Infizierung mit Corona
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T ist SARS-CoV-2 positiv. Er glaubt an das "Durchseuchen" der Gesellschaft als Heilmittel und will möglichst viele mit dem Corona-Virus anstecken. Dazu packt er O an den Armen und hustet ihm mehrmals ins Gesicht. O infiziert sich. Symptome zeigt er im Krankheitsverlauf nicht.
Einordnung des Falls
Infizierung mit Corona
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem T den O mit Sars-CoV-2 angesteckt hat, hat er ihn "körperlich misshandelt" (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB).
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Nein, das ist nicht der Fall!
2. Indem T den O mit SARS-CoV-2 angesteckt hat, hat er ihn "an der Gesundheit geschädigt" (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB).
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Ja, in der Tat!
3. Corona-Viren sind "andere gesundheitsschädliche Stoffe" (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB).
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Ja!
4. T hat dem O das Corona-Virus auch "beigebracht" (§ 224 Abs. 1 StGB).
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Genau, so ist das!
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Machegenga
23.5.2021, 23:03:07
Entschuldigt die Haarspalterei, aber als “erkrankt” gilt, wer Symptome aufweist. O ist hier nur (asymptomatisch) infiziert.

Tigerwitsch
23.5.2021, 23:59:45
Als Gesundheitsschädigung gilt jedes hervorrufen oder steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes. Dabei ist gleichgültig, auf welche Art und Weise die Beeinträchtigung erfolgt, mit einer Schmerzempfindung braucht sie nicht verbunden zu sein. Nach der Ansicht des BGH tritt die Gesundheitsschädigung - also der krankhafte Zustand - bereits mit der bloßen Infizierung als solcher ein, da diese den körperlichen Normalzustand des Opfers tiefgreifend verändere (vgl. BGH, U. v. 18.10.2007 - AZ.: 3 StR 248/07). Mit anderen Worten: Eine Gesundheitsschädigung liegt selbst dann vor, wenn der Geschädigte zwar infektiös ist, es aber nicht zum Ausbruch von Krankheitsbeschwerden kommt (vgl. BGH, U. v. 04.11.1988 - AZ.: 1 StR 262/88; sowie speziell zu Corona: Pörner, in: JuS 2020, 498, 499). Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei o. g. Ausgeführten grundsätzlich die BGH-Rechtsprechung bzgl. HIV angewendet wird. Dies ist in der bisherigen Literatur nicht unumstritten: So spricht sich Hotz, in: NStZ 2020, 320, 321 f. gegen eine Übertragung auf das SARS-CoV-2-Virus aus. Demnach werde - laut Hotz - verkannt, dass der Infizierte „mit einem vollständigen Ausbleiben von Symptomen zwar eine Gefahr für Dritt darstellen“ möge. Er sei jedoch nicht in einem pathologischen Sinne krank. Andererseits würde man dem Täter die Rücktrittsmöglichkeit bei Krankheitserregern nehmen, für die ein Heilmittel bestehe. § 223 Abs. 1 StGB werde ansonsten in ein „die Volksgesundheit schützendes Gefährdungsdelikt“ verwandelt.
Machegenga
25.5.2021, 10:24:59
Hallo Tigerwitsch, vielen Dank für deine Antwort. Wenn ich dich richtig verstehe, demonstriert diese, dass zur Bejahung der Gesundheitsschädigung bereits die Infektion ausreicht. Das wollte ich allerdings mit meinem Kommentar nicht in Frage stellen: Mir ging es um die Differenzierung zwischen "erkrankt" (=Symptome) und "infiziert" (= aktive, sich vermehrende Virenteile, aber nicht notwendigerweise Symptome). Diese Differenzierung machst du ja auch in deiner Antwort. Der Sachverhalt macht sie aber nicht, denn dort wird von "erkrankt" gesprochen obwohl keine Symptome vorliegen.

