Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2018
(Un–)Zulässigkeit von Racial Profiling
(Un–)Zulässigkeit von Racial Profiling
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A wartet an einem kriminalitätsbelasteten Bahnhof. Er ist deutscher Staatsbürger und dunkler Hautfarbe. Bundespolizist P fordert ihn auf, den Personalausweis vorzulegen, weil A sich verdächtig verhalte und dunkler Hautfarbe ist. A leistet der Aufforderung Folge, erhebt später aber Klage.
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Einordnung des Falls
(Un–)Zulässigkeit von Racial Profiling
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Statthafte Klageart ist die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog).
Genau, so ist das!
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2. Das erforderliche Feststellungsinteresse besteht auch, wenn eine Maßnahme aufgrund ihrer typischerweise kurzfristigen Erledigung ansonsten der gerichtlichen Kontrolle entzogen würde.
Ja, in der Tat!
3. Weil P die Identitätsfeststellung auch mit Blick auf die Hautfarbe des A begründete, stellt diese einen Eingriff in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG dar.
Ja!
4. Die einschlägige Ermächtigungsgrundlage für die Ausweiskontrolle des A durch P ist § 22 Abs. 1 S. 3 BPolG.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Für die Annahme einer Gefahr im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 BPolG ist auch ein Gefahrenverdacht ausreichend.
Ja, in der Tat!
6. Da ein Gefahrenverdacht vorliegt, musste P die Identitätsfeststellung vornehmen.
Nein!
7. Aufgrund der stigmatisierenden Wirkung bei einer Differenzierung unter anderem aufgrund der Hautfarbe bedarf es erhöhter Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG.
Genau, so ist das!
8. Mangels Darlegung, dass Straftaten am Bahnhof vermehrt von Menschen mit dunkler Hautfarbe begangen wurden, ist die Anknüpfung der Identitätsfeststellung auch an die Hautfarbe unzulässig.
Ja, in der Tat!
9. Die Identitätsfeststellung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 BPolG setzt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach § 14 Abs. 2 S. 1 BPolG voraus. Es bestand eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
Nein!
10. Ein Eingriff in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG kann zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts gerechtfertigt sein.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Tim
28.11.2021, 12:58:00
Mir ist klar, dass der Fall hier schwerpunktmäßig auf die Hautfarbe abstellt. Stellt die Tatsache, dass der Bahnhof kriminalitätsbelastet ist, aber nicht dennoch einen Umstand dar, der eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit bzw. Ordnung ist und müsste das nicht zunächst bejaht werden?
Lukas_Mengestu
29.11.2021, 09:42:28
Hallo Tim, vielen Dank für Deine Nachfrage! Allein der Umstand, dass an dem Bahnhof regelmäßig Straftaten verübt werden, stellt noch keine KONKRETE Gefahr dar. Denn dafür müsste auch im konkreten Einzelfall ein Hinweis auf eine Straftat bestehen. Darauf kommt es indes nicht an, da auch der bloße
Gefahrenverdachtgenügt, um eine Identitätsfeststellung durchzuführen. Im Ergebnis wird insofern der Tatbestand bejaht. Da aber die Ermessensausübung fehlerhaft erfolgte, ist die Maßnahme dennoch rechtswidrig gewesen. In vielen Landesgesetzen gibt es aber tatsächlich gesonderte Tatbestände, die allein an die Kriminalitätsbelastung eines Ortes anknüpfen und insofern die Maßnahme gänzlich vom Begriff der Gefahr entkoppeln (vgl. § 12 Abs.1 Nr. 2 PolG NRW). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Julia Maxi
12.4.2022, 17:08:54
Inwiefern stellt eigentlich "warten" ein verdächtiges Verhalten dar? Also klar, man könnte gerade auf seinen Dealer warten, aber im Grunde ist Warten doch eine der Hauptbeschäftigungen aller Leute an einem Bahnhof - auf den eigenen Zug, auf Freunde die man dort abholt, ect. Wird das tatsächlich (noch) als Begründung für verdächtiges Verhalten akzeptiert? LG Julia
