Relativität schuldrechtlicher Ansprüche I, P1: Übereignung


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft auf einer Vernissage ein von Galerist G ausgestelltes Gemälde (Preis €10.000). Was K nicht weiß: G hat das Bild bereits zuvor an X verkauft und übereignet, der zur Rückübereignung nicht bereit ist. K ärgert sich nun, da er schon einen Bilderrahmen für €500 gekauft hat.

Einordnung des Falls

Relativität schuldrechtlicher Ansprüche I, P1: Übereignung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G konnte mit K einen wirksamen Kaufvertrag über das Gemälde schließen, obwohl er es bereits an X verkauft und übereignet hatte.

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Ja!

Ein wesentlicher Unterschied des Schuldrechts zu anderen Rechtsgebieten (wie dem Sachenrecht) besteht in der sog. Relativität der Schuldverhältnisse. Das bedeutet, dass ein Schuldverhältnis grundsätzlich nur Rechte und Pflichten zwischen den unmittelbar am Rechtsgeschäft beteiligten Parteien begründet (lat. "inter partes"). Die Relativität der Schuldverhältnisse erlaubt es, dieselbe Pflicht gegenüber mehreren Schuldnern zu versprechen. Es steht G frei, mehrere Kaufverträge über dasselbe Gemälde zu schließen, auch wenn er nicht alle erfüllen kann (vgl. § 311a Abs. 1 BGB).

2. K ist durch Abschluss des Kaufvertrags Eigentümer des Gemäldes geworden.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Das BGB basiert auf dem Trennungsprinzip, wonach Verpflichtungsgeschäft (Kaufvertrag) und Verfügungsgeschäft (Übereignung) zwei strikt zu trennende Rechtsgeschäfte sind. Der Kaufvertrag als Verpflichtungsgeschäft begründet nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an der verkauften Sache. Für die Änderung der dinglichen Rechtslage bedarf es stets eines weiteren Rechtsgeschäfts, des Verfügungsgeschäfts. K ist durch den Abschluss des Kaufvertrags nicht bereits Eigentümer des Gemäldes geworden. Ein Verstoß gegen das Abstraktions- und Trennungsprinzip stellt einen gravierenden Fehler in der Klausur dar!

3. Wenn K das Gemälde bezahlt und G es ihm mit den Worten "Du bist jetzt Eigentümer" übergibt, erwirbt K Eigentum am Gemälde vom Berechtigten (§ 929 S. 1 BGB).

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Nein, das trifft nicht zu!

Anders als im Schuldrecht wirken die durch das Sachenrecht begründeten Rechte absolut (lat. „erga omnes“). Die Rechtsänderungen entfalten Wirkungen gegenüber allen anderen außenstehenden Personen. Hier hatte G bereits das Eigentum am Gemälde an den X übertragen. G selbst war nicht mehr Eigentümer. Er kann nicht wirksam als Berechtigter über das Gemälde verfügen. Möglich wäre ein gutgläubiger Eigentumserwerb vom Nicht-Berechtigten (§§ 929 S. 1, 932 BGB). Dieser hat weitere Voraussetzungen: Gutgläubigkeit des Erwerbers und kein Abhandenkommen der Sache (§ 935 II BGB).

4. K kann von G Ersatz der Kosten für den Bilderrahmen verlangen, weil G ihm das Eigentum am Gemälde nicht verschaffen kann (§§ 311a Abs. 2, 284 BGB).

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Ja!

Schadenersatz bzw. Aufwendungsersatz kann gem. § 311a Abs. 2 BGB verlangt werden, wenn (1) die Leistungserbringung unmöglich i. S. d. § 275 BGB ist, (2) die Unmöglichkeit schon bei Vertragsschluss bestand, (3) der Schuldner die Unmöglichkeit kannte oder kennen musste (§ 311a Abs. 2 S. 2 BGB) und (4) dem Gläubiger ein kausaler Schaden oder Aufwendungen entstanden sind. G verkaufte K das Gemälde in dem Wissen, dass er es bereits an X übereignet hat, der zur Rückübereignung nicht bereit war. Die Übereignung war somit anfänglich unmöglich. K kann die Kosten für den Bilderrahmen (€500) ersetzt verlangen.

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