Tigerwitsch
25.5.2021, 11:41:38
Ich verstehe den Sachverhalt so, dass mit „erkrankt“ gemeint ist, dass der Virus bei O nachgewiesen werden kann. Insofern wird mit „erkrankt“ die Infektion im tatsächlichen Sinne gemeint. Dies kann ja durchaus auftreten, dass man zwar positiv getestet ist/werden könnte und dennoch keine Symptome hat. Dieser Umstand (also die bloße Infektion) reicht grundsätzlich aus, um eine Gesundheitsschädigung iSd § 223 Abs. 1 Var. 2 StGB zu bejahen. Zumindest wenn man die BGH-Rechtsprechung zu HIV auf Corona überträgt. (Es besteht jedoch in der Literatur auch eine andere Ansicht, demnach die bloße Infizierung nicht ausreicht, sondern es zu Symptomen kommen muss, um eine Gesundheitsschädigung iSd § 223 StGB anzunehmen, siehe Hotz).

Tigerwitsch
25.5.2021, 11:43:16
Vlt. könnte man ja den Satz auch insoweit anpassen: „O infiziert sich./Bei O wird der Virus nachgewiesen.“
Machegenga
25.5.2021, 12:02:45
Genau, darauf wollte ich eigentlich hinaus ;)

Lukas_Mengestu
25.5.2021, 12:08:37
Hallo Machegenga, für "Haarspalterei" brauchst Du Dich wahrhaftig nicht zu entschuldigen. Wir freuen uns vielmehr, wenn wir durch solche Hinweise unsere Fälle noch weiter präzisieren können :) Wir haben das jetzt entsprechend im Fall angepasst. Danke Dir und auch Tigerwitsch für die Hinweise zu den Folgen für die rechtliche Lösung! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Juratiopharm
7.8.2023, 19:07:11
Es ist doch Käse ein Übergießen mit heißem Kaffee nicht als Beibringen zu werten, ein (wenn auch mehrmaliges) Anhusten aber schon.

Lukas_Mengestu
8.8.2023, 16:21:07
Hallo Juratiopharm, vielen Dank für Deine Nachricht. Lass Dich an dieser Stelle bitte nicht von konkreten Einzelfällen entmutigen. Die hier genannten Beispiele sollen Dir lediglich dabei helfen, ein Gespür zu entwickeln, wann ein Beibringen vorliegt und wann nicht. Dabei geht es nicht darum, die Beispiele auswendig zu lernen (zB Kaffee= Kein Beibringen), sondern darum, sich den abstrakten Maßstab zu vergegenwärtigen und an verschiedenen Anwendungsfällen zu subsumieren: „Dem Opfer beigebracht ist das Gift oder der gesundheitsschädliche Stoff, wenn er mit dem Körper des Opfers derart verbunden wird, dass er dort eine gesundheitsschädliche Wirkung entfaltet. Bei äußerlicher Einwirkung wird dabei insbesondere darauf abgestellt, ob dieser dem Fall gleiche, dass der Stoff in das Körperinnere gelangt.“ Diese "Verbundenheit" und „vergleichbare Gefährdung“ wurde in dem vorstehenden Kaffeefall, den das OLG Dresden zu entscheiden hatte, abgelehnt. Die kurzzeitige, oberflächliche Verbrennung sei einer innerlichen Anwendung gerade nicht gleichzusetzen. Anders ist dies hier, wo sich die Viren ja durchaus im Körper ansiedeln. Wichtig: Auch der Kaffeefall lässt sich natürlich abwandeln, zB wenn nicht nur oberflächliche leichte Verbrennungen hervorgerufen werden, sondern sich der Kaffee tiefer einbrennt. Entscheidend für Dich in der Klausur ist deshalb stets das Herausarbeiten des abstrakten rechtlichen Maßstabs. Wenn Dir das gelingt, so kann fast nichts mehr passieren. Solange Du im Rahmen der anschließenden Subsumtion die gegebenen Sachverhaltsinformationen hinreichend auswertest, sind hier in der Regel verschiedene Ergebnisse vertretbar. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
TubaTheo
10.9.2023, 22:57:04
Meine Frage ändert zwar nichts am Ergebnis, allerdings frage ich mich, ob man nicht auch eine körperliche Misshandlung bejahen kann. In der Aufgabe wird ja nur die Gesundheitsschädigung angesprochen. Zwar stellt das asymptomatische Infizieren keine körperliche Misshandlug dar. Doch finde ich, dass schon das Anhusten durch einen Fremden aus einer Entfernung von einer Armlänge das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt.