Zivilrecht
Schuldrecht Allgemeiner Teil
Relativität der Schuldverhältnisse
Relativität schuldrechtlicher Ansprüche, Einführung
Relativität schuldrechtlicher Ansprüche, Einführung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Modedesigner M entwirft für €5.000 für K ein Abendkleid, das K bei einer Filmpremiere tragen will. Sie vereinbaren, dass es sich hierbei um ein Unikat handelt, das nur K tragen soll. M entwirft für die Kundin N jedoch ein fast identisches Kleid.
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Einordnung des Falls
Relativität schuldrechtlicher Ansprüche, Einführung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. M und K haben einen Kaufvertrag über ein Designer-Kleid geschlossen (§ 433 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. K kann von M verlangen, dass er kein weiteres identisches Kleid entwirft.
Ja!
3. K kann von N verlangen, dass sie das Kleid nicht trägt.
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Carl
11.7.2020, 16:57:33
anspruch könnte sich ggf aus UrhR ergeben, wenn man in der Vereinbarung ein ausschließliches Nutzungsrecht sieht, welches auch ggü Dritten Wirkung entfaltet.
gelöscht
14.7.2020, 06:37:52
K ist ja aber nicht die Urheberin - kann sich daraus trotzdem ein
Unterlassungsanspruch für sie gegen dritte ergeben?🤔
Carl
14.7.2020, 08:44:26
Bei Vereinbarung eines ausschließlich Nutzungsrechts schon.
Isabell
28.12.2020, 16:08:32
Auch dann, wenn es sich um ein "fast" und nicht um ein "vollständig" identisches Kleid handelt?
Carl
28.12.2020, 18:09:31
Sofern hier tatsächlich UrhR oder Marken- und GeschmacksmusterR einschlägig ist, reicht mWn eine Ähnlichkeit.
Lukas_Mengestu
18.6.2021, 15:37:29
Hallo zusammen, vielen Dank erst einmal für diesen spannenden Einwand! Im Ergebnis würde ich allerdings dennoch einen Anspruch gegen N direkt verneinen. Bei dem Kleid handelt es sich nicht um eine Marke iSv § 3 Abs. 1 MarkenG, da das Kleid als solches nicht geeignet ist, die Unterscheidung zwischen verschiedenen Unternehmen zu ermöglichen. Auch wurde das Kleid nicht als Geschmackmuster nach § 7 GeschmackMG eingetragen, weswegen auch insoweit kein Schutz nach dem Geschmacksmusterrecht besteht. In Betracht kommt insoweit aber durchaus ein Schutz über das Urheberrecht und ein entsprechender
Unterlassungsanspruch nach § 97 UrhG. Es dürfte sich bei dem Kleid vorliegend wohl um eine persönliche geistige Schöpfung iSv § 2 Abs. 4 UrhG handeln (Werk der angewandten Kunst) und damit ein grundsätzlich dem Urheberrechtsschutz zugängliches Werk. So definiert zB das LG Leipzig Werke der angewandten Kunst insbesondere im Hinblick auf den ebenfalls möglichen Schutz über das Geschmacksmusterrecht wie folgt: „Die Einstufung als Werk im Sinne des Urheberrechts scheidet nicht schon deshalb von vornherein aus, weil auch ein Schutz nach dem Geschmacksmustergesetz (i.F.: GeschmMG) in Betracht kommt, vielmehr kann der Urheberschutz neben dem Geschmacksmusterschutz zum Zuge kommen [...]. Das Urheberrecht entsteht nämlich schon durch den Schöpfungsakt, während der Geschmacksmusterschutz noch die Schutzrechtsanmeldung voraussetzt (§ 7 GeschmMG). Nach beiden Systemen wird die schöpferische Leistung geschützt, deshalb ist der Unterschied gradueller Natur. Während das GeschmMG nur die Eigentümlichkeit des Musters genügen lässt, ist für die Entstehung eines Urheberrechts eine die Anforderungen an ein Geschmacksmuster deutlich übersteigende, künstlerische Gestaltungshöhe erforderlich. Das Werk muss eine gewisse Individualität aufweisen, die es aus der Masse des Alltäglichen heraushebt und durch individuellen Geist des Künstlers geprägt ist (vgl. Schricker, UrheberR, 2. Aufl., § 2 Rdnr. 157). Das Gericht übersieht nicht, dass bei der angewandten Kunst die Schutzgrenze höher anzusetzen und höhere Anforderungen zu stellen sind und der Schutz der „kleinen Münze” nicht genügt, weil unterhalb dieser höheren Grenze immer noch der Schutz nach dem GeschmMG nach einer entsprechenden Schutzrechtsanmeldung in Frage kommt. Dies entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BGH. Bei Modeschöpfungen genügt daher nicht schon die bloße Weiterentwicklung der modischen Linie und Form oder ihre Kombination mit bereits Bekanntem (vgl. Schricker, § 2 Rdnr. 165). Da aber nicht nur Haute-Couture-Modelle, sondern auch bereits schon Konfektionsmodelle den Urheberrechtsschutz erreichen können […], sind die Grenzen des Urheberrechtsschutzes bezüglich Modeschöpfungen nicht ins Unermessliche zu schrauben.“ (LG Leipzig, Urteil vom 23. 10. 2001 - 5 O 5288/01 - Hirschgewand = GRUR 2002, 424) Gemessen an diesen Maßstäben und im Hinblick darauf, dass es sich vorliegend sogar um ein individuelles Einzelstück handelt, dürfte die notwendige geistige Schöpfungshöhe durchaus angenommen werden können. K ist hier auch aktivlegitimiert, da sie zwar keine Urheberin des Kleides ist (§ 7 ff. UrhG), allerdings die ausschließlichen Nutzungsrechte eingeräumt bekam (§ 31 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, Abs. 3 UrhG) Fraglich ist aber, inwieweit hier ein Eingriff in die Rechte der K durch N erfolgte (§§ 15 ff. UrhG). Grundsätzlich ist K aufgrund des ausschließlichen Nutzungsrechts zur alleinigen Verwertung des Kleides berechtigt. In Betracht kommt insoweit ein Verstoß gegen das Vervielfältigungs- (§ 16 UrhG) und Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG). Der Begriff der Vervielfältigung ist sehr weitgehend. Vervielfältigungsstücke sind nach der Gesetzesbegründung körperliche Festlegungen, die geeignet sind, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise unmittelbar oder mittelbar wahrnehmbar zu machen. Erforderlich ist danach stets, dass ein körperlicher Gegenstand hergestellt wird, der das Werk in seiner originalen Formgestaltung in sinnlich wahrnehmbarer Weise wiedergibt. Das Tatbestandsmerkmal der Vervielfältigung setzt zudem voraus, dass Grundlage bzw. Vorlage der Vervielfältigung das Originalwerk ist. Dabei ist gleichgültig, ob die Vervielfältigung unmittelbar anhand des Originals vorgenommen oder ob aus dem Gedächtnis bzw. durch Beschreibung Dritter reproduziert wird (BeckOK UrhR/Götting, 31. Ed. 1.5.2021, UrhG § 16 Rn. 3, 7 mwN). Eine Vervielfältigung ist dabei auch gegeben, wenn ein mit dem Original nahezu identisches Vervielfältigungsstück hergestellt wird (Spindler/Schuster/Wiebe, 4. Aufl. 2019, UrhG § 16 Rn. 4 mwN). Daran gemessen stellt die Herstellung eines nahezu identischen Kleides eine unerlaubte Vervielfältigung dar (§ 16 I UrhG) sowie der anschließende Verkauf ein Verstoß gegen ihr Verbreitungsrecht (§ 17 I UrhG). In beiden Fällen verstieß indes M gegen die Rechte der K und nicht N. Ihm gegenüber könnte sie insofern bzgl. weiterer Verletzungen einen
Unterlassungsanspruch geltend machen und im Hinblick auf die bereits erfolgten Verletzungen einen Schadensersatzanspruch. Das bloße Tragen des Kleides in der Öffentlichkeit stellt nach mE dagegen für sich genommen keinen Verstoß gegen eines der in den §§ 15 ff. UrhG geschützten Verwertungsrechte dar, insbesondere nicht gegen § 19 Abs. 4 S. 1 UrhG, da dies lediglich die Veröffentlichung durch technische Einrichtungen untersagt. Gegenüber N dürfte K deswegen allenfalls ein
Unterlassungsanspruch im Hinblick auf die weitere Verbreitung zustehen. Denn da sie der Veräußerung der Vervielfältigung nicht zugestimmt hat, ist keine Erschöpfung des Verbreitungsrechts eingetreten (§ 17 Abs. 2 UrhG). Dafür, dass N plant, das Kleid zu verkaufen, fehlt es vorliegend aber an Anhaltsue. Da es insoweit an einer Störung des ausschließlichen Nutzungsrechts durch N fehlt, dürfte ihr gegenüber auch nach dem UrhG kein
Unterlassungsanspruch bestehen. Beste Grüße, Lukas – für das Jurafuchs-Team
Tigerwitsch
14.4.2021, 23:16:54
Welchen Anspruch hätte K denn gegen M? Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB iVm Vertrag? Als Schaden die entsprechende Wertminderung, dass das Kleid nun doch kein Unikat ist.
Lukas_Mengestu
18.6.2021, 15:49:24
Hallo Tigerwitsch, in der Tat kommt hier Schadensersatz wegen der Verletzung der vertraglichen Vereinbarung, aber auch ein deliktischer Anspruch nach § 823 I BGB (Ausschließlichkeitsrecht als "
sonstiges Recht") bzw. ein Schadensersatzanspruch nach § 97 II UrhG in Betracht. Dabei richtet sich die Bemessung des Schadens grds. nach den §§ 249 ff. BGB, wobei hier die sog. dreifache Schadensberechnung zur Anwendung kommt(vgl. § 97 II 2, 3 UrhG). Der Geschädigte kann sich also aussuchen, ob er 1) einen tatsächlich entstandenen Schaden (Wertminderung des Kleides), 2) den Gewinn, den der Verletzer durch die
Verletzungshandlunggemacht hat (hier also den Kaufpreis abzüglich der Herstellungskosten) oder 3) eine sog. Lizenanalogie geltend macht. Bei der Lizenzanalogie hat der Verletzer dasjenige zu zahlen, was vernünftige Parteien bei Abschluss eines Lizenzvertrages in Kenntnis der wahren Rechtslage und der konkreten Umstände des Einzelfalles als angemessene Lizenzgebühr vereinbart hätten (vgl. § 97 II 3 UrhG). Die Lizenzanalogie ist letztlich im Prozess am leichtesten darzulegen und wird insoweit häufig favorisiert, um schwierige Beweisfragen auszuklammern. Beste Grüße, Lukas
QuiGonTim
15.4.2024, 09:31:25
Ist die Pflicht, kein gleichartiges Kleid an eine andere Person zu liefern, eine Nebenleistungs- oder eine Schutzpflicht?