Faktischer Eingriff in Versammlungsfreiheit durch Tiefflug eines Tornados – Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Wegen mehrtägiger gewalttätiger Großdemonstrationen machen Kampfflugzeuge der Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei Fotos der Umgebung, um Gefahren frühzeitig zu erkennen. Dafür fliegt ein Jet in nur 114m Höhe über ein Unterkunfts-Camp, in dem sich Demonstrantin D aufhält.

Einordnung des Falls

Faktischer Eingriff in Versammlungsfreiheit durch Tiefflug eines Tornados – Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Versammlungsfreiheit ist durch das Grundgesetz geschützt.

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Ja, in der Tat!

Das Grundgesetz gewährt das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln (sog. Versammlungsfreiheit, Art. 8 Abs. 1 GG). Es ist eines der wichtigsten Grundrechte des Grundgesetzes. Denn der durch das Versammlungsrecht geschützte Freiheitsraum ist essentiell für die Geltendmachung politischer Forderungen im öffentlichen Raum. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hat daher elementare Bedeutung für die Aufrechterhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

2. Der Schutz der Versammlungsfreiheit setzt eine Versammlung voraus.

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Ja!

Eine Versammlung (Art. 8 Abs. 1 GG) ist (1) eine örtliche Zusammenkunft (2) mehrerer Personen (3) zu einem gemeinsamen Zweck. Der gemeinsame Zweck muss darin liegen, dass die versammelten Personen gemeinschaftlich etwas erörtern oder kundgeben und damit auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Hauptfall der Versammlung sind Demonstrationen (z.B. Anti-Kriegs-Demos, Demo für bezahlbaren Wohnraum, Fridays for Future).

3. Das Unterkunfts-Camp, von dem Demonstrantin D zu ihrer Demo aufbrechen will, ist von ihrem Versammlungsrecht geschützt.

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Genau, so ist das!

Unterkunfts-Camps sind keine Versammlung. Denn sie dienen dem Aufenthalt der Demonstranten vor der Demonstration und ihrer Vorbereitung. Somit erfolgt hier noch keine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Es fehlt am erforderlichen gemeinsamen Zweck. Aber: Die Versammlungsfreiheit schützt nicht nur die eigentliche Versammlung, sondern den Vorgang des Sich-Versammelns (sog. Vorwirkung). Dadurch wird verhindert, dass staatliche Maßnahmen vor der Versammlung das Grundrecht aushöhlen. Geschützt sind Zugang und Anreise zur bevorstehenden Versammlung sowie Unterkünfte, wenn sie - wie hier - erst die Teilnahme an der Versammlung ermöglichen.

4. Der Überflug des Kampfflugzeugs in nur 114m Höhe ist als Eingriff in die Versammlungsfreiheit von D zu werten.

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Ja, in der Tat!

Das Bundesverwaltungsgericht hat geurteilt, der Überflug stelle einen faktischen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) der Personen dar, die sich im Camp aufhalten. Denn das staatliche Handeln kann hier aus Sicht eines verständigen Dritten einschüchternd oder abschreckend wirken. Es ist geeignet, potentielle Demonstranten dazu zu bewegen, die geplante Teilnahme an der Versammlung zu überdenken. Der angsteinflößende Anblick, der extreme Lärm und der Überraschungseffekt eines tieffliegenden Jets könnte Demonstrantin D einschüchtern. D könnte den Überflug als Aufforderung des Staates deuten, den Demonstrationen fernzubleiben.

5. Jeder Eingriff in ein Grundrecht - wie der vorliegende Eingriff in die Versammlungsfreiheit von D - bedarf einer Rechtfertigung. Andernfalls ist er rechtswidrig.

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Ja!

Möchte der Staat durch eine Maßnahme in den Freiheitsraum eingreifen, den ein Grundrecht gewährt (sog. Schutzbereich), muss er diesen Eingriff rechtfertigen können. Andernfalls ist der Eingriff rechtswidrig. D.h. die Maßnahme darf nicht durchgeführt werden oder muss, wenn bereits durchgeführt, in Zukunft unterbleiben; im Einzelfall muss der Staat Betroffene entschädigen. Eingriffe sind insbesondere gerechtfertigt zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter (z.B. zum Schutz der Grundrechte anderer). Jeder Eingriff muss zudem verhältnismäßig sein. Dies hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

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