Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Relativität der Schuldverhältnisse

Relativität schuldrechtlicher Ansprüche I, P1: Übereignung

Relativität schuldrechtlicher Ansprüche I, P1: Übereignung

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft auf einer Vernissage ein von Galerist G ausgestelltes Gemälde (Preis €10.000). Was K nicht weiß: G hat das Bild bereits zuvor an X verkauft und übereignet, der zur Rückübereignung nicht bereit ist. K ärgert sich nun, da er schon einen Bilderrahmen für €500 gekauft hat.

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Einordnung des Falls

Relativität schuldrechtlicher Ansprüche I, P1: Übereignung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G konnte mit K einen wirksamen Kaufvertrag über das Gemälde schließen, obwohl er es bereits an X verkauft und übereignet hatte.

Ja!

Ein wesentlicher Unterschied des Schuldrechts zu anderen Rechtsgebieten (wie dem Sachenrecht) besteht in der sog. Relativität der Schuldverhältnisse. Das bedeutet, dass ein Schuldverhältnis grundsätzlich nur Rechte und Pflichten zwischen den unmittelbar am Rechtsgeschäft beteiligten Parteien begründet (lat. "inter partes"). Die Relativität der Schuldverhältnisse erlaubt es, dieselbe Pflicht gegenüber mehreren Schuldnern zu versprechen. Es steht G frei, mehrere Kaufverträge über dasselbe Gemälde zu schließen, auch wenn er nicht alle erfüllen kann (vgl. § 311a Abs. 1 BGB).
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2. K ist durch Abschluss des Kaufvertrags Eigentümer des Gemäldes geworden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das BGB basiert auf dem Trennungsprinzip, wonach Verpflichtungsgeschäft (Kaufvertrag) und Verfügungsgeschäft (Übereignung) zwei strikt zu trennende Rechtsgeschäfte sind. Der Kaufvertrag als Verpflichtungsgeschäft begründet nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an der verkauften Sache. Für die Änderung der dinglichen Rechtslage bedarf es stets eines weiteren Rechtsgeschäfts, des Verfügungsgeschäfts. K ist durch den Abschluss des Kaufvertrags nicht bereits Eigentümer des Gemäldes geworden. Ein Verstoß gegen das Abstraktions- und Trennungsprinzip stellt einen gravierenden Fehler in der Klausur dar!

3. Wenn K das Gemälde bezahlt und G es ihm mit den Worten "Du bist jetzt Eigentümer" übergibt, erwirbt K Eigentum am Gemälde vom Berechtigten (§ 929 S. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Anders als im Schuldrecht wirken die durch das Sachenrecht begründeten Rechte absolut (lat. „erga omnes“). Die Rechtsänderungen entfalten Wirkungen gegenüber allen anderen außenstehenden Personen. Hier hatte G bereits das Eigentum am Gemälde an den X übertragen. G selbst war nicht mehr Eigentümer. Er kann nicht wirksam als Berechtigter über das Gemälde verfügen. Möglich wäre ein gutgläubiger Eigentumserwerb vom Nicht-Berechtigten (§§ 929 S. 1, 932 BGB). Dieser hat weitere Voraussetzungen: Gutgläubigkeit des Erwerbers und kein Abhandenkommen der Sache (§ 935 II BGB).

4. K kann von G Ersatz der Kosten für den Bilderrahmen verlangen, weil G ihm das Eigentum am Gemälde nicht verschaffen kann (§§ 311a Abs. 2, 284 BGB).

Ja!

Schadenersatz bzw. Aufwendungsersatz kann gem. § 311a Abs. 2 BGB verlangt werden, wenn (1) die Leistungserbringung unmöglich i. S. d. § 275 BGB ist, (2) die Unmöglichkeit schon bei Vertragsschluss bestand, (3) der Schuldner die Unmöglichkeit kannte oder kennen musste (§ 311a Abs. 2 S. 2 BGB) und (4) dem Gläubiger ein kausaler Schaden oder Aufwendungen entstanden sind. G verkaufte K das Gemälde in dem Wissen, dass er es bereits an X übereignet hat, der zur Rückübereignung nicht bereit war. Die Übereignung war somit anfänglich unmöglich. K kann die Kosten für den Bilderrahmen (€500) ersetzt verlangen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEL

gelöscht

9.11.2019, 08:55:06

Durch den gutgläubigen Eigentumserwerb sollte die Antwort korrekt sein, dass K Eigentümer geworden ist nachdem V ihm das Bild mit den Worten „du bist jetzt Eigentümer“.

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

28.12.2019, 16:57:53

Ich kann im Sachverhalt keine Angaben zu einem

Abhandenkommen

erkennen. Es ist aber auch schwer "lebensnah" auszulegen, wie der G auf anderem Wege an das Gemälde gekommen sein soll.

