+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T verabreicht O "K.-o.-Tropfen", damit dieser in einen komatösen mehrstündigen Schlaf fällt und ihn bei seinem Vorhaben, Os Freundin zu verführen, nicht stört. O wird für drei Stunden bewusstlos.

Einordnung des Falls

K.-o.-Tropfen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem T dem O "K.-o.-Tropfen" verabreichte, hat er ihn an dessen Gesundheit geschädigt (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB).

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Genau, so ist das!

Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen, Steigern oder Aufrechterhalten eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden (pathologischen) Zustandes. Hier liegt in dem komatösen Schlaf das Herbeiführen eines pathologischen Zustandes.

2. Die von T genutzten K.-o.-Tropfen stellen einen "anderen gesundheitsschädlichen Stoff" (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) dar.

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Ja, in der Tat!

Andere Stoffe sind vor allem solche, die mechanisch oder thermisch (z.B. zerstoßenes Glas, heiße Flüssigkeiten, zerhacktes Metall) oder biologisch-physiologisch (z.B. Viren, Bakterien und Dopingsubstanzen) wirken. Gesundheitsschädlich ist der Stoff, wenn er unter den konkreten Bedingungen geeignet ist, die Gesundheit erheblich zu schädigen. Dabei ist auch die Opferkonstitution zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung lässt für die Bejahung der "Erheblichkeit" teilweise aber sehr wenig genügen. K.-o.-Tropfen wirken biologisch-physiologisch. Die Bewusstlosigkeit des O über mehrere Stunden stellt eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung dar. Die Aufweichung des Kriteriums der "Erheblichkeit" durch die Rechtsprechung wird im Schrifttum vielfach kritisiert. Denn systematisch sei dieses notwendig, um die höhere Strafandrohung im Vergleich zur "einfachen Körperverletzung" zu rechtfertigen. Zudem setze man sich sonst zu den anderen Tatbeständen des § 224 StGB in Widerspruch.

3. T hat O "mittels eines anderen gefährlichen Werkzeuges" an der Gesundheit geschädigt (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB).

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Nein!

Werkzeug ist jeder bewegliche Gegenstand, mittels dessen durch Einwirkung auf den Körper eine Verletzung zugefügt werden kann. Gefährlich ist ein Werkzeug, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (potentielle Gefährlichkeit). Für die Unterscheidung zwischen gesundheitsschädlichem Stoff und gefährlichem Werkzeug gilt grundsätzlich: Werkzeuge wirken typischerweise von außen physikalisch auf den Körper des Opfers ein und werden vom Täter gerade zur Verstärkung seiner Kraft und Verletzungsenergie eingesetzt. BGH: Ein narkotisierendes Mittel in der hier von T verwendeten Dosierung sei kein gefährliches Werkzeug.

4. T hat dem O die K.-o.-Tropfen nach h.M. "beigebracht" (§ 224 Abs. 1 StGB).

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Genau, so ist das!

Beibringen meint, dass der Stoff mit dem Körper so in Verbindung gebracht wird, dass er seine gesundheitsschädliche Wirkung entfalten kann. Nach h.M. ist es irrelevant, ob der Stoff seine Wirkung von außen oder innen entfaltet. Durch das Schlucken der K.-o.-Tropfen erfolgt die Wirkung im Körperinnern.

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Tigerwitsch

Tigerwitsch

22.5.2021, 11:34:42

1) U.U. könnte man in der SV-Darstellung noch einfügen, dass es sich nur um eine geringe Dosierung handelt.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

22.5.2021, 11:36:46

2) Außerdem stellt sich für mich die Frage, ob man nicht doch § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB annehmen müsste. So hat der BGH in der zitierten Entscheidung (B. v. 27.01.2009 - AZ.: 4 StR 473/08) unter Rn. 2 ausgeführt: „Auch die durch das Verabfolgen der ‚K.O.-Tropfen‘ verursachte Körperverletzung [Bewusstseinsverlust] hat der Angeklagte demgemäß [zwar] nicht mittels eines gefährlichen Werkzeugs […], sondern durch Beibringung gesundheitsschädlicher Stoffe […] begangen.“

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.5.2021, 17:10:15

Hallo Tigerwitsch, vielen Dank für Deine Hinweise. In der Tat hatte der BGH in dem Ausgangsfall die gefährliche Körperverletzung mit dem Argument bejaht, hier sei ein gesundheitsschädlicher Stoff beigebracht worden - ohne dies jedoch weiter zu subsumieren. Wir haben den Fall entsprechend angepasst. Im Schrifttum (zB MüKo-StGB/Hardtung, 4. A. 2021, § 224 Rn.7) wird dagegen vielfach dafür plädiert, dass man den Begriff der "erheblichen" gesundheitlichen Beeinträchtigung enger versteht, insbesondere um eine trennschärfere Abgrenzung zu § 223 Abs. 1 StGB zu ermöglichen und um das Verhältnis zu den übrigen Tatbeständen des § 224 zu wahren. Nimmt man das Merkmal insoweit ernst, so spricht vieles dafür, bei geringer Dosierung und für den Fall, dass mit Ausnahme des dreistündigen Schlafes keine weiteren gesundheitlichen Nebenwirkungen dazukommen, die Schwelle der Erheblichkeit noch nicht überschritten ist. Aber wie Du zurecht eingewandt hast, ist der BGH hier eben deutlich strenger. Beste Grüße, Lukas

AN

Anonym

16.11.2023, 10:41:31

Warum wird hier überhaupt nicht thematisiert, dass K.O. Tropfen auch ein Gift darstellen könnten? Das muss doch zumindest angesprochen werden!

LL

Leo Lee

19.11.2023, 09:51:21

Hallo Tatbestand, ohne jetzt auf die wissenschaftlichen Aspekte eingehen zu wollen: K.O.-Tropfen wurden von der Rspr. als andere gesundheitsschädliche Stoffe eingestuft und gerade nicht als Gift. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden, auch hier auf die zweite Var. Abzustellen, um allen voran Verwirrung mit „zu viel Subsumtion“ zu vermeiden. Jedoch finde ich, dass bei entsprechender Begründung auch K.O.-Tropfen unter „Gift“ subsumiert werden kann (was jedoch keine Auswirkung auf das Ergebnis hätte). Wir würden dich insofern um Verständnis bitten und können i.Ü. die Lektüre von Fischer StGB 70. Auflage, § 224 Rn. 5 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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