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Entscheidungen von 2021

Anspruch eines Mädchen auf Aufnahme in einen Knabenchor?

Anspruch eines Mädchen auf Aufnahme in einen Knabenchor?

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die 11-jährige K, eine talentierte Sängerin, würde gerne im Knabenchor („Staats- und Domchor“) der staatlichen Hochschule (B) des Landes Berlin singen. B lehnt den Aufnahmeantrag der K ab. K sieht sich diskriminiert und in ihrem Anspruch auf gleiche Teilhabe an staatlichen Leistungen und an staatlicher Förderung verletzt.

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Einordnung des Falls

Anspruch eines Mädchen auf Aufnahme in einen Knabenchor?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 14 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K erhebt Klage vor dem VG. B meint, Streitigkeiten um den „Domchor“ gehörten vor die Gerichtsbarkeit kirchlicher Gerichte. Ist hier der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet?

Genau, so ist das!

Wenn eine Streitigkeit in den Bereich der innerkirchlichen Selbstverwaltung fällt, unterliegt diese wegen des Selbstverwaltungsrechts der Religionsgesellschaften (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV) nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit, sondern der Gerichtsbarkeit kirchlicher Gerichte. Dies ist u.a. der Fall, wenn die streitgegenständliche Einrichtung nicht in staatlicher, sondern in kirchlicher Trägerschaft liegt. Der Knabenchor ist trotz der Bezeichnung „Domchor“ keine Einrichtung in kirchlicher Trägerschaft, sondern steht in Bs Trägerschaft. Der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten ist eröffnet (RdNr. 24). Der Staats- und Domchor ist eine der ältesten musikalischen Einrichtungen Berlins und ermöglicht stimmlich begabten Jungen eine kostenlose musikalische und sängerische Grundausbildung (RdNr. 6), die für die weitere musikalische Entwicklung der Sänger sehr förderlich ist. Diese besonders gute Ausbildung gibt es jedenfalls in Berlin für junge Sängerinnen wohl nicht noch ein zweites Mal. Allerdings existieren in Berlin auch exzellente Mädchenchöre, wie etwa in der Sing-Akademie zu Berlin.
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2. Für die Klage ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt und es an einer abdrängenden Sonderzuweisung fehlt (§ 40 Abs. 1 VwGO).

Ja, in der Tat!

So steht es in § 40 Abs. 1 VwGO (lesen!). Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Recht sind (modifizierten Subjekttheorie). Die Streitigkeit ist nichtverfassungsrechtlicher Art, wenn es an der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit fehlt.

3. Laut Satzung hat der Knabenchor die musikalische Erziehung und Förderung zum Gegenstand. Handelt es sich bei dem Knabenchor um eine öffentliche Einrichtung?

Ja!

Unter einer öffentlichen Einrichtung ist jede Zusammenfassung von Personen und Sachen zu verstehen, die im Rahmen übertragener staatlicher Aufgaben geschaffen wird und dem von dem Widmungszweck erfassten Personenkreis nach allgemeiner und gleicher Regelung zur Benutzung offensteht. Öffentlich wird die Einrichtung dabei durch den Widmungsakt, welcher an keine Rechtsform gebunden ist und auch konkludent erfolgen kann (RdNr. 25). Der Widmungsakt ist die Satzung für den Knabenchor, weil aus dieser hervorgeht, welchem Zweck der Chor dienen soll und welchem Personenkreis er offensteht. Da der Chor laut Satzung die musikalische Erziehung und Förderung zum Gegenstand hat und damit eine Leistung anbietet, ist er eine öffentliche Einrichtung.

4. Weil der Knabenchor eine öffentliche Einrichtung ist und K Zugang zu ihm begehrt, sind die streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtlich i.S.d. § 40 Abs. 1 VwGO. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.

Genau, so ist das!

Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich i.S.d. § 40 Abs. 1 VwGO, wenn die streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtlich sind. Bei Auseinandersetzungen im Zusammenhang öffentlicher Einrichtungen wird unterschieden (sog. Zweistufentheorie): Streiten die Beteiligten über das „Ob“ der Nutzung einer öffentlichen Einrichtung (Anspruch auf Zugang), liegt eine öffentliche Streitigkeit vor. Streiten sie über das „Wie“ der Nutzung, liegt eine öffentliche Streitigkeit vor, wenn auch das Nutzungsverhältnis öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist. K begehrt Zugang zum Knabenchor, es geht also um das „Ob“ der Nutzung einer öffentlichen Einrichtung. Die streitentscheidenden Normen sind solche des öffentlichen Rechts, eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor (RdNr. 25). Die Streitigkeit ist offensichtlich auch nicht-verfassungsrechtlicher Art i.S.d. § 40 Abs. 1 VwGO.

