Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 4

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 4

19. Februar 2025

12 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T will sich an O rächen und diesen in einer Zelle einsperren, um ihn dort zu töten. Dafür lockt sie O in eine Zelle und möchte diese per Fernbedienung abschließen. Sie plant, O innerhalb von drei Tagen in der Zelle zu erschießen. Die Fernzündung versagt, da T die Batterien vergessen hat.

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Einordnung des Falls

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 4

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch einer Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Freiheitsberaubung ist ein Vergehen und daher nur im Versuch strafbar, da die Strafbarkeit ausdrücklich bestimmt ist (§§ 12 Abs. 2, 239 Abs. 2 StGB).
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2. T hat „Tatentschluss“ bezüglich einer Freiheitsberaubung.

Ja, in der Tat!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist fest entschlossen eine Freiheitberaubung zu begehen.

3. T hat durch das Betätigen der Fernzündung „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“ in Bezug auf die Freiheitsberaubung.

Ja!

Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB). Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. T hat gedacht, dass sie den O durch das Betätigen des Fernzünders einsperren würde. Sie hat nach ihrer Vorstellung alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan, ohne dass weitere Zwischenakte erforderlich wären. T hat unmittelbar angesetzt.

4. Der Versuch einer Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 4 StGB) ist strafbar und T hatte Tatentschluss.

Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Freiheitsberaubung mit Todesfolge ist ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB). T hatte Tatentschluss bezüglich der Freiheitsberaubung mit Todesfolge. § 12 Abs. 3 StGB gilt lediglich für schwere Fälle und minder schwere Fälle. Qualifikation stellen eigene echte Tatbestände dar und können daher Verbrechen darstellen; dies gilt auch für Erfolgsqualifikationen. § 239 Abs. 4 StGB ist daher bereits im Versuch strafbar.

5. T hat durch das Betätigen der Fernzündung „unmittelbar angesetzt“ zu einer Freiheitsberaubung mit Todesfolge.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Erfolgsqualifikation stellt einen eigenen Tatbestand dar. Erforderlich ist, dass der Täter unmittelbar zur Erfolgsqualifikation angesetzt hat. T wollte bei der Tötung an die Freiheitsberaubung anknüpfen. Sie wollte die Gefangenensituation auch zur Tötung ausnutzen, sodass O nicht mehr fliehen konnte. Dennoch stellt sie sich die Tötung als eigenes Tatgeschehen vor, sodass das Erschießen bzw. das Ziehen der Waffe wesentlicher Zwischenakt ist. Ein anderes Ergebnis wäre dann möglich, wenn T die Gefangenensituation als wesentliches Merkmal der Tötung nutzen wollen würde, etwa weil der O derart geschwächt ist, dass T den O nun „erlösen“ würde.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

6.10.2022, 07:57:51

Ihr habt einen Fall im Programm, bei dem der BGH das wertend korrigiert hat, als T den O an eine Heizung gekettet hat, um ihn 5 Tage später zu töten. Lt BGH liegt

unmittelbares Ansetzen

zur Tötung vor. Müssten die beiden Fälle nicht gleich laufen?

Dave K. 🦊

Dave K. 🦊

7.12.2022, 14:43:47

Habe ich mir auch gedacht. Auf den zweiten Blick besteht jedoch ein Unterschied. Im BGH Fall war 239 durch das Anketten (+) und hier eben (-) (weniger Unrecht?). Zumal es sich mE schwer begründen lässt, in dem Klicken einer Fernbedienung zum Zuschließen der Tür einen Versuch eines Tötungsdeliks anzunehmen. Es sind aus Tätersicht eben noch wesentliche Zwischenschritte erforderlich -wenigstens das Einsperren, Waffe holen, Zielen etc.- just my 2cents 😅. Mal schauen, was der Fuchs sagt

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

4.12.2024, 13:30:30

Hallo @[Rick-energie🦦](174760), ich habe gerade mal versucht, den von Dir genannten Fall zu finden, war aber leider trotz verschiedener Wortkombinationen ("Heizung", "anketten", "angekettet") nicht erfolgreich. Gefunden habe ich lediglich diesen Fall hier, den Du aber sehr wahrscheinlich nicht meinst: https://applink.jurafuchs.de/rAdVBQdl3Ob. Dementsprechend kann ich konkret zu Deinem anderen Fall gerade leider nichts sagen. Für die Zukunft oder falls jemand anders von Euch gerade über den Fall stolpert: Am einfachsten macht Ihr es uns und am schnellsten können Eure Hinweise geprüft und umgesetzt werden, wenn Ihr uns die Aufgabe, auf die Ihr Bezug nehmt, konkret nennt. Klickt dazu über der Aufgabe auf das Kästchen mit dem nach rechts oben herausragenden Pfeil ("Teilen"-Symbol), anschließend rechts auf die beiden überlappenden Quadrate. Dann habt Ihr den Link zur Aufgabe in der Zwischenablage und könnt ihn zB mit Strg+v in Euren Post einfügen. Falls das nicht geht, liegt es evtl an Eurem AdBlocker, also am besten die Jurafuchs-Seite whitelisten oder mal mit einem anderen Browser probieren. Was @[Dave K. 🦊](8949) sagt, klingt aber nicht unplausibel. Möglicherweise

ware

n die Umstände in dem anderen Fall so, dass der BGH darin eben keine wesentlichen Zwischenschritte gesehen hat. Um darauf genauer einzugehen zu können, müsste ich mir die andere Aufgabe aber definitiv näher anschauen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

7.12.2024, 13:41:53

Gemeint ist folgender Fall: https://applink.jurafuchs.de/izoykojl8Ob

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

7.12.2024, 14:06:45

Im vorliegenden Fall mangelt es bereits an der „

Bem

ächtigungslage“. Die Freiheitsberaubung blieb hier im Versuch stecken; im Gegensatz zu dem oben zitierten Fall. Das Opfer hatte hier Möglichkeiten sich weiteren Tathandlungen zu entziehen oder den geplanten Angriff abzuwehren. Es wären also Zwischenschritte, insbesondere die Freiheitsberaubung, notwendig um zu dem Versuch nach § 239 IV StGB in Betracht zu ziehen. Oder sehe ich das falsch?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

8.12.2024, 18:40:57

Hallo @[Rüsselrecht 🐘](133697), vielen Dank erstmal für den verlinkten Fall! Ich kann die Verwirrung vor diesem Hintergrund durchaus nachvollziehen. Wie wir in der Lösung zu dem verlinkten Fall selbst sagen, kann man die Entscheidung des BGH (mE zu Recht) durchaus kritisch sehen. Betont der BGH zunächst noch die übliche Abgrenzungsformel (unmittelbar vorgelagert, ohne Zwischenakte), heißt es kurz darauf schlicht: "Diese abstrakten Maßstäbe bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen jedoch stets der wertenden

Konkretisierung

unter Beachtung der Umstände des

Einzelfall

es." (BGH NStZ 2014, 447, 448) Damit ist alles und nichts gesagt, vorhersehbarer werden gerichtliche Entscheidungen so jedenfalls nicht. IE könnte man die Begründung des BGH im Vergleich zu unserem "Zellen-Fall" hier damit rechtfertigen, dass noch keine hinreichende Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers gegeben war, weil unser T schon am Einsperren scheitert. Das passt auch zur Argumentation des BGH im Fall mit dem Heizkörper: "Ein wesentliches Abgrenzungskriterium ist das aus der Sicht des Täters erreichte Maß konkreter Gefährdung des geschützten Rechtsguts." (BGH NStZ 2014, 447, 448) Das geht in eine sehr ähnliche Richtung wie das, was Du, @[Rüsselrecht 🐘](133697), sagst. ME ist im Fall mit dem Heizkörper jedenfalls unter Klausurbedingungen eine aA mit entsprechender Argumentation gut vertretbar. Man könnte in diesem Zuge insbesondere darauf abstellen, dass eine Gefährdung gerade für das Rechtsgut Leben noch nicht hinreichend konkret besteht, weil T die Tötung erst für in 5 (!) Tagen geplant hat - eine zeitliche Verzögerung, wegen der man an der "Unmittelbarkeit" iSd Definition des Ansetzens zumindest zweifeln kann. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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