Strafrecht

BT 5: Verkehrsdelikte

Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315c StGB

§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB: Supermarkt & Absolute Kfz-Fahruntüchtigkeit

§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB: Supermarkt & Absolute Kfz-Fahruntüchtigkeit

19. Februar 2025

6 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Trotz einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,1 Promille (‰) fährt T mit seinem Motorrad auf dem Parkplatz eines Supermarktes. Infolge seiner alkoholbedingten Reaktionsverzögerungen fährt er O um.

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Einordnung des Falls

§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB: Supermarkt & Absolute Kfz-Fahruntüchtigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem T mit seinem Motorrad auf dem Supermarktparkplatz fuhr, hat er ein „Fahrzeug geführt“ (§ 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Fahrzeuge sind vor allem Kfz aller Art, aber auch sonstige (zum Beispiel Fahrräder). Ein Fahrzeug führt, wer es unter Beherrschung seiner Antriebskräfte in Bewegung setzt oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung ganz oder zum Teil lenkt. Das Motorrad des T ist ein Kfz und daher unstrittig ein Fahrzeug. Da T sein Motorrad unter Beherrschung der dafür erforderlichen technischen Funktionen bewegte, hat er ein Fahrzeug geführt.
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2. T ist auf dem Supermarkt-Parkplatz, nicht auf einer Straße gefahren. Scheidet Ts Strafbarkeit am Merkmal des „öffentlichen Straßenverkehrs“?

Nein!

Der öffentliche Straßenverkehr ist nur derjenige Verkehr, der auf jedermann zur Benutzung offenstehenden Wegen oder Plätzen stattfindet. Erforderlich ist eine Fläche, die ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird. T fuhr auf einem Supermarktparkplatz. Die Benutzung des Parkplatzes eines allgemein zugänglichen Supermarktes ist nach dem Willen des Verfügungsberechtigten jedem Käufer oder Interessenten gestattet. Mithin ereignete sich die Tatausführung im öffentlichen Straßenverkehr.

3. War T zur Tatzeit unwiderleglich fahrtüchtig (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Fahruntüchtigkeit liegt vor, wenn der Fahrzeugführer nicht fähig ist, eine längere Strecke so zu steuern, dass er den Anforderungen des Straßenverkehrs so gewachsen ist, wie es von einem durchschnittlichen Fahrzeugführer zu erwarten ist. Die Fahruntüchtigkeit kann sowohl rauschbedingt sein, als auch auf geistigen oder körperlichen Mängeln beruhen. Nach Alkoholkonsum besteht für Kraftfahrer eine unwiderlegliche Vermutung für die Fahruntüchtigkeit, wenn die BAK im Tatzeitraum einen Wert von 1,1‰ erreicht hat (absolute Fahruntüchtigkeit). Da T zur Tatzeit eine BAK von 1,1‰ aufwies, war er nach gesicherten medizinischen Erkenntnissen nicht in der Lage, das Motorrad sicher zu führen. T hat das Fahrzeug daher trotz Fahruntüchtigkeit geführt.

4. O lebt. Ist der nach § 315c Abs. 1 StGB erforderliche „Gefahrerfolg“ ist damit ausgeblieben?

Nein, das trifft nicht zu!

§ 315c Abs. 1 StGB setzt den Eintritt einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Bei einer objektiven nachträglichen Prognose muss es zu einem „Beinahe-Unfall“ gekommen sein, von dem ein unbeteiligter Beobachter sagen würde, dass „das noch einmal gut gegangen“ sei. T hat den O sogar überfahren. Dies zeigt, dass O als notwendiges Zwischenstadium in konkrete Individualgefahr geraten war. Merke: Es ist nicht erforderlich, dass sich die Gefahr realisiert. Ist aber bereits ein Schaden eingetreten, kannst Du mit diesem Schaden für das Vorliegen einer Gefahr argumentieren. Wenn der Schaden sogar eingetreten ist, muss erst Recht die Gefahr dieses Schadens bestanden haben. Bei Deiner Argumentation solltest Du aber deutlich machen, dass Du weißt, dass der Schadenseintritt für die Strafbarkeit nicht erforderlich ist.

5. Auch der erforderliche „tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang“ ist gewahrt.

Ja!