5. K wehrt sich gegen die Ablehnung ihres Aufnahmeantrags durch B. Ist die statthafte Klageart hier die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO)?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Anfechtungsklage ist statthaft, wenn die Klägerin die Aufhebung eines Verwaltungsakts begehrt. Die Verpflichtungsklage ist statthaft, wenn die Klage auf den Erlass eines abgelehnten Verwaltungsakts gerichtet ist (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). K wendet sich gegen die Ablehnung ihres Aufnahmeantrags und begehrt zugleich, B zur Aufnahme in den Knabenchor zu verpflichten (RdNr. 28). Die Aufnahme in den Knabenchor ist - genauso wie ihre Ablehnung - ein Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 (L)VwVfG). Dass die Aufnahme bzw. deren Ablehnung ein Verwaltungsakt ist, solltest Du kurz begründen. Denn die Beklagte B ist keine „klassische“ Behörde, aber fällt als staatliche Hochschule auch unter den Behördenbegriff i.S.v. § 1 Abs. 4 (L)VwVfG. Ein Vorverfahren (§§ 68ff. VwGO) war hier nicht durchzuführen (§ 26 Abs. 2 Satz 1 AZG). Weitere Zulässigkeitsprobleme stellten sich hier nicht.

6. Die Klage der K ist begründet, wenn die Ablehnung des Aufnahmeantrags rechtswidrig ist und K dadurch in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Ja!

Die Verpflichtungsklage ist begründet, soweit die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihre Rechten verletzt ist und die Sache spruchreif ist (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Dies ist der Fall, wenn die Klägerin einen gebundenen Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts hat. Die Prüfung der Begründetheit der Verpflichtungsklage baust Du dann wie folgt auf (sog. Anspruchsaufbau): (1) Anspruchsgrundlage, (2) formelle Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage, (3) materielle Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage, (4) Rechtsfolge. Achtung: Nur bei Spruchreife - also bei einer gebundenen Entscheidung der Verwaltung - ist der voranstehende Obersatz richtig. Fehlt es an Spruchreife – v.a. wenn die Verwaltung einen Ermessensspielraum hat –, hat der Kläger nur einen Anspruch auf nochmalige ermessensfehlerfreie Bescheidung (Bescheidungsklage, § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).

7. Als Anspruchsgrundlagen für die Aufnahme in den Knabenchor kommen der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG bzw. Art. 10 Abs. 1 VvB) sowie das landesverfassungsrechtliche Recht auf Bildung (Art. 20 Abs. 1 VvB) in Betracht.

Genau, so ist das!

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG bzw. Art. 10 Abs. 1 VvB) leitet sich ein Recht auf gleiche Teilhabe an öffentlichen Einrichtungen ab. Zudem normiert die Landesverfassung von Berlin in Art. 20 Abs. 1 VvB ein Recht jedes Menschen auf Bildung und fördert den Zugang eines jeden Menschen zu öffentlichen Bildungseinrichtungen. Der Knabenchor ist eine öffentliche Einrichtung. Damit könnte K einen Zugangsanspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG bzw. aus Art. 10 Abs. 1 VvB herleiten. Zudem hat der Knabenchor laut seiner Satzung die musikalische Erziehung und Förderung durch Unterricht und Konzertaufführungen zum Gegenstand. Damit hat er auch den Charakter einer Bildungseinrichtung, sodass K zusätzlich einen Zugangsanspruch aus Art. 20 Abs. 1 VvB haben könnte (RdNr. 52).In den Gemeindeordnungen vieler Bundesländer ist ein Anspruch auf Zugang zu öffentlichen Einrichtungen ausdrücklich normiert.

8. Allerdings darf B die Zugangsvoraussetzungen und die Benutzungsbedingungen für die öffentliche Bildungseinrichtung „im Rahmen der Gesetze“ selbstständig regeln.

Ja, in der Tat!

Der Anspruch auf Zugang zur öffentlichen Einrichtung besteht nicht unbegrenzt. Der Träger der öffentlichen Einrichtung hat dahingehend eine Regelungsbefugnis. Zugleich ist es dem Träger der öffentlichen Einrichtung untersagt, den Zugang willkürlich zu beschränken. Die Grenzen seiner Regelungsbefugnis ergeben sich insbesondere aus dem Widmungszweck der öffentlichen Bildungseinrichtung, aus dem Verfassungsauftrag, das kulturelle Leben zu schützen und zu fördern (Art. 20 Abs. 2 VvB), aus dem Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG und Art. 10 VvB) sowie aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (RdNr. 74). Klassische Gründe für die Ablehnung eines Zugangsanspruchs in der Regelungsbefugnis des Trägers sind etwa Kapazitätsbeschränkungen.

9. Nach Bs Ansicht sei das maßgebliche Kriterium für die Aufnahme in den Knabenchor nicht das Geschlecht, sondern die stimmliche Fähigkeit der Bewerber, einen „Knabenchorklang“ zu erzeugen. Stellt dies eine faktische bzw. mittelbare Ungleichbehandlung weiblicher Bewerberinnen dar?

Ja!

Eine mittelbare Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts liegt vor, wenn eine geschlechtsneutral formulierte Regelung im Ergebnis überwiegend Angehörige eines Geschlechts trifft und dies auf natürliche oder gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückzuführen ist (vgl. BVerfGE 97, 35, 43; 104, 373, 393). Nach BVerfG sind auch mittelbare Diskriminierungen vom Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 1 erfasst. Dadurch, dass maßgebliches Aufnahmekriterium die Fähigkeit des Bewerbers ist, einen Knabenchorklag zu erzeugen, haben Mädchen eine wesentlich geringere Aufnahmewahrscheinlichkeit. Darin liege eine mittelbare Ungleichbehandlung weiblicher Bewerberinnen (RdNr. 80).

10. An das Geschlecht anknüpfende (unmittelbare oder mittelbare) Ungleichbehandlungen (Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG) sind immer verfassungswidrig.

Nein, das ist nicht der Fall!

An das Geschlecht anknüpfende Ungleichbehandlungen sind nur mit Art. 3 Abs. 3 GG vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen zwingend erforderlich sind, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können. Ansonsten können sie allein im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht gerechtfertigt sein. Die Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter erfolgt nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz. Danach sind die widerstreitenden Positionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu einem schonenden Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Merk Dir: Ungleichbehandlungen nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG sind nur ausnahmsweise zu rechtfertigen.

11. Der Staats- und Domchor ist die älteste musikalische Einrichtung Berlins und u.a. als Knabenchor seit Jahrhunderten kultureller Bestandteil des Landes. Könnte dieser Aspekt als kollidierendes Verfassungsrecht die mittelbare Ungleichbehandlung von K aufgrund des Geschlechts rechtfertigen?

Ja, in der Tat!

An das Geschlecht anknüpfende Ungleichbehandlungen lassen sich nur zur Lösung von Problemen rechtfertigen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, oder zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts. OVG: Die Benachteiligung der K sei durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt. Art. 20 Abs. 2 VvB verpflichte das Land, das kulturelle Leben zu schützen und zu fördern. Der im Staats- und Domchor Berlin verankerte Knabenchor sei die älteste musikalische Einrichtung Berlins und fester kultureller Bestandteil des Landes. Die öffentliche Einrichtung stehe in der historischen Tradition des ehemaligen preußisch-königlichen Hof- und Domchors. Angesichts der kulturellen Bedeutung des Knabenchores müsse B diesen schützen und fördern (RdNr. 75, 83ff.). Die Abwägung der widerstreitenden Verfassungsgüter – Kulturpflege (Art. 20 Abs. 2 VvB) einerseits, Gleichbehandlungsrecht der K (Art. 3 Abs. 3 GG) andererseits – geht nach Ansicht des OVG zu Lasten der K aus. Die Argumentation des OVG wirft Zweifel auf. Es bleibt unklar, ob die hohen Anforderungen an eine gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung erfüllt sind.

12. Wäre die Ungleichbehandlung der K verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn die Aufnahme von Mädchen in den Knabenchor zur Folge hätte, dass der spezifische „Knabenchorklang“ verfehlt würde?

Ja!

