Berechnung für Fahruntüchtigkeit

15. Juli 2025

10 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T glüht bis 1 Uhr morgens vor. Dann setzt sie sich in ihren Polo, um feiern zu gehen. Die Preise im Club sind ihr zu teuer, weshalb sie nichts mehr trinkt. Auf dem Rückweg gerät sie gegen 6 Uhr in eine Polizeikontrolle. Die Blutprobe, die T um 7 Uhr morgens entnommen wird, weist eine Blut-Alkoholkonzentration (BAK) von 0,1 Promille (‰) auf.

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Einordnung des Falls

Berechnung für Fahruntüchtigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T könnte sich wegen Trunkenheit im Verkehr strafbar gemacht haben (§ 316 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Der objektive Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB ist erfüllt, wenn der Täter ein Fahrzeug im öffentlichen Verkehr trotz alkohol- oder sonst rauschmittelbedingter Fahruntüchtigkeit führt. Bei alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit kommt es maßgeblich auf die BAK zum Tatzeitpunkt an. Liegt diese bei Führern eines Kraftfahrzeuges über 1,1 ‰, so gelten sie unwiderleglich, als ungeeignet ein Kraftfahrzeug zu führen (sog. absolute Fahruntauglichkeit. Liegen alkoholbedingte Ausfallerscheinungen vor (z. B. unsichere Fahrweise) kann eine Untauglichkeit aber bereits ab 0,3 ‰ angenommen werden. Bei Fahrradfahrern ist die Schwelle der absoluten Fahruntauglichkeit erst ab 1,6‰ erreicht.
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2. Aufgrund der entnommenen Blutprobe ist davon auszugehen, dass T sowohl bei ihrer Fahrt um 1 Uhr, als auch bei ihrer Rückfahrt um 7 Uhr eine BAK von 0,1 ‰ aufwies.

Nein!

Maßgeblich ist stets die BAK zum Zeitpunkt der Tat. Bei der BAK handelt es sich allerdings um keine statische Größe. Der im Blut vorhandene Alkohol wird vielmehr vom Körper laufend über die Leber abgebaut. Sofern die Blutprobe also nicht unmittelbar zum Zeitpunkt der Tat entnommen wurde, muss zur Bestimmung der Tatzeit-BAK eine Rückrechnung erfolgen.In vielen Lehrbüchern findest Du neben der Rückrechnungsmethode für die Berechnung der BAK auch die sogenannte „Widmark-Formel“. Diese würde man allerdings nur benötigen, wenn keine Blutuntersuchung erfolgt ist, also eine Rückrechnung mangels Angabe einer gemessenen BAK nicht möglich ist. Da hier zahlreiche tatsächliche Angaben (Angaben zur Trinkmenge (z. B. 5 Gläser Wein) inklusive des darin enthaltenen Alkohols, das Gewichts des Täters sowie der Trinkgeschwindigkeit) benötigt werden, eignet sich diese nur bedingt für eine Klausur. In der Assessorklausur steht Dir notfalls hier der Kommentar zur Verfügung (Fischer, StGB, § 20 RdNr. 14-15a).

3. Bei der Rückrechnung zur Ermittlung der Fahruntüchtigkeit sind die ersten beiden Stunden nach Trinkende von der Rückrechnung auszunehmen.

Genau, so ist das!

Nach dem Trinken gelangt nicht der gesamte Alkohol unmittelbar ins Blut. Wie lange der Prozess dauert, ist u.a. von der Trinkgeschwindigkeit und dem Füllstand des Magens abhängig. Unter Umständen kann die BAK in dieser Zeit also noch steigen. Um jede Benachteiligung des Täters durch die Rückrechnung zu vermeiden, muss diese Zeit nach dem Zweifelsgrundsatz für eine Rückrechnung deshalb außer Betracht bleiben. Spätestens nach zwei Stunden ist die Resorptionsphase aber auf jeden Fall abgeschlossen, sodass bis zu diesem Zeitpunkt zurückgerechnet werden kann.Da die Fahruntüchtigkeit zum Tatbestand gehört, ist es für den Täter günstig, wenn ein möglichst geringer BAK-Wert bei der Rückrechnung zustande kommt.