Durch das Wort „dadurch“ bringt § 315c Abs. 1 StGB zum Ausdruck, dass sich im Gefahrerfolg die typische Gefährlichkeit des VerkehrsfFehlverhaltens im Verkehr realisieren muss. Dieser sog. tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang ist jedenfalls gegeben, wenn der Gefahrerfolg Folge der durch die Wirkung des Rausches hervorgerufenen Fahruntüchtigkeit ist. Eine Mitursächlichkeit der Alkoholisierung ist indes ausreichend. Die Kollision beruht auf Ts verzögerter Reaktionsfähigkeit. Hierbei handelt es sich um eine typische Wirkung des Alkohols. Der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang liegt vor. T hat den objektiven Tatbestand von § 315c Abs. 1 Nr. 1a Alt. 1 StGB erfüllt. Wenn Alkohol oder andere Rauschmittel im Spiel sind, solltest Du immer auch an § 316 Abs. 1 StGB denken. Beachte allerdings, dass dieser subsidiär zu §§ 315a, 315c StGB ist. Du prüfst ihn also nur, wenn Du zuvor eine Strafbarkeit nach diesen beiden §§ verneint hast.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Artimes

Artimes

7.3.2024, 16:24:06

Prüft man bei §

315c StGB

auch die obj. Zurechnung? Oder zieht man die Kriterien der objektiven Zurechnung im Rahmen der Prüfung des

tatbestand

sspezifischen Gefahrzusammenhangs heran?

Gruttmann

Gruttmann

7.3.2024, 21:03:51

Hallo, du denkst auf jeden Fall in die richtige Richtung! Dort prüfst du sozusagen die „objektive Zurechnung“, aber (!) -> Der spezifische Gefahrzusammenhang ist enger, als die objektive Zurechnung! Hoffe das hilft dir. LG, Gruttmann.

SM

Steroiden Moses

12.1.2025, 01:04:04

Im Wortlaut des 315c ist eigentlich gar nicht von öffentlichen Straßenverkehr die Rede, sondern nur von Straßenverkehr. Hat das irgendeine tiefere Bedeutung? Muss man „öffentlich“ dort (aus systematischen Gründen) hineinlesen? Bei der Frage zu diesem TBM wird nämlich

öffentlicher Straßenverkehr

herangezogen.

LELEE

Leo Lee

3.2.2025, 13:07:22

Hallo Steroiden Moses, vielen Dank für diese sehr gute und wichtige Frage! Das ist in der Tat eine sehr spannende Fragestellung. Vorab: Ausreichend ist es, wenn die TatHANDLUNG in der Öffentlichkeit begonnen wird; danach ist es egal, ob der Erfolg auf einer privaten Fläche endet oder nicht (Bsp.: Autofahrer A beginnt, den Fußgänger B anzusteuern auf öff. Straße. B rennt los, A fährt hinterher. B wird von A auf einem PRIVATEN Parkplatz erfasst). In der Literatur findet sich zwar keine explizite Begründung, weshalb ausgerechnet "öffentlich" reingelesen werden muss. Allerdings ergibt sich die Erforderlichkeit unseres Erachtens aus zwei Gründen: 1. Systematik: 315c steht im 28. Abschnitt "

Gemeingefährlich

e Straftaten". Damit eine Straftat

GEMEINgefährlich

ist, muss sie auch die AllGEMEINheit betreffen 2. Telos:

315b

ff. bestraft den Täter gerade deshalb, weil er den öff. Verkehr - der normalerweise reibungslos ablaufen soll, weil alle entspr. dem Vertrauensgrundsatz auf andere Verkehrsteilnehmer vertrauen - in perfider Weise ausnutzt, um seiner kriminellen Energie freien Lauf zu lassen. Wenn allerdings alles von Anfang bis Ende auf einem rein privaten Gelände vonstattengeht, ist ebendiese Ausnutzung der Öffentlichkeit (und damit auch des Vertrauensgrundsatzes) nicht gegeben, weshalb der Strafzweck nicht erreicht wird :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

SM

Steroiden Moses

3.2.2025, 13:49:22

Lieber LEO, baba Antwort, Danke, dass ihr sowas so gut aufbereitet!!!

LELEE

Leo Lee

4.2.2025, 09:23:26

Hallo Steroiden Moses, sehr gerne und vielen herzlichen Dank für die netten Worte 😄!


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