An das Geschlecht anknüpfende Ungleichbehandlungen lassen sich nur zur Lösung von Problemen rechtfertigen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, oder zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts. OVG: Das Ergebnis eines Knabenchorklangs würde bei Aufnahme der Klägerin verfehlt. Müsste B zur Vermeidung faktischer Ungleichbehandlungen Mädchen, die wie K keine dem Klangraum eines Knabenchores entsprechende Stimme haben, dennoch in den Knabenchor aufnehmen, widerspräche das dem Widmungszweck des Chores und damit der nach Art. 20 Abs. 2 VvB aufgegebenen Kulturpflege. Demgegenüber müsse das Gleichbehandlungsinteresse der Klägerin zurücktreten (RdNr. 89). Auch hier bleiben Zweifel, ob die Argumentation des OVG vereinbar ist mit den hohen Anforderungen an die Rechtfertigung von gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlungen.

13. Bs Chorleiter urteilt, dass K weder im Zeitpunkt ihres Aufnahmebegehrens noch in angemessener Zeit stimmlich in der Lage sei, das Klangbild des Knabenchors zu erzeugen. K meint, dies sei rechtsfehlerhaft. Ist die Einschätzung des Chorleiters gerichtlich voll überprüfbar?

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich sind behördliche Entscheidungen voll gerichtlich überprüfbar. Nach der Lehre vom Beurteilungsspielraum gibt es aber Fälle, in denen den Behörden bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffes ein Wertungsspielraum zukommt. Innerhalb dieses Wertungsspielraums darf das Gericht weder seine eigene noch die Einschätzung (sachverständiger) Dritter an die Stelle der Beurteilung durch die Behörde setzen. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Behörde die Entscheidung ausreichend begründet, Verfahrensvorschriften einhält, von zutreffenden Tatsachen ausgeht, keine sachfremden Erwägungen anstellt, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und ein richtiges Normverständnis zu Grunde legt (RdNr. 91 f.). OVG: Ob Bewerber die stimmlichen Anforderungen für die Aufnahme in den Chor erfüllen, lasse sich nicht anhand objektiv messbarer Kriterien bestimmen, sondern sei in besonderem Maße von Subjektivität geprägt. Dementsprechend komme dem Chorleiter bei seinem künstlerisch-pädagogischen Werturteil ein Beurteilungsspielraum zu. Anhaltspunkte für eine gerichtlich überprüfbare Verletzung des Beurteilungsspielraums seien nicht ersichtlich. (RdNr. 92ff.) Hierin dürfte dem Gericht zuzustimmen sein.

14. Die Klage der K ist begründet.

Nein, das trifft nicht zu!

Ks Verpflichtungsklage ist begründet, soweit die Ablehnung der begehrten Aufnahme rechtswidrig und K dadurch in ihren Rechten verletzt ist und die Sache spruchreif ist (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Dies ist der Fall, wenn K einen Anspruch auf Aufnahme in den Knabenchor hat. Die Ablehnung des Aufnahmeantrags der K war jedenfalls mit Blick darauf rechtmäßig, dass sie nach - gerichtlich nicht voll überprüfbarer - Ansicht des Chorleiters des B nicht geeignet sei, das Klangbild des Chores zu erzeugen. Die Klage ist unbegründet. (RdNr. 51, 90).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PPE

Philipp von Pentz

9.7.2022, 00:19:17

Eine wichtige Ergänzung wäre m.E., dass selbst wenn man verneinen würde, dass die staatliche Kunsthochschule sich auf die Kunstfreiheit berufen kann, sich trotzdem der Chorleiter auf Art. 5 III GG berufen kann. Dies leuchtet mir aufgrund der künstlerischen Betätigung ein, die auch die Auswahl des gewünschten Klang- bzw. Stimmbildes des Chores umfassen muss. Meines Erachtens gebietet es die Kunstfreiheit, dass es dem Chorleiter überlassen sein muss ( i.R. seines Beurteilungsspielraums ) wie der Chor klingen soll.

PPE

Philipp von Pentz

9.7.2022, 00:30:45

Insofern finde ich das Abstellen auf die Kunstfreiheit auch überzeugender als den Schutz des Kulturerbes anzuführen. Die Kunstfreiheit ist nämlich auch etwas Subjektives, dem rationalen Verstehen entzogenes. Die Förderung der Kulturpflege als Rechtfertigung eröffnet dagegen das Problem, das man so Förderungswürdigkeit der Kunst (hier: des Knabenchores) anhand objektiver öffentlicher Anerkennungen (hier: Unesco, immaterielles Kulturerbe) bewertet. Wichtiger ist aber das subjektive klangliche Hörerlebnis.

