+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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Klassisches Klausurproblem
T sieht, wie A das gekippte Fenster einer Wohnung öffnet, um in diese einzusteigen. Sofort stürmt er auf A zu und nimmt ihn in einen Polizeigriff. T übergibt den A anschließend der Polizei. Es stellt sich heraus, dass A der Mieter der Wohnung ist.
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Einordnung des Falls
Festnahmerechte gemäß § 127 StPO
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem T den A bis zum Eintreffen der Polizei festhält, erfüllt er den Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Unter Gewalt (§ 240 Abs. 1 StGB) versteht man körperlich wirkenden Zwang zur Überwindung geleisteten oder erwarteten Widerstands.Durch die Kraft, die T beim Festhalten auf A ausübte, nötigte er ihn, die Festnahme zu dulden.Zugleich ist auch die Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB tatbestandlich verwirklicht.
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2. Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.
Ja!
Das steht in § 127 Abs. 1 S. 1 StPO. Anders als das Notwehr- und Selbsthilferecht, die eigene Interessen der Bürger schützen, dient das Jedermann-Festnahmerecht allein dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung und der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Der Bürger nimmt gewissermaßen stellvertretend für nicht anwesende Strafverfolgungsorgane öffentliche Aufgaben wahr. Das subjektive Rechtfertigungselement verlangt daher die (Mit-)Verfolgung dieses Festnahmeziels. Im Verhältnis zum Notwehr- und Selbsthilferecht hat die Prüfung des § 32 StGB und der §§ 229, 230 BGB Vorrang.
3. Nach der materiell-rechtlichen Lösung muss die Tat tatsächlich begangen worden sein.
Genau, so ist das!
Auf frischer Tat betroffen ist, wer während der Tat oder unmittelbar danach am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe angetroffen wird. Sehr strittig ist, ob die Tat tatsächlich begangen worden sein muss (materiell-rechtliche Lösung) oder ob ein dringender Tatverdacht ausreicht (prozessuale Lösung, h.M.). Für die materiell-rechtliche Lösung wird angeführt:
(1) Der Wortlaut („Tat“),
(2) mangels rechtswidrigen Angriffs würde dem unberechtigt Festgenommenen ansonsten das Notwehrrecht entzogen und
(3) lasse allein der § 127 Abs. 2 StPO durch seinen Verweis auf die §§ 112ff. StPO den dringenden Tatverdacht genügen. Diese Konstellation müsse nach den Grundsätzen des Erlaubnistatbestandsirrtums gelöst werden.
4. Nach der prozessualen Lösung genügt dringender Tatverdacht.
Ja, in der Tat!
Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn der Festnehmende aufgrund der ihm erkennbaren äußeren Umstände bei pflichtgemäßer Prüfung (ohne Sorgfaltsverstoß) von einer Straftat ausgehen musste. Für die h.M. spricht, dass § 127 StPO prozessualen Charakter hat und vorläufige strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen zwangsläufig nur an einen dringenden Tatverdacht anknüpfen können. Es erscheint nicht interessengerecht, die Rechtmäßigkeit der Festnahmehandlung so lange im Unklaren zu lassen, bis alle Zweifel bezüglich der Straftat geklärt sind (wie bspw. die Frage, ob ein Diebstahl oder lediglich eine Gebrauchsanmaßung vorliegt).