Schneefreude

Schneefreude

14.1.2020, 19:27:53

Die Frage war aber nicht, ob er Eigentümer wurde, sondern ob er das Eigentum durch einen Berechtigten nach § 929 erworben hat. Da G nicht Berechtigter mehr war, ist das nicht der Fall. Wahrscheinlich wurde er Eigentümer, ja, aber nur über den gutgläubigen Erwerb durch einen Nichtberechtigten nach §§ 929 S.1,

932

I.

Ultima_ratio

Ultima_ratio

7.8.2020, 01:38:39

Sollte man vielleicht umformulieren.

CH1RON

CH1RON

26.4.2022, 15:04:55

Die Frage benennt klar eine Eigentumsübertragung nach 929 S. 1 - für einen gutgläubigen Erwerb reicht dies allein nun einmal nicht aus, die Antwort „stimmt nicht“ geht also klar ;)

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

4.11.2021, 11:13:25

Klausurhinweis zur Frage mit dem

Trennungsprinzip

: Ganz ganz wichtig, wer das falsch macht, fällt bei manchen Korrektoren allein deswegen durch 😂

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.11.2021, 11:59:30

Ich suche zwar immer noch nach Personen, die eine gute Klausur geschrieben haben und dann allein wegend es Verstoßes gegen das

Trennungsprinzip

durchgefallen sind, aber in der Tat stellt die Missachtung einen schwerwiegenden Fehler in der Klausur dar. Und je nach Korrektor:in kann das auch einen empfindlichen Punktabzug zur Folge haben. Wir heben das also gerne auch in der Aufgabe nochmal hervor :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Steinfan

Steinfan

6.4.2024, 13:19:01

So wie ich es sehe, war die

Übereignung

nicht anfänglich unmöglich, sondern ist erst nachträglich mit der Bösgläubigkeit des Käufers unmöglich geworden. Anfänglich konnte das Eigentum im Wege des gutgläubigen Erwerbs gem. §§ 929 S. 1,

932

I 1 BGB schließlich noch verschafft werden. Erst mit der Bösgläubigkeit ist eine

Übereignung

weder nach § 929 S. 1 BGB, noch nach §§ 929 S. 1,

932

I 1 BGB möglich. Es liegt nachträgliche Unmöglichkeit vor. Die Anspruchsgrundlage liefe entsprechend nicht über 311a II BGB, sondern über §§ 280 I, III, 283 BGB. LG

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

21.10.2024, 15:32:37

Hallo @[Steinfan](235363), ein interessanter Einwand, den man mE durchaus diskutieren kann. In Rspr und Literatur scheint allerdings die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs keine besondere Berücksichtigung zu finden. Zwar gesteht man zu, dass allein die fehlende Rechtsinhaberschaft bzw

Verfügungsbefugnis

noch keine Unmöglichkeit begründet (Staudinger/Caspers, BGB, § 275 Rn 45, 71 f). Unmöglichkeit soll aber jedenfalls dann vorliegen, wenn der veräußerte Gegenstand nicht dem Schuldner gehört und feststeht, dass er ihn sich vom tatsächlichen Eigentümer auch nicht beschaffen kann bzw dieser die erforderliche Zustimmung/Mitwirkung ablehnt (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl 2022, § 275 Rn 64 f; Staudinger/Caspers, BGB, § 275 Rn 45, 71 f mwN, auch zur Rspr). Vor diesem Hintergrund halte ich unsere Lösung jedenfalls für gut vertretbar. Nachträgliche Unmöglichkeit wird man allerdings tatsächlich dann annehmen können, wenn G an den gutgläubigen K verkauft und übereignet - allerdings nur im Verhältnis G - X für den Fall, dass wiederum K nun seine Mitwirkung/Rückübertragung verweigert. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

15.4.2024, 13:26:39

Steht dem G ein

Herausgabeanspruch

hinsichtlich des Bilderrahmens zu? Woraus ergibt sich dieser? Andernfalls würde K ja einen möglicherweise anderweitig verwendbaren Bilderrahmen behakten und zusätzlich in den Genuss der Aufwandsentschädigung kommen. Eine solche Bereicherung des K erscheint unbillig.

Merle_Breckwoldt

Merle_Breckwoldt

16.4.2024, 14:26:31

Hallo QuiGonTim, in der Tat würden die Aufwendungen des K überkompensiert, würde man diesen Umstand nicht berücksichtigen! Daher ist der

Aufwendungsersatzanspruch

gem. § 284 BGB jedenfalls seiner Höhe nach beschränkt auf den beim Gläubiger (hier: K) verbleibenden Vermögensnachteil; das kann etwa die Differenz zwischen den getätigten Aufwendungen und dem unter zumutbaren Aufwand für diese erzielbaren Verkaufserlös sein (Vorteilsausgleichung). Auch ein

Herausgabeanspruch

kommt in Betracht (s. Dornis in: BeckOGK BGB, § 284 Rn. 184). Viele Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team


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