+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T, der eine BAK von 2,97‰ aufweist, beschließt während einer Autobahnfahrt, sich und seine Beifahrerin B zu töten. Daher lenkt er den Pkw ruckartig von der Fahrbahn. Beide überleben schwer verletzt.

Einordnung des Falls

§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB: Keine Kausalität

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat ein Fahrzeug im Straßenverkehr trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit geführt (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 StGB).

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Ja, in der Tat!

Fahruntüchtigkeit liegt vor, wenn der Fahrzeugführer nicht fähig ist, eine längere Strecke so zu steuern, dass er den Anforderungen des Straßenverkehrs so gewachsen ist, wie es von einem durchschnittlichen Fahrzeugführer zu erwarten ist. T war mit einer BAK von mehr als 1,1‰ im Fahrtzeitpunkt nach gesicherten verkehrsmedizinischen Erkenntnissen unwiderlegbar nicht in der Lage, den Pkw sicher zu führen. T war damit absolut fahruntüchtig (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 StGB). T hat den Pkw unter Beherrschung der dafür erforderlichen technischen Funktionen bewegt, mithin ein Fahrzeug geführt. Dies geschah auch im öffentlichen Verkehrsraum und damit im Straßenverkehr.

2. Es bestand eine „konkrete Gefahr“ (§ 315c Abs. 1 StGB) für B als taugliches Gefährdungsopfer.

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Ja!

§ 315c Abs. 1 StGB setzt eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn es zu einer Schädigung oder einem Beinahe-Unfall kommt. Ein anderer ist nach h.M. jeder von der Person des Täters verschiedene lebende Mensch, der nicht Tatbeteiligter ist. Dass B den T in seiner Fahrabsicht bestärkt hätte, ist nicht ersichtlich. Allein die bloße Mitfahrt im Pkw eines Fahruntüchtigen begründet keine Strafbarkeit wegen (psychischer) Beihilfe. B war mithin als taugliches Gefährdungsopfer nicht nur konkret gefährdet, sondern auch verletzt.

3. Auch der „tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang“ ist gewahrt.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Durch das Wort „dadurch“ bringt § 315c Abs. 1 StGB zum Ausdruck, dass sich im Gefahrerfolg die typische Gefährlichkeit des Verkehrsfehlverhaltens realisieren muss. Dieser sog. tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang ist jedenfalls gegeben, wenn der Gefahrerfolg Folge der durch die Wirkung des Rausches hervorgerufenen Fahruntüchtigkeit ist. Eine Mitursächlichkeit der Alkoholisierung ist indes ausreichend. T hat seinen Pkw aber gezielt eingesetzt, um sich und B zu töten. Dies spricht dafür, dass nicht der Alkoholkonsum den T gelenkt hat. Damit ist § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB abzulehnen.

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JO

Johnny

23.7.2020, 16:10:34

Im geschilderten Fall handelte es sich zwar bei der Unglücksursache nicht um einen alkoholbedingten Fahrfehler, jedoch wäre bei einer Alkoholisierung von 3 Promille doch wohl zu prüfen, ob der plötzliche Tötungsvorsatz des T nicht eine psychische Ausfallerscheinung darstellt, oder nicht?

Fahrradfischlein

Fahrradfischlein

10.11.2020, 14:15:14

Das hätte ich jetzt spontan auch gesagt. Allerdings scheinen sehr viele Menschen auch ohne Alkohol grundsätzlich nicht nachvollziehbare und gestörte Taten zu begehen, wenn man sich anschaut was täglich vor Gericht landet bzw. bis zum BGH geht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.10.2021, 13:03:28

Hi Johnny, im Rahmen der Prüfung des versuchten Totschlags (bzw. das Landgericht hat sogar versuchten Mord angenommen - "gemeingefährliches Mittel) wäre durchaus im Rahmen der Schuldfähigkeit auf die Alkoholisierung einzugehen. Da wir bei § 315c StGB aber bereits auf der Tatbestandsebene rausfliegen, sind an dieser Stelle keine Ausführungen zu machen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JU

justlaw

7.8.2023, 15:52:22

Kann man hier nicht auch argumentieren, dass T nur aufgrund der alkoholbedingten Enthemmung den Tötungsvorsatz gebildet hat? Also dass er im nüchternen Zustand diesen nicht gefasst hätte und somit die konkrete Gefährdung der Beifahrerin innerhalb des spezifischen Gefahrzusammenhangs liegt?

LL

Leo Lee

11.8.2023, 13:29:53

Hallo justlaw, das könnte man tatsächlich meinen. Beachte jedoch, dass wir den Sachverhalt immer so nehmen, wie er ist. Das bedeutet: Wenn im SV etwa nicht steht, dass der T im nüchternen Zustand den Entschluss nicht gefasst hätte, dann würden wir in der Tat den Zsmhang verneinen. Weil jedoch der Sachverhalt hierzu nichts sagt, ist der Zsmhang gewahrt:). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo


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