Nicht freiverantwortlicher Suizid
5. Juli 2025
8 Kommentare
4,8 ★ (9.770 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Der psychisch labile O will sich das Leben nehmen durch einen Sprung von einer hohen Brücke. T greift jedoch noch rechtzeitig ein, indem er den O zu Boden ringt und fixiert, bis Hilfe kommt.
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Einordnung des Falls
Nicht freiverantwortlicher Suizid
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Wenn T "einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt", verwirklicht er den objektiven Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB).
Ja!
2. T hat O zu einem Unterlassen genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB).
Genau, so ist das!
3. T hat gerade mit der eingesetzten Gewalt das Unterlassen des O kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt (nötigungsspezifischer Zusammenhang).
Ja, in der Tat!
4. Die Nötigungshandlung des T ist als verwerflich anzusehen (§ 240 Abs. 2 StGB).
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Tobias Pfeiffer
28.1.2023, 16:45:54
Ist es genauso vertretbar, allgemeine Rechtfertigungsgründe vorgelagert zu prüfen und im Falle einer Rechtfertigung gar nicht mehr auf die
Verwerflichkeitsklauselabzustellen? Eine gerechtfertigte
Nötigungist ja kategorisch nie
verwerflich.
MK-
24.10.2023, 23:02:12
so wie ich es aus der Lösung heraus lese und auch gelernt habe sind Rechtfertigungsgründe stets vor der
Verwerflichkeit zu prüfen, weil wie du richtig gesagt hast, eine gerechtfertigte Handlung nicht
verwerflichsein kann.
Wolli
13.2.2024, 13:06:54
„Eine gerechtfertigte Handlung kann niemals
verwerflichsein“ daher die Rechtfertigungsgründe vorab prüfen.
okalinkk
7.6.2025, 12:34:19
Eine Notstandshilfe darf nicht aufgedrängt werden. Der Suizident will vermutlich freiverantwortlich sterben. Könnte man hier nicht an eine aufgedrängte Nostandshilfe denken?
okalinkk
7.6.2025, 12:36:57

Lexpecto Patronum
2.7.2025, 17:22:42
@[okalinkk](253888) Wenn ich nicht ganz auf dem Schlauch stehe, ist
Nothilfe(§ 32) sowieso schon raus, weil ein Suizid jedenfalls kein rechtswidriger Angriff ist. Darüber hinaus kann man wohl auch argumentieren, dass wegen der freiverantwortlichen Entscheidung und des verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf selbstbestimmtes Sterben (Art. 2 I, 1 I GG) eine "Einwilligung" in die Rechtsgutsverletzung vorliegen würde (da würde ich im Kontext des eigenen Todes nur mit der Formulierung aufpassen) und dann wegen aufgedrängter
Nothilfedie Notwehrlage nicht vorliegt. Da die Notwehrlage ex post bestimmt wird, kommen wir da dann auch nicht weiter. Die Notstandslage (§ 34) hingegen ist ex ante zu betrachten. Eine Person, die einen Suizid beobachtet, wird wohl regelmäßig nicht davon ausgehen (dürfen), dass dieser Freiverantwortlich ist und sich raushalten, ex ante liegt also eine Notstandslage vor. Ex ante wird der Einschreitende auch nicht wissen (müssen), dass der freiverantwortliche Suizient "eingewilligt" hat. Im Rahmen der Notstandshandlung würde ich dann in der Interessenabwägung das Thema Recht auf selbstbestimmtes Sterben aufmachen, dann aber mit den von außen bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Freiverantwortlichkeit für den Hinzukommenden und der Gewichtigkeit der potenziell betroffenen Rechtsgüter argumentieren. Also § 34 (+), sofern auch das subjektive Rechtfertigungselement vorliegt. Und bei einer
Nötigungauch keine
Verwerflichkeit mit vergleichbarer Argumentation.