Lukas_Mengestu
20.4.2022, 11:35:50
Hallo Julia, die Tätigkeit "warten" ist in der Tat recht unspezifisch. In vielen Polizeigesetzen gibt es deshalb Bestimmungen, die eher an den Ort des Aufenthaltes anknüpfen (zB § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG). Nicht die Tätigkeit "Warten" begründet insoweit die Identitätskontrolle, sondern schlicht der Aufenthalt an bestimmten Orten, an denen vermehrt Straftaten verübt werden. Das müssen indes keine "verrufenen" Orte wie dunkle Bahnhofspassagen sein. Vielmehr können dazu auch reiche Viertel zählen, in denen es in der letzten Zeit vermehrt zu Wohnungseinbrüchen/Autodiebstählen... gekommen ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
evamarie
25.4.2022, 14:27:36
Heute lief in MV im ersten Examen ein Fall, der an die Entscheidung angelehnt war 🙈
Julia Maxi
25.4.2022, 15:26:39
In Berlin/Brandenburg lief im 1. Examen auch genau heute eine Abwandlung davon 😁 Also schon mit Änderungen und Ergänzungen (Park mit Schwerpunkt Drogenhandel und KV; mit einer Kriminalitätsstatistik, dass 75% der Verurteilungen bei gewerbsmäßigem BtM-Handel Personen mit westafrikanischer Staatsbürgerschaft betreffen und zusätzlich einer Durchsuchung durch eine Beamtin), aber definitiv gleiche Grundproblematik.
Gero1
25.4.2022, 18:16:21
Jap, in M-V lief dann wohl tatsächlich der gleiche Fall wie bei euch in Berlin/Brandenburg 😅 es ging sogar um einen Park in Berlin 😂 interessant, dass hier sich hier scheinbar die SV 1-1 gleichen 🤔
Lukas_Mengestu
26.4.2022, 18:19:21
Super, lieben Dank euch! Das fügen wir direkt zu unseren Examenstreffern hinzu. Viel Erfolg und gutes Durchhalten euch noch beim Endspurt!! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
schaschl2
26.4.2022, 21:00:45
In NRW kam der Fall auch
Philipp Paasch
21.7.2022, 23:45:42
Super, danke! ☺️
V. Z.
11.4.2023, 11:13:32
Lukas_Mengestu
11.4.2023, 15:10:33
Vielen Dank für den Hinweis! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Steven
15.11.2023, 19:20:38
Hallo, die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses dürfte im vorliegenden Fall (Erledigung vor Klageerhebung) gerade kein Feststellungsinteresse begründen. Denn die
Amtshaftungsklagekönnte direkt vor dem Landgericht erhoben werden, welches nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG über die Rechtswidrigkeit der Maßnahme zu entscheiden hätte, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.01.1989 - 8 C 30/87.
DeliktusMaximus
20.11.2023, 11:27:13
Ihr habt an einer anderen Stelle bezüglich der Fallgruppen zur Fortsetzungs
feststellungsklagegeschrieben, dass ein schwerwiegender Grundrechtseingriff alleine nach dem BVerfG ausdrücklich nicht ausreicht, um ein Feststellungsinteresse zu bejahen.
Sebastian Schmitt
23.9.2024, 11:10:14
Hallo @[DeliktusMaximus](178154), vielen Dank für den Hinweis. Leider wird es mit so einem pauschalen Hinweis schwierig, diejenige Aufgabe zu finden, auf die Du dich beziehst, weil wir selbst über die Suchfunktion ("schwer wiegender Grundrechtseingriff", "Fortsetzungs
feststellungsklage") wegen der mittlerweile erheblichen Zahl unserer Aufgaben und Fälle viele Ergebnisse kriegen. Deine Anfrage ist leider schon einige Zeit her, aber falls Du oder jemand anderes zufällig (noch einmal) über dasselbe Problem gestolpert ist, lasst es uns gerne wissen - idealerweise, indem Ihr uns die konkrete Aufgabe nennt. Am einfachsten geht das, indem Ihr den Link zur Aufgabe in Euren Post einfügt (Symbol mit dem Quadrat und dem nach rechts oben herausgehenden Pfeil über der Aufgabe anklicken ("Teilen"-Symbol), im sich dann öffnenden Menü ganz rechts auf die beiden überlappenden Quadrate, dann habt Ihr den Link in der Zwischenablage und könnt ihn zB mit Strg+v einfügen). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team