§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB: Keine Kausalität

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T, der eine BAK von 2,97‰ aufweist, beschließt während einer Autobahnfahrt, sich und seine Beifahrerin B zu töten. Daher lenkt er den Pkw ruckartig von der Fahrbahn. Beide überleben schwer verletzt.

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Einordnung des Falls

§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB: Keine Kausalität

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat ein Fahrzeug im Straßenverkehr trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit geführt (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Fahruntüchtigkeit liegt vor, wenn der Fahrzeugführer nicht fähig ist, eine längere Strecke so zu steuern, dass er den Anforderungen des Straßenverkehrs so gewachsen ist, wie es von einem durchschnittlichen Fahrzeugführer zu erwarten ist. T war mit einer BAK von mehr als 1,1‰ im Fahrtzeitpunkt nach gesicherten verkehrsmedizinischen Erkenntnissen unwiderlegbar nicht in der Lage, den Pkw sicher zu führen. T war damit absolut fahruntüchtig (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 StGB). T hat den Pkw unter Beherrschung der dafür erforderlichen technischen Funktionen bewegt, mithin ein Fahrzeug geführt. Dies geschah auch im öffentlichen Verkehrsraum und damit im Straßenverkehr.
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2. Es bestand eine „konkrete Gefahr“ (§ 315c Abs. 1 StGB) für B als taugliches Gefährdungsopfer.

Ja!

§ 315c Abs. 1 StGB setzt eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn es zu einer Schädigung oder einem Beinahe-Unfall kommt. Ein anderer ist nach h.M. jeder von der Person des Täters verschiedene lebende Mensch, der nicht Tatbeteiligter ist. Dass B den T in seiner Fahrabsicht bestärkt hätte, ist nicht ersichtlich. Allein die bloße Mitfahrt im Pkw eines Fahruntüchtigen begründet keine Strafbarkeit wegen (psychischer) Beihilfe. B war mithin als taugliches Gefährdungsopfer nicht nur konkret gefährdet, sondern auch verletzt.

3. Auch der „tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang“ ist gewahrt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Durch das Wort „dadurch“ bringt § 315c Abs. 1 StGB zum Ausdruck, dass sich im Gefahrerfolg die typische Gefährlichkeit des Verkehrsfehlverhaltens realisieren muss. Dieser sog. tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang ist jedenfalls gegeben, wenn der Gefahrerfolg Folge der durch die Wirkung des Rausches hervorgerufenen Fahruntüchtigkeit ist. Eine Mitursächlichkeit der Alkoholisierung ist indes ausreichend. T hat seinen Pkw aber gezielt eingesetzt, um sich und B zu töten. Dies spricht dafür, dass nicht der Alkoholkonsum den T gelenkt hat. Damit ist § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB abzulehnen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

Johnny

23.7.2020, 16:10:34

Im geschilderten Fall handelte es sich zwar bei der Unglücksursache nicht um einen alkoholbedingten Fahrfehler, jedoch wäre bei einer Alkoholisierung von 3 Promille doch wohl zu prüfen, ob der plötzliche Tötungs

vorsatz

des T nicht eine psychische Ausfallerscheinung darstellt, oder nicht?

Fahrradfischlein

Fahrradfischlein

10.11.2020, 14:15:14

Das hätte ich jetzt spontan auch gesagt. Allerdings scheinen sehr viele Menschen auch ohne Alkohol grundsätzlich nicht nachvollziehbare und gestörte Taten zu begehen, wenn man sich anschaut was täglich vor Gericht landet bzw. bis zum BGH geht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.10.2021, 13:03:28

Hi Johnny, im Rahmen der Prüfung des versuchten Totschlags (bzw. das Landgericht hat sogar versuchten Mord angenommen - "

gemeingefährliches Mittel

) wäre durchaus im Rahmen der Schuldfähigkeit auf die Alkoholisierung einzugehen. Da wir bei §

315c StGB

aber bereits auf der Tatbestandsebene rausfliegen, sind an dieser Stelle keine Ausführungen zu machen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JUS

justlaw

7.8.2023, 15:52:22

Kann man hier nicht auch argumentieren, dass T nur aufgrund der alkoholbedingten Enthemmung den Tötungs

vorsatz

gebildet hat? Also dass er im nüchternen Zustand diesen nicht gefasst hätte und somit die konkrete Gefährdung der Beifahrerin innerhalb des spezifischen Gefahrzusammenhangs liegt?

LELEE

Leo Lee

11.8.2023, 13:29:53

Hallo justlaw, das könnte man tatsächlich meinen. Beachte jedoch, dass wir den Sachverhalt immer so nehmen, wie er ist. Das bedeutet: Wenn im SV etwa nicht steht, dass der T im nüchternen Zustand den Entschluss nicht gefasst hätte, dann würden wir in der Tat den Zsmhang verneinen. Weil jedoch der Sachverhalt hierzu nichts sagt, ist der Zsmhang gewahrt:). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

ZMOU

ZMou

8.12.2023, 20:21:50

Hallo Leo Lee, ich bin etwas verwirrt. Ich habe auch so gedacht wie justlaw und verstehe deinen Einwand mit dem „nichts in den Sachverhalt hineininterpretieren“, da muss man tatsächlich vorsichtig sein, aber hier besteht doch dann gerade KEIN Gefahrzusammenhang oder? Bei dir liest es sich so, dass einer besteht oder? Korrigiert mich bitte wenn ich falsch liege, vllt habe ich auch gerade einen Denkfehler.

MLENA

MLena

23.3.2024, 08:56:28

Hey ZMou, du hast nichts falsch verstanden, der Zusammenhang besteht hier gerade nicht. Ich glaube, dass der Moderator bei seiner Antwort durcheinandergekommen ist, kann ja mal vorkommen ;)

BEN

benjaminmeister

28.3.2024, 07:56:40

Ich glaube man muss hier besonders darauf achten, dass die alkoholbedingte

Fahruntüchtigkeit

zu der konkreten Gefahr führen muss. Im vorliegenden Fall führt aber nicht die alkoholbedingte

Fahruntüchtigkeit

(also ein Fahrfehler!) zur konkreten Gefahr, sondern die davon unabhängige Tötungsabsicht. Diese mag zwar auch alkoholbedingt gefasst sein, aber das ist nicht erheblich für den Kausalzusammenhang zwischen alkoholbedingter

Fahruntüchtigkeit

/Fahrfehler und konkreter Gefahr.

L.G

L.Goldstyn

1.8.2024, 16:42:36

Hallo benjaminmeister, vielen Dank für diesen sehr wichtigen Hinweis! Genau darum geht es. Um es noch einmal auf die Spitze zu treiben: Auch im folgenden Beispiel wäre der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang zu verneinen: Der normalerweise völlig friedfertige T, der niemals auch nur einer Fliege etwas zu Leide tun könnte, trinkt an einem Abend zu viel Alkohol. Mit einer BAK von 2,98 Promille tritt er gemeinsam mit seiner Beifahrerin B, die dessen Alkoholisierung nicht erkennt, die Heimfahrt an. Aufgrund der starken Alkoholisierung wird der T zum ersten Mal in seinem Leben und völlig unvermittelt aggressiv und beschließt, sich und B zu töten. Daraufhin lenkt er das Auto präzise an einen Baum. Auch in diesem Fall fehlt es an dem tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhang, denn der Gefahrerfolg beruht nicht auf der alkoholbedingten

Fahruntüchtigkeit

, sondern auf der Alkoholisierung. Viele Grüße!


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