Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 5

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 5

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T will sich an O rächen und diesen in einer Zelle einsperren. Dafür lockt sie O in eine Zelle und möchte diese per Fernzündung abschließen. Sie plant O mindestens 1 Monat festzuhalten. Die Fernzündung versagt, da T die Batterien vergessen hat.

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Einordnung des Falls

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 5

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch einer Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

Ja!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Freiheitsberaubung ist ein Vergehen und daher nur im Versuch strafbar, da die Strafbarkeit ausdrücklich bestimmt ist (§§ 12 Abs. 2, 239 Abs. 2 StGB).
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2. T hat „Tatentschluss“ bezüglich einer Freiheitsberaubung.

Genau, so ist das!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist fest entschlossen eine Freiheitberaubung zu begehen.

3. T hat durch das Betätigen der Fernzündung „unmittelbar angesetzt“ zu einer Freiheitsberaubung.

Ja, in der Tat!

Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB). Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. T hat gedacht, dass sie den O durch das Betätigen des Fernzünders einsperren würde. Sie hat nach ihrer Vorstellung alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan, ohne dass weitere Zwischenakte erforderlich wären. T hat unmittelbar angesetzt.

4. Der Versuch einer über eine Woche dauernde Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB) ist strafbar und T hatte Tatentschluss.

Ja!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Die über eine Woche dauernde Freiheitsberaubung ist ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB). T hatte Tatentschluss bezüglich der über eine Woche dauernden Freiheitsberaubung. § 12 Abs. 3 StGB gilt lediglich für schwere Fälle und minder schwere Fälle. Qualifikation stellen eigene echte Tatbestände dar und können daher Verbrechen darstellen; dies gilt auch für Erfolgsqualifikationen. § 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB ist daher bereits im Versuch strafbar.

5. T hat nach der herrschenden Ansicht durch das Betätigen der Fernzündung „unmittelbar angesetzt“ zu einer über eine Woche dauernden Freiheitsberaubung.

Genau, so ist das!

Es ist problematisch, ab wann in derartigen Fällen auch zu der Qualifikation angesetzt wird. Die Qualifikation stellt einen eigenen Tatbestand dar und damit eigenes Unrecht, sodass von dem Grundtatbestand nicht auf die Qualifikation geschlossen werden kann. Im konkreten Fall des § 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB ist es umstritten, ob das unmittelbare Ansetzen mit dem Grundtatbestand zusammenfällt oder ob ein unmittelbares Ansetzen erst kurz vor der Überschreitung der Wochengrenze vorliegt. Nach der herrschenden Ansicht liegt ein unmittelbares Ansetzen vor, wenn die Freiheitsberaubung beginnt. Indem T den Fernzünder betätigte, hat sie unmittelbar zu einer über ein Woche dauernden Freiheitsberaubung angesetzt.

6. Nach der Mindermeinung liegt ein „unmittelbares Ansetzen“ bei § 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB erst kurz vor dem Ablauf einer Woche vor.

Ja, in der Tat!

Eine Mindermeinung sieht einen Versuch erst dann, wenn die Woche kurz davor ist abzulaufen. Vermutlich entscheidet sich der Streit daran, von welcher Sicht man ausgeht. Stellt man auf den Zeitraum ab, dann beginnt das Laufen der 10.800 Minuten bei Beginn der ersten Minute. Stellt man auf den Zeitpunkt ab, an dem die Woche überschritten ist, dann steht der Zeitpunkt erst kurz vor Ablauf der Woche in einem zeitlichen Zusammenhang. Stellt man auf die Zielrichtung der Qualifikation ab, dass das Gefangensein über einen solch langen Zeitraum schlimm ist und nicht das Überschreiten eines bestimmten Zeitpunktes, liegt es näher, auf diesen abzustellen. Der Wortlaut geht jedoch in die andere Richtung und stellt auf den Zeitpunkt des Überschreitens ab. Die Woche ist nicht kurz davor abzulaufen, sodass T nicht unmittelbar angesetzt hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SVE

Sven

20.10.2020, 08:28:29

Für mich erscheint an der herrschenden Meinung auf den ersten Blick problematisch, dass das unmittelbare Ansetzen zur Qualifikation bejaht wird, obwohl sich das äußere Handeln nicht vom bloßen Ansetzen zur einfachen Freiheitsberaubung unterscheidet. Letztlich wird bloß aufgrund der inneren Absicht des Täters härter gestraft - das rückt für mich zumindest in die Nähe von Gesinnungsstrafrecht. Andererseits dürfte diese Lösung durchaus praktikabel sein, da die a.A. den Versuchsbeginn sehr weit nach hinten verlagert und man vielleicht auch sagen kann, dass sich die Motivation zum längeren Einsperren zumindest auch im Einsperr-Versuch realisiert...

Gustav

Gustav

6.7.2022, 16:32:22

Gesinnungsstrafrecht wäre es, wenn alleine der Tatentschluss die Strafbarkeit begründete. Indem zusätzlich ein unmittelbares Ansetzte erforderlich ist, wird ein Mittelweg gefunden. Die innere Absicht des Täters muss sich also stets manifestieren

IUS

iustus

24.7.2021, 22:46:48

Danke für die Versuchsfälle der Regelbspe und Qualis. Effizienter kann man kaum die Theorie kaum praktisch anwenden

Marilena

Marilena

9.12.2021, 18:16:40

Vielen Dank für das Lob, iustus!

FF0815

FF0815

21.7.2022, 21:11:01

Was die Gesinnung angeht, hat T im Durchgangsstadium zumindest zur Freiheitsberaubung angesetzt. Diese kann bereits im Versuch nach deren Maß bestraft werden. Meines Erachtens könnte T dann bis zum Ablauf der ersten Woche von Abs. 3 zurücktreten, oder eben nach dem höheren Strafmaß verurteilt werden.

Sambajamba10

Sambajamba10

24.3.2024, 15:44:48

Richtig. Die Literatur enthält sich weitgehend zu diesem Problem. Allerdings ist zu konstatieren, dass es zu einer unfassbaren Vorverlagerung der Strafbarkeit kommt, wenn man mit der einfachen Freiheitsberaubung auch ein

unmittelbares Ansetzen

annimmt. Wolters ist aufgrund von der Argumentation von Mitch GA 2009, S. 337 im systematischen Kommentar auch von seiner früheren Meinung abgerückt (SK § 239 Rn. 20).

ALE

alexd.227

21.1.2024, 14:43:01

könnte durch die fernzündung nicht der räumliche zusammenhang entfallen?

TI

Tinki

4.9.2024, 16:43:56

Prüft man, wenn man nicht erst den § 239 I, sondern direkt die Erfolgsquali prüft dann im Gutachten zu der Erfolgsquali erst, ob zu § 239 I angesetzt wurde und dann zur Erfolgsquali? Und ist es so, dass man immer aus der Erfolgsquali "rausfliegt", wenn nicht zum Grunddelikt unmittelbar angesetzt wurde, weil der immer in dieser enthalten ist?

Sassun

Sassun

31.10.2024, 15:14:25

Ja. Dennoch würde ich lieber sauber arbeiten und erst das Grunddelikt prüfen. Im Gutachten also so: I. Vorprüfung 1. Keine Vollendung [+] 2. Versuchsstrafbarkeit [+] II. Tatbestand 1. Tatentschluss [+] a) § 239 I b) § 239 III Nr. 1 2.

Unmittelbares Ansetzen

[SP] a) § 239 I Straferhöhende Quali knüpft an Grunddelikt, ohne auch keine Quali. b) § 239 III Nr. 1 Streit bei § 239 III Nr. 1 aa) e.A. h.M. Beginn Freiheitsberaubung bb) a.A. kurz vor Ablauf der Woche II. RW III. Schuld IV. ggf. Rücktritt V. Ergebnis


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