4. Außerhalb der Resorptionsphase ist ein stündlicher Abbauwert in Höhe von 0,1 ‰ zu der gemessenen BAK hinzuzurechnen.

Ja, in der Tat!

Jeder Mensch baut unterschiedlich schnell Alkohol ab. Der Mindestabbau liegt allerdings bei 0,1‰. Zugunsten des Täters (in dubio pro reo) wird deshalb angenommen, dass bei ihm nur dieser Mindestabbau erfolgt ist, sodass auch nur in dieser Höhe eine Rückrechnung erfolgt.

5. Bei der Rückrechnung zur Ermittlung der Fahruntüchtigkeit ist zudem ein Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ hinzuzurechnen.

Nein!

Wird die Schuldunfähigkeit ermittelt, wird ein Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille zugunsten der Beschuldigten hinzugerechnet. Im Falle der Ermittlung der Fahruntüchtigkeit ist hingegen ein möglichst niedriger BAK Wert für die Beschuldigte günstig, sodass es keinen Sicherheitszuschlag gibt (in dubio pro reo).

6. Zum Zeitpunkt ihrer ersten Fahrt um 1 Uhr hatte T eine BAK von 0,7‰.

Nein, das ist nicht der Fall!

Kommt es auf Tatbestandsebene auf die BAK an, so ist grundsätzlich für jede Stunde, die zwischen der Tat und der Messung der BAK vergangen ist, ein Abbauwert von 0,1‰ zur gemessenen BAK zu addieren. Für den Zeitraum der Resorptionsphase (=2h nach Trinkende) darf allerdings keine Rückrechnung erfolgen.Zwar liegen zwischen der Blutentnahme (7 Uhr) und der Fahrt (1 Uhr) insgesamt 6 Stunden. Der Zeitraum zwischen 1 Uhr und 3 Uhr muss indes als Resorptionsphase für die Rückrechnung ausgeklammert werden. Somit darf nur bis 3 Uhr zurückgerechnet werden, also 4 Stunden. Für die strafrechtliche Beurteilung ist somit davon auszugehen, dass T zum Zeitpunkt der ersten Fahrt eine BAK von 0,5‰ (=0,1‰ + 4 × 0,1‰) aufwies.Da damit lediglich die Schwelle der relativen Fahruntauglichkeit überschritten ist, bedarf es zur Erfüllung des Tatbestandes zusätzlich des Nachweises, dass T Ausfallerscheinungen aufwies.

7. Für die Rückfahrt um 6 Uhr ist von einer Tatzeit-BAK von 0,2 ‰ auszugehen, sodass T hier noch nicht einmal relativ fahruntüchtig war.

Ja, in der Tat!

(1) Da zwischen der Rückfahrt und dem Trinkende (1 Uhr) mehr als zwei Stunden liegen, ist die Resorptionsphase bereits vorbei, sodass diese hier nicht mehr berücksichtigt werden muss. (2) Zwischen der Fahrt um 6 Uhr und der Messung um 7 Uhr liegt aber auch nur eine Stunde. Deshalb sind zu dem gemessenen Wert von 0,1‰ nur 0,1‰ zu addieren, also insgesamt 0,2‰. Da frühestens ab 0,3 ‰ relative Fahruntüchtigkeit angenommen werden kann, scheidet eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1 StGB jedenfalls für die Rückfahrt aus.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

abc123

abc123

10.4.2024, 16:15:33

In der letzten Fragestellung wird gesagt, dass sie einen BAK-Wert von 0,2 Promille hatte, obwohl in der Aufgabenstellung ein Wert von 0,1 Promille genannt wird,

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.4.2024, 13:02:19

Hi Mi.S., hier musst Du ein wenig aufpassen. In der letzten Frage wird auf die Fahrt um 6 Uhr abgestellt, wohingegen die im Sachverhalt angegebene BAK erst um 7 Uhr gemessen wurde. Daraus ergibt sich der Unterschied :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Fräulein Cowds

Fräulein Cowds

16.5.2024, 10:35:27

Angenommen, die Be

schuld

igte erklärt nicht, wann sie zuletzt getrunken hat. Würde dann keine Rückrechnung erfolgen, da man (tätergünstig) davon ausgeht, dass das Trinkende dem Tatzeitpunkt entspricht und die 2h Resorptionszeit zum Zeitpunkt der Blutabnahme noch nicht erreicht waren?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

21.10.2024, 11:24:35

Hallo @[Fräulein Cowds](19897), eine gute Frage! Für die Rückfahrt wäre tatsächlich genau das der Fall. Haben wir keine anderen Anhaltspunkte, müssen wir

in dubio pro reo

davon ausgehen, dass das Trinkende mit dem Tatzeitpunkt zusammenfällt und die

Resorptionsphase

noch läuft. Dementsprechend würde keine Rückrechnung erfolgen, die BAK zum Tatzeitpunkt der Rückfahrt wäre 0,1. In der Praxis könnte man hier mit einer erneuten Probe 1/2 oder 1 Std später versuchen zu prüfen, ob die

Resorptionsphase

tatsächlich noch läuft. Eine sinkende BAK könnte dagegen sprechen. Bei nur 1 Std Differenz zwischen Entnahme und Tatzeit käme man hier aber ohnehin nicht über 0,2, also nicht in den potenziell strafrechtlich relevanten Bereich. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Nocebo

Nocebo

17.5.2024, 15:11:50

Wenn kein Nachtrunk erfolgt ist und um 7 Uhr ein BAK von 0,1 Promille vorlag, lag dieser denklogisch auch schon um 1 Uhr vor. Das ist für Verkehrsdelikte auch ausreichend, da es hierbei auf die Alkoholmenge im Körper ankommt. Die dsbzgl. Frage ist damit falsch.

Nocebo

Nocebo

17.5.2024, 15:14:00

Jedenfalls ist die Frage insoweit nicht präzise, als ja ein BAK von mindestens 0,1 auch zu diesem Zeitpunkt schon vorgelegen haben muss - in einer späteren Frage erfolgt dann eine Rückrechnung auf 0,5

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

21.10.2024, 10:51:12

Hallo @[Nocebo](222699), ich verstehe Deinen Punkt. Die Aufgabe fragt hier aber nicht danach, ob die Be

schuld

igte eine "BAK von MINDESTENS 0,1" aufwies (dann hättest du völlig Recht), sondern ob sie eine "BAK von 0,1" aufwies. Und das ist eben falsch, wie auch die spätere Rückrechnung auf 0,5 zeigt. Ich sehe auch nicht, dass wir das in der Aufgabe unbedingt präzisieren müssten, weder nach dem umgangssprachlichen noch nach dem juristischen Sprachgebrauch. Natürlich würde man sagen, dass jemand mit 3,0 auch MINDESTENS eine BAK von 0,1 hatte. Aber es würde wohl kaum jemand sagen, dass jemand mit 3,0 "eine BAK von 0,1" hat - zumal die 0,1 nicht einmal ein Grenzwert ist, der für uns iRd Aufgabe irgendeine Relevanz hat. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

MerkurMagie

MerkurMagie

22.5.2025, 16:25:51

Im Zusammenhang mit BAK-Berechnungen ist mir schon häufiger der Begriff der Anflutwirkung untergekommen. Dieser bezeichnet den Effekt während der Resorbtionsphase, dass zwar der BAK noch gering ist, die körperlichen Auswirkungen/Beeinträchtigungen durch die „Anflutwirkung" aber dennoch relativ stark sind. Ist diese Figur ggf. auch im Bezug auf Verkehrsdelikte relevant oder scheidet diese aufgrund von

in dubio pro reo

vollständig aus? Man könnte sich ja Fälle denken, in denen der Täter mit noch geringem BAK (Bsp. 0,2) unterwegs ist, jedoch Schlangenlinien fährt und bei der Fahrt einen Schnaps oder Shots genießt. Also zumindest etwas, wo durch den hohen Alkoholgehalt eine solche Anflutwirkung verhältnismäßig stark ausfallen könnte. Könnte hier auch eine

relative Fahruntüchtigkeit

+ Anflutwirkung abgestellt werden?


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