PPAA

Philipp Paasch

9.7.2022, 00:56:46

Das Gericht hat m.W.n. auch die Kunstfreiheit untersucht. Allerdings steht hier Kunstfreiheit gegen Kunstfreiheit.

PPE

Philipp von Pentz

9.7.2022, 01:39:14

Bloß merkt ja das Gericht wie ich finde zutreffend an, dass sie 'als Mädchen weder faktisch von der Teilhabe an einem bestimmten Bereich gesellschaftlicher Betätigung ausgeschlossen noch werde ihr die grundsätzliche Möglichkeit genommen, in anderen Chören zu singen und in Gesangseinrichtungen eine musikalische Ausbildung mit vergleichbarem Niveau zu erhalte' Es geht ja mittelbar auch um die vielen Knaben, die dort in einem gewissen Tonspektrum singen, und nicht nur um das Mädchen auf der einen und die Chorleitung auf der anderen Seite. Daher ist da ein gewisser Beurteilungsspielraum gegeben. Und weder Willkür noch sachfremde Erwägungen liegen vor, womit das schon von der Befugnis des Chorleiters umfasst ist.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

3.10.2023, 09:55:14

Danke für eure Einschätzungen @[Philipp von Pentz](178033) und @[Philipp Paasch](173758). In der Tat führt das OVG in der Entscheidung auch Erwägungen zur Kunstfreiheit des Chorleiters ins Feld. Wir haben diese nicht erwähnt, weil sie nach unserem Dafürhalten rechtlich hier keine Rolle spielen darf (und der Fall kompliziert genug ist): Der Chorleiter ist hier das (künstlerische) Organ des Chores. Der Chor ist staatlich, die Auseinandersetzung also auch öffentlich-rechtlich. Der Chor und der Chorleiter sind damit als Träger öffentlicher Gewalt gemäß Art. 1 Abs. 3 GG grundrechtsverpflichtet. Sie können sich daher nicht zugleich auch auf Grundrechte berufen (

Konfusion

sargument). Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

ahimes

ahimes

18.10.2022, 15:51:03

Darüber hinaus hätte es sicherlich auch Mädchenchore gegeben, wo K unproblematisch hätte aufgenommen werden können. Der Knabenchor heißt ja nicht umsonst Knabenchor. Ich glaube an der einen oder anderen Stelle hätte man noch stichfester argumentieren können. Aber im Ergebnis bin ich d'accord mit dem OVG

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

3.10.2023, 09:41:33

Danke für deine Einschätzung @[ahimes](191697). Das besondere ist, dass der Knabenchor des Staats- und Domchores Berlin seinen jungen Sängern eine besonders gute musikalische Ausbildung eröffnet, die für die weitere musikalische Entwicklung der Sänger sehr förderlich ist. Diese besonders gute Ausbildung gibt es jedenfalls in Berlin für junge Sängerinnen wohl nicht noch ein zweites Mal. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper

Edward Hopper

19.10.2022, 00:00:46

Also finde schon Krass dass ein Mädchen bei einem seit Jahrhunderten von Jahren bestehenden Jungenchor nicht aufgenommen wird. Und die einzige gerichtfeste Begründung ist auf biegen und brechen die, dass sie nicht den Klang habe. How about es ist ein Knabenchor seit 400 Jahren, so pls stop. Das ist doch ein Einfallstor für Woke Helikoptereltern

PPAA

Philipp Paasch

19.10.2022, 08:22:38

Wie bitte?^^

kartoffelkapitän

kartoffelkapitän

20.10.2022, 11:32:23

Ein Knabenchor bleibt nun mal ein Knabenchor Punkt

ABI

Abi

28.3.2023, 08:39:34

Alice, bist du es?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

3.10.2023, 09:48:22

Danke für deine Einschätzung @[Edward Hopper](174080). Allein das historische Argument, der Chor war 400 Jahre Knabenchor und müsse das deshalb auch bleiben (dürfen), ist zwar verfassungsrechtlich als kulturelle Errungenschaft zu berücksichtigen. Ob dieses Argument den besonders hohen Anforderungen zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 3 Abs. 3 GG (siehe dazu die Hinweistext der Aufgabe) genügt, erscheint jedoch sehr zweifelhaft. Hoffe das hilft. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

