Vorsätzliche a.l.i.c. bei verhaltensneutralen Erfolgsdelikten - Grundfall
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Jurastudium und Referendariat.
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T möchte seinen seit geraumer Zeit nervenden Sohn S mit einem Messer erstechen. Bevor er diesen Plan in die Tat umsetzt, betrinkt er sich bewusst in einen schuldausschließenden Zustand, um nicht bestraft werden zu können und weil er weiß, dass ihm im nüchternen Zustand der Mut für die Tat fehlen würde.
Einordnung des Falls
Vorsätzliche a.l.i.c. bei verhaltensneutralen Erfolgsdelikten - Grundfall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat sich wegen Totschlags zum Nachteil von S strafbar gemacht, indem er mit einem Messer auf diesen eingestochen hat (§ 212 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
2. In Fällen, wie dem vorliegenden, ist eine Strafbarkeit des Täters stets ausgeschlossen.
Nein!
3. Nach einer Ansicht wäre die Strafbarkeit des T mit einer Ausnahme vom Schuldgrundsatz zu begründen.
Genau, so ist das!
4. Gemäß einer von einer anderen Ansicht präferierten weiten Auslegung des § 20 StGB, ist T indes schon nicht "bei Begehung der Tat" schuldunfähig gewesen.
Ja, in der Tat!
5. Nach den Tatbestandsmodellen fungiert indes eine Strafbarkeit des T gemäß § 212 StGB i.V.m. den Grundsätzen zur a.l.i.c. als eigenständiger Prüfungspunkt. Nach einer Ansicht macht sich T durch das Sich-Betrinken zum Werkzeug seiner selbst.
Ja!
6. Nach der herrschenden Lösung wird der Beginn der Tat auf das Herbeiführen des schuldausschließenden Rauschzustandes vorgelagert, sodass sich T bereits durch das Sich-Betrinken gemäß § 212 StGB strafbar gemacht hat.
Genau, so ist das!
7. Indes schließt eine weit verbreitete Ansicht die Konstruktion der a.l.i.c. aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken sogar gänzlich aus.
Ja, in der Tat!
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lennart20
20.4.2023, 12:01:35
Ihr könntet hier noch Anmerkungen zur fahrlässigen alic hinzufügen. Danke
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lennart20
20.4.2023, 12:04:59
Muss ich revidieren, kommt im Anschluss zu diesem Fall. Also alles wunderbar liebes Jurafuchs-team
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Nora Mommsen
20.4.2023, 12:05:57
Hallo lennart20, danke dir für den Hinweis. Nach allgemeiner Ansicht braucht es keiner fahrlässigen ALIC, da die fahrlässig begangene Tat nach den allgemeinen Grundsätzen zu sorgfaltswidrigem Verhalten beurteilt werden kann. Liebe Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
objektivezurechnung
23.9.2023, 16:13:14
Ihr schreibt, dass das Ausnahmemodell eine Ausnahme vom Schuldprinzip macht, aber macht es nicht (auch oder vor allem) eine Ausnahme vom Koinzidenzprinzip?
Leo Lee
24.9.2023, 10:36:08
Hallo objektivezurechnung, das stimmt auf jeden Fall, dass das Ausnahemodell auch eine Ausnahme vom Koinzidenzprinzip macht. Dies geschieht über „zwei Ecken“, indem eine Ausnahme vom Schuldprinzip gemacht wird. Da aber die Schuld bei der Tatbegehung (Koinzidenz) vorliegen muss, wird konsequenterweise eine Ausnahme auch vom Koninzidenzprinzip gemacht :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
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HGWrepresent
25.10.2023, 22:19:29
Das Koinzidenzprinzip hier in der Klausur zu erwähnen, wäre aber ziemlich gut. Sollte also hinzugefügt werden, wenn möglich
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HGWrepresent
25.10.2023, 22:22:00
Ist das Vorverlagerungsmodell nicht eine Unterform des Tatbestandsmodell? Der Tatbestand wird auf das sich mit Dopplevorsatz Betrinken vorverlagert
Leo Lee
29.10.2023, 11:00:50
Hallo HGWrepresent, in der Tat könnte man das so sagen! Die Tatbestandsmodelle haben alle gemeinsam, dass die alic keine Ausnahme vom § 20 StGB darstellt, sondern vielmehr das Sichbetrinken Teil der „Begehung der Tat“ i.S.v. § 20 StGB (also dessen Bestandteil) ist. Dieser Bestandteil führt dann kausal zum Erfolg. Eine Ausprägung hiervon ist dann die Vorverlagerungstheorie, die besagt, dass das Sichbetrinken die Handlung darstellte, die dann kausal zum Tod führt usw. Beachte zudem, dass auch die Ausdehnungstheorie – die besagt, dass „bei Begehung“ im Grunde ausgedehnt wird auf den gesamten Zeitraum vom Trinken bis zum Töten – ein Tatbestandsmodell ist. Ansonsten kann ich dir die Lektüre von Wessels/Beulke/Satzger AT 52. Auflage, Rn. 657 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
tonys
10.1.2024, 21:27:23
Wenn sich der Täter nach hM schon beim sich-betrinken strafbar macht, müsste er mit dem ersten Schluck unmittelbar zum Versuch angesetzt haben, falls der Taterfolg nicht eintreten sollte, oder?
Leo Lee
14.1.2024, 14:58:00
Hallo Tony, vielen Dank für diese sehr gute Frage! Der von dir genannte Ansatz ist einer, den man sehr gut vertreten kann. Leider gibt es auch innerhalb der h.M. einen Streit darüber, wann eigentlich das unm. Ansetzen beginnt (mit Eintritt der Schuldlosigkeit oder bereits mit dem Trinken?). Einer Ansicht nach beginnt der Versuch erst bei Eintritt der Schuldunfähigkeit. Überwiegend wird anscheinend jedoch angenommen, dass die Grenze bei einer ALIC-Versuchstat nicht anders verläuft als gewöhnlich. D.h., dass ganz klassisch die Formel mit „jetzt geht’s los“ – aber bei der „richtigen“ Tat später (also wenn man gerade dabei ist zu schießen o.ä.) und nicht schon beim Trinken – greift, wozu das Trinken an sich noch nicht gehört. Eine sehr gute Darstellung dieses Streits findest u.a. hier: https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/ls-mitsch/Examen/43.pdf, Seite 4 :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo