Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Handlungen im Vorfeld der tatbestandlichen Ausführungshandlung / Haustür-Fälle

Handlungen im Vorfeld der tatbestandlichen Ausführungshandlung / Haustür-Fälle

19. April 2025

25 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T möchte O erschießen. Er klingelt bei dessen Haus, in dem dieser alleine wohnt und möchte diesen sofort nach dem Öffnen der Türe erschießen. O erscheint nicht. Nach längerem Warten geht T nach Hause.

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Einordnung des Falls

Handlungen im Vorfeld der tatbestandlichen Ausführungshandlung / Haustür-Fälle

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch eines Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

Ja, in der Tat!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 12 Abs. 1, 212 Abs. 1 StGB).
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2. T hat „Tatentschluss“ bezüglich eines Totschlags.

Ja!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist fest entschlossen O zu töten.

3. T hat durch das Klingeln „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.

Genau, so ist das!

Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB). Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Der BGH nimmt bei einem Klingeln an der Haustüre dann ein unmittelbares Ansetzen an, wenn der Täter davon ausgeht, dass das Opfer unmittelbar selbst die Tür öffnen würde. Bereits durch das Klingeln liege eine Gefährdung für das Leben des Opfers vor. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzen will. Bei elektronischen Türanlagen oder mehreren Türen, die zu überwinden sind, wird regelmäßig kein unmittelbares Ansetzen vorliegen, sofern der Täter den Umstand auch kennt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Pilea

Pilea

25.6.2023, 11:07:56

Würde hier nicht auch das Mordmerkmal Heimtücke vorliegen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.6.2023, 10:41:47

Hallo Pilea, hier wäre - bei einer vollständigen Prüfung defintiv an Mord durch Heimtücke zu denken. In Jurafuchs-Technik konzentrieren wir uns an dieser Stelle aber auf einige Aspekte des Versuchs. Dies illustrieren wir anhand des Totschlags. Aufgrund dessen wird kein anderes in Frage kommendes Delikt angesprochen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

26.6.2023, 15:33:44

Danke, ja, das finde ich auch sehr gut! Manchmal finde ich es hilfreich, noch so eine Kurz-Vervollständigung nachvollziehen zu können, daher danke für die Antwort.

CR7

CR7

15.6.2024, 10:51:53

Genau, dann müsste aber intensiv darauf eingehen, inwieweit der Überraschungsmoment die

Wehrlosigkeit

einschränkt.

PUL

pulinho

18.12.2024, 22:25:23

wenn O nicht alleine wohnt oder gar nicht in dem moment zuhause ist läge kein

unmittelbares ansetzen

mehr vor?

JURAD

JuRadler

29.12.2024, 20:00:07

Laut Erklärung nicht, weil die Person, die öffnet, ja ein "Hindernis" wäre, was zu überwinden ist. Der Tathergang geht also nicht ungestört voran.

Sergej Fährlich

Sergej Fährlich

6.1.2025, 15:43:28

Wenn er nicht allein wohnt und klar ist, dass Entweder-oder die Tür öffnen kann, würde ich kein

unmittelbares Ansetzen

bejahen. Wenn die Person lediglich nicht Zuhause ist schon, solang der Täter das nicht weiß (was auch schwer vorstellbar ist, warum sonst klingeln?).

PUL

pulinho

21.1.2025, 15:53:04

Danke für eure guten Antworten!

Charles "Chuck" McGill

Charles "Chuck" McGill

25.2.2025, 13:46:24

@[pulinho](208009) Das kommt auf die Vorstellung des Täters an. Wenn der Täter weiß, dass noch andere Personen im Haus sind, und sich deshalb innerlich erst die Prüfung vorbehält, wer denn die Tür öffnet, dann liegt noch kein

unmittelbares Ansetzen

vor. Wenn der Täter aber denkt, es wird ganz sicher sein antizipiertes Opfer öffnen, welches er sofort erschießen wird und dann öffnet wider Erwarten jemand anders, dann lag dennoch ein

unmittelbares Ansetzen

vor.