3.10.2023, 10:23:11

Nachtrag zur Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG): Das BVerwG hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1981 (6 P 27/79, NJW 1982, 666) den künstlerischen Mitgliedern eines städtischen Theaters das Recht zugesprochen, sich auch selbst auf die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG zu berufen, obwohl sie für eine

öffentliche Einrichtung

tätig waren. Dies wird auch in anderen Kontexten diskutiert; zentrales Argument ist der besondere Schutz, den die Kunstfreiheit vermittelt, und die außergewöhnliche Stellung künstlerischer Leiter innerhalb staatlicher Kultureinrichtungen. Wir sind hiervon allerdings rechtlich nicht überzeugt: Zwar muss sich der künstlerische Leiter einer staatlichen Kultureinrichtung dann auf die Kunstfreiheit berufen dürfen, wenn er sich gegen Maßnahmen des Staates – etwa der nicht-künstlerischen Leitung seiner eigenen staatlichen Kultureinrichtung – wehren möchte. Dem künstlerischen Leiter aber gegenüber anderen Bürgern eine Berufung auf die Kunstfreiheit zuzubilligen, steht im Widerspruch zu seiner Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3 GG). Die damit verbundene Privilegierung des künstlerischen Leiters gegenüber anderen Staatsbediensteten, die sich im Rahmen ihrer Amtsgeschäfte auch nicht auf die Meinungsfreiheit berufen dürfen, ist nicht geboten; die Spielräume, die dem künstlerischen Leiter einer staatlichen Kultureinrichtung bei der Ausübung seines Amtes eingeräumt sind, werden rechtlich hinreichend berücksichtigt, ohne dass er sich dafür auf die Kunstfreiheit müsste berufen können.

Sambadi

Sambadi

16.4.2023, 01:01:49

Verstehe wirklich nicht, warum sich das Gericht vorliegend nur auf den Knabenchorklang bezogen hat. Wenn B oder andere vergleichbare Bildungseinrichtungen auch einem Chor für Mädchen oder gemischte Chore/Chors (?) anbieten (was bei uns in Berlin zu 100% der Fall sein wird), verstehe ich nicht wo das Problem ist. Stellt im Bezug auf den staatlich garantieren Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen dann keine große Benachteiligung dar. Im Mannschaftssport ist es doch völlig normal die Teams nach Geschlecht zu unterscheiden. Auch in (öffentlichen) Bäderbetrieben gibt es Tage, in denen Männer kein Zugang haben. Weiß jetzt nicht ob es noch sowas wie reine Mädchen- und Jungsschulen gibt (in Bayern locker), aber das wird doch auch problemlos anerkannt oder nicht? - insbesondere im kirchlichen Zusammenhang. Da müsste man doch eigentlich auch immer eine Ungleichbehandlung wegen Geschlecht annehmen. Könnte mir im Bespiel dieses Chors vorstellen, dass man dahingehend argumentieren kann, dass dieser Domchor eben so erfolgreich und berühmt ist und den Mädchen damit, nicht die Chance gegeben wird auf „einem gesellschaftlich gleich angesehenen Niveau“ zu singen. Aber es ist hier nicht ersichtlich, ob dies wirklich der Fall ist mMn.

BI

Bilbo

26.7.2023, 12:35:39

*Chöre :)

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

3.10.2023, 09:43:17

Danke für deine Einschätzung @[Sambadi](136933). Das besondere ist, dass der Knabenchor des Staats- und Domchores Berlin seinen jungen Sängern eine besonders gute musikalische Ausbildung eröffnet, die für die weitere musikalische Entwicklung der Sänger sehr förderlich ist. Diese besonders gute Ausbildung gibt es jedenfalls in Berlin für junge Sängerinnen wohl nicht noch ein zweites Mal. Wir haben diese Info im Hinweistext der Aufgabe noch ergänzt. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

8.7.2023, 21:43:45

Ans Orgateam: wäre es vielleicht möglich, gezielt die Entscheidungen angezeigt zu bekommen, die in den letzten Examensdurchgängen liefen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.7.2023, 15:54:51

Hallo IsiRider, bei den Playlisten findest Du die Playlist "Examenstreffer" in die sämtliche aktuelle Entscheidungen aufgenommen werden, von denen wir wissen, dass sie dran kamen. Die neuesten findest Du jeweils ganz unten :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

11.7.2023, 16:15:42

Ah, perfekt. Toll, wie sich Jurafuchs entwickelt hat. Weiter so!


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