluss eines Kaufvertrages ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 BGB). Die Leistungspflicht des Schuldners ist aber ausgeschlossen, wenn die Leistungserbringung unmöglich geworden ist (§ 275 Abs. 1 BGB.) V und K haben einen Kaufvertrag über den Oldtimer "Tommy" (Stückschuld) geschlossen. Die Übergabe und Übereignung von Tommy ist V durch den Diebstahl subjektiv unmöglich geworden (§ 275 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Damit ist der Anspruch des K auf Übergabe und Übereignung von Tommy untergegangen.
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2. K kann den entgangenen Gewinn von V als Schadensersatz verlangen, sofern die Voraussetzungen des §§ 311a Abs. 2 BGB vorliegen.

Genau, so ist das!

Der Anspruch auf Schadensersatz wegen anfänglicher Unmöglichkeit (§ 311a Abs. 2 BGB) setzt voraus: (1) Schuldverhältnis, (2) Pflichtverletzung in Form der anfänglichen Unmöglichkeit, (3) Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Unmöglichkeit (Vertretenmüssen) und (4) Schaden.

3. V hat ihre vertraglichen Pflichten verletzt.

Ja, in der Tat!

Eine Pflichtverletzung nach §§ 311a Abs. 2 BGB liegt vor, wenn (1) die fällige Leistung nicht erbracht wird und (2) der Schuldner seine Leistung nach §§ 275 Abs. 1-3 BGB von Anfang an nicht erbringen muss.Da es V aufgrund des Diebstahls bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschluss unmöglich war, ihre Leistungspflicht zu erfüllen, lag eine Pflichtverletzung in Form der anfänglichen, subjektiven Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 Alt. 1 BGB) vor.

4. V hatte die Unkenntnis über den Diebstahl zu vertreten.

Nein!

Maßstab für das Vertretenmüssen sind die §§ 276 ff. BGB. Sofern keine strengere oder mildere Haftung vereinbart ist, hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Maßgeblich ist insoweit also die Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt.Vs Ferienhaus war gut gesichert. Sie musste nicht damit rechnen, dass der Wagen während ihrer Abwesenheit gestohlen würde. V hat ihre Unkenntnis nicht zu vertreten.

5. K kann seinen entgangenen Gewinn nach § 311a Abs. 2 BGB von V ersetzt verlangen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Anspruch auf Schadensersatz wegen anfänglicher Unmöglichkeit (§ 311a Abs. 2 BGB) setzt voraus: (1) Schuldverhältnis, (2) Pflichtverletzung in Form der anfänglichen Unmöglichkeit, (3) Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Unmöglichkeit (Vertretenmüssen) und (4) Schaden.Da V ihre Unkenntnis über den Diebstahl nicht zu vertreten hatte, liegen die Voraussetzungen des § 311a Abs. 2 BGB nicht vor.

6. Nach einem Teil der Literatur kann K zumindest seine Fahrtkosten nach § 122 BGB analog ersetzt bekommen.

Ja, in der Tat!

Ein Teil der Literatur (u.a. Canaris) vertritt, dass dem Gläubiger im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit zumindest sein negatives Interesse analog § 122 BGB ersetzt werden müsse. Denn insoweit bestehe (1) eine planwidrige Regelungslücke. (2) Es bestünde auch eine vergleichbare Interessenlage zu den Fällen der Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB. Denn wenn sich der Schuldner über eine verkehrswesentliche Eigenschaft irre, dürfe er sich auch nur zum Preis des Ersatzes des Vertrauensschadens (§ 122 BGB) lösen. Damit vergleichbar sei ein Irrtum über die eigene Leistungsfähigkeit.Da K die Fahrt nur unternommen hat, weil er auf den Vertrag vertraut hat, wären ihm die Kosten als Vertrauensschaden nach § 122 BGB analog zu ersetzen.

7. Nach der herrschenden Meinung kann K zumindest seine Fahrtkosten als Vertrauensschaden nach § 122 BGB analog ersetzt verlangen.

Nein!

Nach der überwiegenden Ansicht in der Literatur (u.a. Looschelders) fehle es bereits an der planwidrigen Regelungslücke für eine Analogie. Es handele sich bei § 119 Abs. 2 BGB zudem um eine ohnehin systemwidrige Ausnahmeregelung. Diese dürfe nicht auch noch durch eine analoge Anwendung ausgedehnt werden. Schließlich verstoße eine analoge Anwendung des § 122 BGB auch gegen das in § 311a Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommende Verschuldensprinzip.Lehnt man die analoge Anwendung von § 122 BGB ab, so könnte K die Fahrtkosten nicht ersetzt verlangen.
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