Folgen des fehlenden Verteidigungswillens
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
B ist stolzer Besitzer eines Bullterriers. Nachbarin N hasst Bs Hund. Als Postbote P die Post einwirft, beißt sich der Bullterrier in Ps Bein. N sieht ihre Chance, den Hund ungestraft loszuwerden und schießt auf den Bullterrier. P ist N dabei völlig egal. Der Hund stirbt.
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Einordnung des Falls
Folgen des fehlenden Verteidigungswillens
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. N hat durch den Schuss den Tatbestand einer Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) verwirklicht.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. P befand sich in einer Notstandslage (§ 228 BGB).
Ja!
3. B versuchte durch Rufe und Ziehen an dem Hund, diesen von P abzubringen. Doch der Hund ließ nicht los. Stellt der Schuss der N insofern eine taugliche Notstandshandlung (§ 228 BGB) dar?
Genau, so ist das!
4. Das subjektive Rechtfertigungselement lag vor.
Nein, das trifft nicht zu!
5. Ns fehlender Verteidigungswille führt unstreitig zur Bestrafung wegen vollendeter Sachbeschädigung (§ 303 StGB).
Nein!
6. Wenn N den Terrier „zerstört“ hat, um eine durch ihn drohende Gefahr von P abzuwenden, ist ihr Handeln gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des defensiven Notstandes vorlagen (§ 228 BGB).
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Elias Von der Brelie
17.5.2023, 14:26:58
Ich weiß, dass das hier keine Rolle spielt, aber praktisch könnte man ja niemals beweisen, dass P der N völlig egal war. Wenn ich das richtig verstanden habe wäre ja sogar ein mit-Interesse an Ps Gesundheit ausreichend gewesen. In diesem Fall (wo wir die Umstände vorgegeben haben) würde es also zur Verurteilung kommen, praktisch allerdings wohl mit relativer Sicherheit nicht, korrekt? Ich schätze meine Frage ist, wie viel Beweislast praktisch ausreicht um mit Sicherheit davon ausgehen zu können, dass P egal war. Wäre einzig ein Gestehen von N ausreichend? Tut mir leid für diese Interessenfrage. LG, Elias
se.si.sc
17.5.2023, 16:17:42
Mit dem Wort "niemals" wäre ich gerade bei Beweisfragen vorsichtig, irgendeine theoretische Möglichkeit besteht meistens eben doch. Zum Fall: Natürlich stimmt es, dass man in der Praxis hier der N zunächst glauben würde, wenn sie sagt, dass es ihr um P ging. Meines Erachtens könnte man den Fall aber durchaus praxisnah so basteln, dass daran doch erhebliche Zweifel bestehen. So könnte beispielsweise eine weitere Nachbarin glaubhaft aussagen, dass N sich schon öfter mit B wegen des Hundes in die Wolle gekriegt hat und bei Gelegenheit auch mal geäußert hat, sie hätte nichts dagegen, "wenn der Hund verschwindet". Treten solche und/oder ähnliche Umstände hinzu, von denen wir hier zugegebenermaßen nichts wissen, kann man auch in der Praxis mal am
Verteidigungswillen zweifeln. Zur Frage mit der Beweislast: Die kann dir abstrakt niemand beantworten, erforderlich ist "ein ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt" (statt vieler BGH Urt v 26.8.2020 - BGH 2 StR 587/19; vgl auch §
261 StPO) - eine reine Einzelfallfrage. Ein Geständnis der Angeklagten dürfte häufig ausreichen, gerade dann, wenn keine sonstigen besonderen Umstände vorliegen (wie die oben genannten) und wir auch keinen Grund haben, an der Richtigkeit des Geständnisses zu zweifeln.
Elias Von der Brelie
17.5.2023, 16:29:30
Vielen dank für die Antwort erstmal. Es könnten ja immer m
ehrere Motive vorliegen. Meines Erachtens wäre es naheliegend, dass der Schutz des P zumindest einer der potentiell vielen Gründe wäre, selbst wenn klar ist, dass N den Hund schon seit längerem Tot sehen wollte. Es kann ja nicht wirklich widerlegt werden, dass N möglicherweise unter anderem Interesse am Schutz von P hatte. Es heißt ja häufig, dass es "mit an Sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit" angenommen werden kann. Eine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" lässt sich hier aber soweit ich sehen kann nicht erreichen. Also wird das hier nicht so genau genommen? Ich finde es immer ein wenig merkwürdig wenn die Rechtssprechung behauptet so etwas wie ein potentielles Nebenmotiv mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestimmen zu können nur durch Ermittlung von Hinweisen.
se.si.sc
17.5.2023, 18:12:40
Wie gesagt, du hast schon Recht, dass das absolute Ausnahmefälle sein werden, weil man den Nachweis in aller Regel nicht wird führen können und es hier absolut ausreicht, dass eines der Motive die Abwehr der Gefahr ist. Und die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit hätten wir tatsächlich in fast allen Fällen nur dann, wenn die Angeklagte sich (nicht gerade clever) dahingehend einlassen würde, dass es ihr einzig und allein darum ging, den Hund umzubringen, ob er jetzt gerade P angreift oder nicht. Das wird praktisch kaum vorkommen, ich würde aber nie vollkommen ausschließen, dass es nicht auch in der Praxis irgendwelche seltsamen Konstellationen gibt, in denen das doch der Fall ist. Und natürlich wird die "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" auch hier ernst genommen. Jura ist aber eben nicht Mathe und Abgrenzungen sprachlicher Art nicht immer trennscharf. Letztlich sind sämtliche subjektiven Merkmale vor dem Hintergrund immer schierig, weil wir dem Angeklagten nicht in den Kopf schauen können, es bleiben also nur objektive Anhaltspunkte als Indizien dafür, dass bestimmte subjektive Voraussetzungen erfüllt sind; das gilt für Neben- ebenso wie für Hauptmotive.
Elias Von der Brelie
18.5.2023, 02:01:54
Okay. Dann sind wir einer Meinung. Meine Ausdrucksweise war unpassend aber mir ist bewusst, dass man es theoretisch nicht ausschließen kann. Ich bin allerdings beruhigt, dass hier praktisch wohl keine allzu luftigen Unterstellungen gemacht werden. Danke für die ausführliche Antwort nochmal. LG, Elias