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T greift durch das Fenster der Wohnung von O. Seine Finger taucht er in ein offenes Marmeladenglas, das auf der Fensterbank steht und probiert anschließend.

Einordnung des Falls

Eindringen in Wohnung: Hand/Hineingreifen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T verwirklicht den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 Abs. 1 Var. 1 StGB), wenn er vorsätzlich "in die Wohnung eines anderen widerrechtlich eindringt".

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Ja, in der Tat!

Geschütztes Rechtsgut ist das individuelle Hausrecht. Das individuelle Hausrecht umfasst die Gesamtheit der rechtlichen Befugnisse, über den Verbleib anderer Personen innerhalb der dem Herrschaftsbereich einer Person zugeordneten geschützten räumlichen Bereiche tatsächlich frei zu bestimmen. Hausfriedensbruch wird nur auf Antrag verfolgt (absolutes Antragsdelikt (§ 123 Abs. 2 StGB)). Antragsberechtigt ist der Inhaber des Hausrechts.

2. "Eindringen" (§ 123 Abs. 1 Var. 1 StGB) meint das Betreten des Tatobjektes gegen den Willen des Berechtigten.

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Ja!

Betreten setzt voraus, dass der Täter eine gegenständliche, den Schutzbereich umgebende Grenze körperlich überschreitet. Berechtigter ist der Hausrechtsinhaber und damit derjenige, der die Räume bewohnt und in ihnen seine räumliche Privatsphäre rechtmäßig begründet hat. Gegen den Willen erfordert eine tatsächliche Willensbildung des Berechtigten dahingehend, dem Betreten des Raums durch den Täter nicht zuzustimmen. Die Äußerung dieses Willens kann ausdrücklich (Hausverbot), aber auch konkludent (z.B. aus dem Vorhandensein eines Zugangshindernisses wie Tür und Mauer sowie aus den für die konkrete Situation sozialüblichen Verkehrsformen) erfolgen.

3. T hat die Wohnung der O "betreten".

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Nein, das ist nicht der Fall!

Betreten setzt voraus, dass der Täter eine gegenständliche, den Schutzbereich umgebende Grenze körperlich überschreitet. Dabei kommt es nicht auf die Überwindung physischer Hindernisse oder eine bestimmte zeitliche Dauer an. Der Täter muss auch nicht notwendigerweise mit dem ganzen Körper in den Raum gelangen. Nicht ausreichend sind indes Handlungen, die von vornherein nicht auf das Hineingelangen in einen Raum, sondern lediglich auf körperliche Einwirkungen von außen gerichtet sind. Dass T bloß in den Raum hineingegriffen hat, ohne ihn betreten zu wollen, genügt nicht.

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🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

9.8.2020, 11:47:53

Ähnlich ließe sich m. E. dann aber auch beim Fall mit dem Fuß im Türspalt argumentieren, falls der Täter nämlich nicht hineingelangen wollte sondern lediglich den Hausrechtsinhaber am Schließen der Tür hindern wollte. Ist es die Absicht, gänzlich hineinzugelangen, welche die Strafbarkeit begründet?

Hamburger Michel

Hamburger Michel

25.10.2020, 15:01:39

Hallo Lexderogans, m.E. ist die Situation mit dem Fuß im Türspalt eine andere, da T so schon in die Wohnung gelangt ist, während bei diesem Fall T nur mit der Hand hineinlangt ohne körperliche Präsenz im Raum zu zeigen. In deiner Abwandlung würde ich das genauso sehen. Auch wenn T nur das Schließen der Tür verhindern wollte, ist dieser in die Wohnung des O gelangt und wollte dies auch. Bin aber weiterhin auf weitere strafrechtliche Einschätzungen gespannt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

27.7.2021, 01:02:22

Hallo ihr beiden, tatsächlich entspricht es der herrschenden Meinung, dass ein Eindringen nicht erst dann vorliegt, wenn man sich mit dem gesamten Körper im Raum befindet, sondern man ist sich einig, dass schon ein Teil des Körpers genügt. Wo hier die Grenze gezogen wird, ist umstritten. Diskutiert werden hier vor allem das Beispiel des Handgriffes an die Sicherungskette der Tür (vgl. RGSt 39, 440, wo dies im Ergebnis bejaht wurde) und der auch von euch erwähnte Fuß in der Tür (vgl. BeckOK StGB/Rackow, 50. Ed. 1.5.2021, § 123 Rn. 12; Fischer, 62. Aufl. 2015, § 123 Rn. 15). Hier ist im Ergebnis alles vertretbar, sofern man seine Sicht begründet. Der Wortlaut der Norm ("Eindringen") ist nur bedingt hilfreich und lässt sich in beide Richtungen nutzen. Hier könnte man einerseits argumentieren, dass jegliche physische Präsenz genügt (auch die Hand in der Luft stellt ja eine körperliche Präseznz dar) oder eben dahingehend, dass Handlungen, die von vorneherein nicht auf ein Betreten des Raumes ausgerichtet sind, den Tatbestand nicht erfüllen (wohl überwiegende Ansicht). Für die Einbeziehung sämtlicher Körperteile spricht natürlich, dass hierdurch schwierige Abgrenzungsschwierigkeiten vermieden werden. Für eine Differenzierung der jeweiligen Handlung danach, ob tatsächlich ein Betreten des Raumes erzielt werden soll oder nicht, spricht dagegen die grundsätzlich restriktive Auslegung von Strafrechtsnormen ("schärfstes Schwert") und auch der Sinn und Zweck der Norm, die das unmittelbare Hausrecht des Inhabers schützt. Wir können ja hier mal ein Stimmungsbild einholen :-). Wer würde den Marmeladendieb auch wegen Hausfriedensbruch zur Rechenschaft ziehen? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ri

ri

5.8.2021, 00:59:37

Ich stimme für Hausfriedensbruch, aber nur wenn er die Marmelade mit seinem nacktem Fuß 🦶 angelt.


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