Bagatellgrenze
11. Juli 2025
20 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
O nimmt T im Straßenverkehr die Vorfahrt. T folgt O wütend und verhindert, dass dieser einparken kann, indem er sein Auto nah an Os Auto stellt. Sodann steigt T aus, um O eine Minute lautstark „die allgemein herrschenden Regeln der StVO“ zu erklären.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Bagatellgrenze
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat O mit seinem Auto blockiert und so ein physisches Hindernis für O geschaffen. Hat er dadurch Gewalt ausgeübt (§ 240 Abs. 1 Alt. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
2. T hat O zu einem Unterlassen genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB).
Ja!
3. O oder sein Fahrzeug wurden durch die Blockade nicht gefährdet. Insgesamt wurde er auch nur eine Minute lang von T belehrt und vom Einparken abgehalten. Spricht das dafür, dass Ts Tat verwerflich (§ 240 Abs. 2 StGB) war?
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Blotgrim
15.7.2022, 17:31:28
Wäre auch eine andere Ansicht vertretbar. Schließlich könnte man den O auch erst einparken lassen, sein eigenes
Fahrzeugabstellen und ihn dann zur Rede stellen, eine Blockierung des Verkehrs erscheint mir hier etwas übertrieben

Nora Mommsen
2.8.2022, 13:11:53
Hallo Blotgrim, für die Bewertung der
Verwerflichkeit ist es nicht entscheidend, ob auch mildere Handlungsalternativen zur Verfügung standen. Es kommt auf die konkrete Gewaltanwendung und erzwungene Handlung an - hier das kurzzeitige (!) nicht einparken können in den Parkplatz. Das erfährt nach allgemeiner moralischer Beurteilung kein derartiges Un
werturteil, dass es als
verwerflichzu bezeichnen ist. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Simon
1.9.2023, 17:39:30
Kann man den Zweck des Nötigungsmittels (Gewaltanwendung) nicht auch weiter fassen, und auch miteinbeziehen, dass T den O hier lautstark beschimpfen wollte? Bei einem einfachen "freundlichen Hinweis" des T kann man die
Verwerflichkeit ja ablehnen, bei einer beschimpfenden Belehrung, die § 185 StGB erfüllt sieht es mE aber anders aus.

Sebastian Schmitt
25.5.2025, 09:58:34
Hallo @[Simon](131793), eine berechtigte Frage! Ich verweise dazu mal auf meinen Beitrag in einem Nachbarthread gerade, in dem es letztlich genau darum geht: https://applink.jurafuchs.de/wucN9ySvETb. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Dogu
3.11.2023, 09:20:02
Hier dient die Nötigung aber auch zur Ermöglichung einer Straftat (Beleidigung). Muss das nicht auch noch in der Lösung berücksichtigt werden? Die reine Belehrung wäre ja unschädlich.