FUCH

Fuchsfrauchen

16.1.2025, 21:41:46

Wenn das Klingeln hier bereits den Tatbestand des versuchten Totschlags erfüllt, würde das doch vermutlich auch bedeuten, dass sich derjenige hinter der Tür in einer

Notwehr

lage befände und sich gleichermaßen durch einen Schuss durch die Türe wehren könnte, oder? Wenn es dann doch nur der Postbote war, würde dann ein

ETBI

vorliegen und der Schütze wäre dann zumindest nicht wegen einer vorsätzlichen Tat strafbar?

DO

Dominikpolitics

27.1.2025, 12:34:41

Naja, das

Notwehr

recht besteht ja nicht uferlos, sondern unterliegt gewissen Einschränkungen (

Gebotenheit

,

Erforderlichkeit

). Ein sofortiges Schießen durch die Türe wäre, je nach Einzelfall, vielfach nicht geboten.

Charles "Chuck" McGill

Charles "Chuck" McGill

25.2.2025, 13:42:27

@[Fuchsfrauchen](89264) Ein sofortiges, vorwahrnungsloses schießen wird in dem Fall, in dem der Täter an der Tür klingelt und wartet (nicht etwa versucht sie einzutreten) o. Ä. schon nicht erforderlich sein. Hier wird das Opfer problemlos die Polizei rufen können, wenn es aus irgendeinem Grund weiß, dass die Person vor der Tür eine Waffe hat und sie töten möchte.

FUCH

Fuchsfrauchen

1.3.2025, 16:00:31

Ich glaube, ich komme einfach nicht darauf klar, dass das Klingeln ein

unmittelbares Ansetzen

ist. Ich verstehe das Bedürfnis, hier zu einer Strafbarkeit zu gelangen, aber ich sehe "im Klingeln" absolut keine Gefährdung. Wenn der Täter die Waffe zumindest geladen in der Halt hielte, ok. So fehlt ja mindestens noch das Tür öffnen, das Waffe ziehen, Zielen und das Abdrücken.

Charles "Chuck" McGill

Charles "Chuck" McGill

1.3.2025, 18:29:12

@[Fuchsfrauchen](89264) Nun, genau genommen kommt es darauf ja auch nicht an. Dann wäre ja kein

untauglicher Versuch

möglich. Auch die wesentlichen Zwischenschritte richten sich nach der Vorstellung des Täters. Wenn der Täter sich nach dem Klingeln denkt "Sobald die Tür aufgeht schieße ich los" sind das Ziehen, Anlegen und Abdrücken ein einziger Willensakt, er weniger als eine Sekunde zur Betätigung braucht. Der Erfolgseintritt hängt eigentlich nur noch vom Zufall ab, ob die Tür jetzt aufgeht oder nicht. Anders ist es, wenn er sich denkt "Wenn die Tür aufgeht schaue ich ma wer aufmacht, davon mach ich alles weitere Abhängig", ist die Identifizierung ein wesentlicher Zwischenschritt. Es hängt nicht nur vom Zufall ab, weil der Täter die Tat noch unter einen geistigen Vorbehalt gestellt hat. Ich find es aber auch schwer, das gut zu erklären. Es kann einem schon komisch vorkommen.

sy

sy

31.1.2025, 13:37:12

Hallo an alle, ich frage mich gerade, wenn man diesen Fall in der Klausur hätte, müsste man doch sicherlich noch einen

Rücktritt

anprüfen. lch habe gerade Schwierigkeiten dabei, diese gutachterliche

Rücktritt

sprüfung durchzugehen. Würde hier bereits vlt ein Fehlschlag zu diskutieren sein ?

MenschlicherBriefkasten

MenschlicherBriefkasten

28.2.2025, 16:30:30

@[sy](30718) Gute Frage. Ein Fehlschlag liegt hier mE vor. Würde man dies verneinen, würde man wohl den

Rücktritt

am Merkmal der Freiwilligkeit scheitern lassen, je nach dem was der Klausursachverhalt diesbezüglich noch hergeben würde.

M0NAC0

M0NAC0

30.3.2025, 14:38:41

Wenn in den Fällen regelmäßig die Veranschaulichung die textliche Ausführung ergänzt, hätte ich gesagt liegt hier noch kein

unmittelbares Ansetzen

vor, sondern erst wenn er die Waffe zieht. mMn hat er auch wenn er mit dem öffnen der Tür das Opfer gleich erschießen möchte ohne gezogene Waffe die Schwelle des „jetzt geht es los“ nicht überschritten. Meinungen? :)


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