+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

B ist stolzer Besitzer eines Bullterriers. Nachbarin N hasst Bs Hund. Als Postbote P die Post einwirft, beißt sich der Bullterrier in Ps Bein. N sieht ihre Chance, den Hund ungestraft loszuwerden und schießt auf den Bullterrier. P ist N dabei völlig egal. Der Hund stirbt.

Einordnung des Falls

Folgen des fehlenden Verteidigungswillens

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. N hat durch den Schuss den Tatbestand einer Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) verwirklicht.

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Ja, in der Tat!

Eine Sachbeschädigung liegt bei einer Beschädigung (§ 303 Abs. 1 Alt. 1 StGB) oder Zerstörung (§ 303 Abs. 1 Alt. 2 StGB) einer fremden Sache vor. Eine Zerstörung ist die Vernichtung einer Sache oder aber auch eine solche Einwirkung, wodurch es zur vollständigen Aufhebung der Gebrauchbarkeit einer Sache kommt.Tiere gelten strafrechtlich als eine Sache. Der Hund ist tot.

2. P befand sich in einer Notstandslage (§ 228 BGB).

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Ja!

Eine Notstandslage (§ 228 BGB) liegt vor, wenn von einer Sache eine Gefahr für ein Rechtsgut droht. Eine Gefahr ist ein Zustand, der bei ungehindertem Fortgang den Eintritt eines Schadens für ein notstandsfähiges Rechtsgut ernstlich befürchten lässt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen getroffen werden. Der Hund beißt bereits in Ps Bein, sodass dessen körperliche Unversehrtheit bedroht ist.

3. B versuchte durch Rufe und Ziehen an dem Hund, diesen von P abzubringen. Doch der Hund ließ nicht los. Stellt der Schuss der N insofern eine taugliche Notstandshandlung (§ 228 BGB) dar?

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Genau, so ist das!

Eine Notstandshandlung (§ 228 BGB) ist die Beschädigung oder Zerstörung der gefährlichen Sache, die erforderlich ist. Erforderlich ist die Handlung, wenn sie geeignet ist und das relativ mildeste Mittel darstellt. Geeignet ist eine Handlung, wenn sie dazu förderlich ist, die Gefahr abzuwehren. Das mildeste Mittel setzt voraus, dass bei gleicher Eignung ein Mittel gewählt wurde, dass per se milder ist als die anderen zur Verfügung stehenden Mittel. Nur durch die Tötung konnte die Gefahr wirksam abgewandt werden. Ps körperliche Unversehrtheit überwiegt Bs Eigentum wesentlich.

4. Das subjektive Rechtfertigungselement lag vor.

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach h.M. muss der Notstandstäter einen Verteidigungswillen gehabt haben. Ein Verteidigungswille erfordert ein Handeln in Kenntnis und aufgrund der Notstandslage. Es wird nicht vorausgesetzt, dass die Verteidigung der einzige Zweck ist. So kann auch ein Motivbündel vorliegen und der Notstandstäter ist dennoch nach dem defensiven Notstand (§ 228 BGB) gerechtfertigt, sofern die Verteidigung zumindest eine Rolle gespielt hat.N hat zwar Ps Notstandslage erkannt. Sie hat jedoch nicht geschossen, um die Gefahr von P abzuwenden, dieser war ihr völlig egal.

5. Ns fehlender Verteidigungswille führt unstreitig zur Bestrafung wegen vollendeter Sachbeschädigung (§ 303 StGB).

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Nein!

Die Folge eines fehlenden Verteidigunswillen ist umstritten: Nach der Versuchslösung der wohl h.L. wird der Notstandstäter nicht wegen eines vollendeten Delikts bestraft, sondern nur wegen Versuchs. Das Unrecht einer Tat bestehe aus dem Handlungs- und dem Erfolgsunrecht. Nach dem Kompensationsgedanken wird sowohl das Handlungs- als auch Erfolgsunrecht durch eine objektiv und subjektiv gerechtfertigte Tat beseitigt. Bei einer Handlung ohne Verteidigungswillen wird zwar das Erfolgsunrecht kompensiert, das Handlungsunrecht bleibt jedoch bestehen. Dagegen bestraft die Rechtsprechung wegen vollendeten Delikts (Vollendungslösung). Da mangels Verteidigungswillen die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes nicht vorlägen, handele der Täter nicht gerechtfertigt.

6. Wenn N den Terrier „zerstört“ hat, um eine durch ihn drohende Gefahr von P abzuwenden, ist ihr Handeln gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des defensiven Notstandes vorlagen (§ 228 BGB).

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Ja, in der Tat!

In objektiver Hinsicht verlangt § 228 BGB eine (1) Notstandslage, eine (2) Notstandshandlung und eine (3) Interessenabwägung. Außerdem muss der Täter in subjektiver Hinsicht mit (4) Verteidigungsabsicht (subjektives Rechtfertigungselement) handeln. § 228 BGB wird als defensiver Notstand bezeichnet, da der Täter hier in defensiver Weise eine Sache beschädigt oder zerstört, von der eine Gefahr droht. Dagegen wird § 904 BGB als aggressiver Notstand bezeichnet, da der Täter hier in aggressiver Weise auf eine Sache einwirkt, von der selbst gar keine Gefahr ausgeht.

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