Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Versuch und Rücktritt
Erfolgsqualifizierter Versuch - Strafbarkeit bei Straflosigkeit des Versuches des Grunddeliktes 1
Erfolgsqualifizierter Versuch - Strafbarkeit bei Straflosigkeit des Versuches des Grunddeliktes 1
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T möchte das 17-jährige Kind O den Eltern entziehen und dabei Gewalt anwenden. T setzt gerade zur Gewaltanwendung an, als O freiwillig in seinen Wagen springt. Später verstirbt O aufgrund fehlender elterlicher Fürsorge.
Diesen Fall lösen 50,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Erfolgsqualifizierter Versuch - Strafbarkeit bei Straflosigkeit des Versuches des Grunddeliktes 1
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Versuch der Entziehung Minderjähriger unter 18 mit Gewalt (§ 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB) ist strafbar.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Nach herrschender Meinung hat sich der Täter bei einem Eintritt der schweren Folge dennoch wegen erfolgsqualifizierten Versuches strafbar gemacht.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Die Begründung der herrschenden Meinung erfährt von Vertretern der Strafschärfungslösung Kritik, da das Ergebnis mit dem Ansatz der herrschenden Meinung nicht begründbar sei.
Ja, in der Tat!
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Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Leyla Keles
18.3.2022, 15:32:15
D.h. die h.M. fordert in den Fällen, in denen der Versuch des Grunddelikts nicht strafbar ist, Vorsatz bezüglich der Qualifikation für einen
Versuch der Erfolgsqualifikation?
Lukas_Mengestu
21.3.2022, 10:45:12
Hallo leybeykel, so ist es. Beim
Versuch der Erfolgsqualifikationmuss - anders als beim erfolgsqualifizierten Versuch - Vorsatz im Hinblick auf die Herbeiführung des Zusatz-Erfolges bestehen. In diesem Fall lässt die hM eine Bestrafung auch dann zu, wenn der Versuch des Grunddelikts selbst nicht strafbar ist. Seit der Ausdehnung der Versuchsstrafbarkeit (insb. durch § 223 Abs. 2 StGB) hat der Streit viel an Bedeutung verlorenn, da die Abgrenzung nun primär bei §§ 221 Abs. 2, 3 bzw. § 235 Abs. 5 StGB und § 238 StGB Relevanz hat (vgl. Paeffgen, in: NK-StGB, 5.A. 2017, § 18 RdNr. 112). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
evanici
29.8.2023, 13:11:17
Was kann man der Kritik der Strafschärfungslösung an der Versuchslösung (versuchte Erfolgsqualifikation ist nach hM doch strafbar) wiederum entgegenhalten? Man könnte doch auch hier wiederum über die Zurechenbarkeit korrigieren, oder?
Sambajamba10
15.3.2024, 17:35:12
Spannende Frage: meint ihr ein
erfolgsqualifizierter Versuchwäre auch dann möglich, wenn, man als Grunddelikt eine versuchte Qualifikation hat, deren Grunddelikt selbst aber vollendet ist. bspw: Ich gehe mit einem Kumpel zu meinem Erzfeind und schlage diesen (§ 223). Ich habe Vorsatz dahingehend, dass mein Kumpel mitmacht (§ 224 I Nr. 4), dieser bleibt aber passiv und wendet sich sogar von mir ab. Mein Erzfeind stirbt infolge eines mit Fahrlässigkeit durchgeführten Schlags von mir
Timurso
15.3.2024, 21:27:02
Klar, da besteht kein Problem. Selbst 223 alleine reicht als Grunddelikt für 227 aus. Ob 224 daneben vollendet ist, versucht ist, oder überhaupt nicht vorliegt, ist dafür irrelevant.
Sambajamba10
15.3.2024, 22:58:39
@[Timurso](197555) Danke für deine Antwort, sie ist aber leider nicht ganz richtig. Das Wesen des erfolgsqualifizierten Versuchs ist es ja gerade, dass das Grunddelikt nur versucht worden ist und gleichwohl die Erfolgsqualifikation eingetreten ist, sodass eine Erfüllung des § 223 diesen ausschließt. Ich habe nicht nach § 227 gefragt (dann hättest du Recht), sondern nach §§ 227, 22, 23. Weißt du, was ich meine?
Timurso
15.3.2024, 23:57:47
@[Sambajamba10 ](197381) Du gehst dabei von der falschen Prämisse aus, dass 223, 224 als Grunddelikt von 227 in Betracht kommt. Allerdings ist dem nicht so. Grunddelikt von 227 ist allein 223. Daher kommt man von vornherein nicht zum erfolgsqualifizierten Versuch, sobald 223 vollendet ist. Wenn du 227, 22, 23 schreibst, ist das btw der
Versuch der Erfolgsqualifikation, welcher nicht zu deinem Sachverhalt passt.
Sambajamba10
16.3.2024, 10:41:23
Das ist wiederum falsch, da § 227 I evident auf die §§ 223- 226a als Grunddelikt verweist. Das findest du auch so in fast jedem Aufbauschema oder in etwaigen Erklärungen. Man unterlässt es ja auch nicht plötzlich, die Gefährlichkeit des Tatmittels zu erwähnen, nur weil im Anschluss die Todesfolge eingetreten ist. Auch deine letzte Bemerkung ist meines Erachtens falsch. Hierzu möchte ich einfach auf die
Gubener HetzjagdBGH NJW 2003, 150 verweisen. @[Lukas_Mengestu](136780) @[
Nora Mommsen](178057) könntet ihr möglicherweise etwas dazu sagen :-)
Nora Mommsen
26.3.2024, 12:55:48
Hallo ihr beiden, danke euch für die rege Diskussion! § 227 StGB kann sich als Erfolgsqualifikation auf alle Varianten der Körperverletzung beziehen. Ein schöner Fall, angelehnt an die Grubener Hetzjagd findet ihr zur Übung noch in ZJS 2011, 530. Es ist daher durchaus auch möglich, dass auch der § 224 BGB versucht ist. Dann würde man aber nicht von einem klassischen erfolgsqualifizierten Versuch sprechen. Denn das Grunddelikt ist vollendet, eine Qualifikation ist vollendet und eine Qualifikation ist im Versuchsstadium stecken geblieben in deinem Beispiel. Es wäre also ein §§ 223, 227 mit 224, 22, 23 Abs. 1 StGB. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Robinski
2.8.2024, 12:39:34
Wäre hier der T trotzdem strafbar, zB wegen Totschlag durch Unterlassen?
Leo Lee
4.8.2024, 11:40:29
Hallo Robinski, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat könnte man bzgl. des späteren Sterbens den Totschlag durch Unterlassen anprüfen. In diesem Fall ist der Sachverhalt zu kurz (ein paar Worte im zweiten Satz), um einen Totschlagsvorsatz herzuleiten; in einer Klausur würde natürlich mehr dazu stehen, falls der Tatbestand geprüft werden soll :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo