Konkrete Gefahr für Minderjährige nur wegen Alleingeburt? (§ 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M bringt zu Hause allein komplikationslos zwei gesunde Kinder zur Welt. Sie werden am nächsten Tag ärztlich versorgt. Bei einem Hausbesuch weisen die Kinder ein etwas geringes Gewicht und eine etwas zu niedrige Körpertemperatur auf. Anzeichen für eine Überforderung von M gibt es nicht.

Einordnung des Falls

Konkrete Gefahr für Minderjährige nur wegen Alleingeburt? (§ 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Inobhutnahme ist möglich, wenn der Minderjährige nicht selbst darum bittet.

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Ja, in der Tat!

Ja, das ist möglich! Dies setzt im Kern voraus, dass eine dringende Gefahr für das Wohl des Minderjährigen besteht (Kindeswohlgefährdung, § 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII). Zweck der Jugendhilfe ist der Schutz des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls des Minderjährigen.

2. Der Bedarf eines Hausbesuches durch das Jugendamt reicht aus, um eine Kindeswohlgefährdung anzunehmen.

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Nein!

Eine Gefahr besteht, wenn im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung konkrete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für das Wohl des Minderjährigen eintritt. Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Das "Wohl" des Minderjährigen umfasst das physische und psychische Wohl, z.B. die Rechtsgüter Leib und Leben. Unter den Umständen der außergewöhnlichen Geburt ist es durchaus sinnvoll, weitere Ermittlungen anzustellen und die Familie zu besuchen. Dies begründet aber nicht bereits eine Kindeswohlgefährdung.

3. Die Umstände der Allein-Geburt sowie die zu niedrigen Körpergewichte und -temperaturen begründen eine konkrete Gefahr für das Wohl der Kinder.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Reine Befürchtungen reichen nicht aus, es müssen konkrete Hinweise für eine Gefahr vorliegen. Nicht jede Nachlässigkeit ist ausreichend. Hier ist nicht davon auszugehen, dass bei ungehindertem Geschehensablauf ein Schaden für die Minderjährigen eintreten wird. Die Geburt ist komplikationslos verlaufen, die Kinder sind gesund. Das mit einer (Allein-,)Hausgeburt verbundene Risiko hat sich nicht verwirklicht. Das etwas geringe Gewicht und die etwas zu kühle Körpertemperatur können mit einfachsten Maßnahmen (füttern, zudecken) behoben werden. Es gibt keine Anzeichen, dass M dies nicht bewältigen könnte.

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