Sebastian Schmitt
25.5.2025, 09:44:21
Hallo @[Dogu](137074), nach Ansicht des OLG Köln in der Entscheidung, die unserer Aufgabe zugrunde liegt, spielt das tatsächlich keine besondere Rolle bzw gibt bei der Abwägung jedenfalls nicht den Ausschlag hin zur Strafbarkeit: "[...] ist nicht zu entnehmen, daß schon allein der Belehrungs- und Beschimpfungszweck ausreiche, um ein vom Mittel her tatbestandsmäßiges Fahrverhalten zur
rechtswidrigen Nötigung zu machen. Vielmehr ist die Frage, ob der dazu
notwendige„erhöhte Grad sittlicher Mißbilligung” vorliegt, unter Abwägung von Zweck und Mittel (§ 240 Abs. 2 StGB) jeweils für den konkreten Einzelfall zu beantworten [...]; dazu gehört die Feststellung, wie konkret verkehrsgefährlich das Nötigungsmittel nach Lage des Einzelfalles war. Ebensowenig, wie jedes Erzwingen der Einfahrt in eine Parklücke eine Nötigung darstellt [...], ist nicht jedes kurze Blockieren eines anhaltenden Kraftfahrers zum Zwecke der Belehrung und Beschimpfung in solchem Maße
verwerflich, wie dies
§ 240 StGBverlangt. Wer vermittels seines
Fahrzeugs lediglich das Weiterfahren eines Kraftfahrers für die Dauer einer kurzen Schimpfrede verhindert, ohne ihn jedoch durch die Art des Fahrbahnversperrens der naheliegenden
Gefahreiner Körperverletzung oder der (auch nur leichten) Beschädigung seines Kraft
fahrzeugs auszusetzen, begeht nach Auffassung des Senats, der darin mit dem Sitzungsvertreter des Generalstaatsanwalts übereinstimmt, zwar eine grob verkehrswidrige Übertretung nach § 1 StVO, § 21 StVG (u.U. tateinheitlich mit einer Beleidigung nach § 185 StGB), aber noch keine Nötigung." (OLG Köln, NJW 1986, 1892, 1892 f) Zum Ausmaß der Beschimpfung äußert sich der Senat übrigens nicht im Detail, im dazugehörigen Sachverhalt heißt es nur: "[...], wo er dessen Fahrerin als „sehr rücksichtslos und unverschämt” sowie deshalb beschimpfte, weil sie durch die Art ihres Heranfahrens an den Zebrastreifen die darauf gehenden Schulkinder gefährdet habe." (OLG Köln, NJW 1986, 1892, 1892) Das scheint mir aus heutiger Sicht so harmlos, dass es mE für sich allein eine Verurteilung wegen Beleidigung nicht einmal tragen würde. Man kann über dieses Ergebnis sicherlich diskutieren und den Fall mit entsprechender Begründung insoweit auch anders lösen, jedenfalls in einer Klausursituation. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Kind als Schaden
30.12.2023, 22:02:58
Könnte hier der
Nötigungserfolg(jedenfalls) auch in der Duldung der Belehrung liegen? Ich verstehe den Sachverhalt eher so, als sei die Blockade und das daraus resultierende Unterlassen ein bloßer Zwischenschritt des T, da er i.E. ja den O beschimpfen und belehren will.

Juraddicted
6.1.2025, 14:12:53
in den anderen Fällen lag durch eine reine Blockade (Person steht in Parklücke (OLG Köln 13.03.1979) und verhindert einparken, Person sitzt vor Auto auf Straße… = rein psychische Wirkung, dass man nicht mit dem Auto gegen Person fährt) keine Gewalt vor. Wieso hier schon? Wegen des PKW? Aber die Person steht ja auch hinter dem Auto, welches bam Einparken gehindert wird? Ich kann die anderen Fälle leider nicht verlinken.. vielen Dank :)

Alyx
8.3.2025, 11:24:10
Entscheidend ist wohl, ob aus dem Hindernis ein körperlicher Zwang resultiert. Auto vs Auto -> erhebliches körperliches Hindernis (= Zwang) Auto vs Mensch -> "freie Fahrt"
Flow
16.5.2025, 01:11:20
Sehr nice erklärt ✌️

Juraganter
31.5.2025, 15:23:04
Ich sehe hier immer noch keinen "körperlichen Zwang". Außer, man ginge davon aus, dass der Autofahrer wegen des Nichteinparkenkönnens verzweifelte. Bei der Nötigung durch Lichthupe und dichtem Ranfahren wird auch gefordert, dass der genötigte Fahrer die Handlung des Täters "körperlich" spüren müsse, also in Form von Nervosität, Angst, etc.
Taunus84
16.6.2025, 21:58:58
Darüber bin ich auch gestolpert. Wäre super, wenn das jemand vom Jurafuchs-Team nochmal erläutern könnte (Abgrenzung zu den Straßenblockaden- bzw. Lichthupen-Fällen).