Erfolgszurechnung bei tödlichem Wettrennen im Straßenverkehr („Kraftprobe")
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
F will die vor ihm fahrenden PKWs überholen. Als er den A überholen will, beschleunigt A, um dies zu verhindern. Als F die Reaktion bemerkt, erhöht er seinerseits das Tempo und überschreitet die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100km/h erheblich. A erhöht die Geschwindigkeit sodann auf 110 km/h und rast gegen einen Baum. A's vier Mitfahrer sterben.
Einordnung des Falls
Erfolgszurechnung bei tödlichem Wettrennen im Straßenverkehr (OLG Celle, 25.04.12 ("Kraftprobe"))
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. F hat den Tod der vier Mitfahrer des A kausal verursacht.
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Genau, so ist das!
2. F ist der Tod der vier Mitfahrer des A objektiv zuzurechnen.
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Ja, in der Tat!
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gelöscht
25.11.2019, 07:39:03
Meines Erachtens passt die Erklärung (Antwort) nicht zum gestellten Sachverhalt. Zunächst ist nichts von einer unklaren Verkehrslage zu lesen und weiterhin dürfte fraglich sein, wie man dem F objektiv den Tod der vier Insassen zurechnen will, wenn A durch bewusstes Beschleunigen den Überholvorgang des F zu verhindern versucht. Die Ursächlichkeit des Unfalls ist wohl in der Handlung des A zu sehen und nicht aus für sich abgegrenzten Momenten der Gesamtsituation. Meines Erachtens ist der Tod der vier Insassen objektiv dem Verhalten des A zuzurechnen - er hätte F halt einfach überholen lassen können.

Eriiic1994
1.1.2020, 12:43:03
1. Eine unklare Verkehrslage liegt gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vor, wenn der Überholende unter den gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf und sich ihre Enteicklung nach objektiven Umständen nicht beurteilen lässt. Hier wollte F den A überholen. Daraufhin beschleunigt A, um den Vorgang zu verhindern/ erschweren. Ab diesem Zeitpunkt kann F nicht mehr mit einem ungefährlichen Überholvorgang rechnen und müsste sein Überholmanöver abbrechen.

Eriiic1994
1.1.2020, 12:50:54
2. Gemäß § 1 Abs. 2 StVO muss derjenige, der am Verkehr teilnimmt, sich so verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Im vorliegenden Fall verstoßen sowohl F, als auch A gegen § 1 Abs. 2 der StVO, indem sie immer weiter beschleunigen. Beiden hatten auch Tatherrschaft, da sowohl A, als auch F ihre Geschwindigkeit hätten mindern können und es folglich nie zu dem Unfall gekommen wäre. Beide überschreiten letztlich sogar noch die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Die einzig richtige Reaktion seitens F wäre gewesen, den Überholvorgang abzubrechen. Die richtige Reaktion des A wäre gewesen, gar nicht erst zu beschleunigen. Folglich haben Beide ihren Teil zum Unfall beigetragen und objektive Zurechnung liegt vor.

Dennis Kostak
7.7.2020, 10:45:45
Eines verstehe ich nicht: Wenn objektive Zurechnung beim Geschlechtsverkehr mit einem HIV-infizierten (beide wussten es) aufgrund Tatherrschaft in gleichem Maße verneint wird; weshalb wird sie hier bejaht? Beide haben gegen die StVO verstoßen, oder wird hierbei unterschieden, dass F die Geschwindigkeitsbegrenzung ERHEBLICH überschritten hat und A lediglich um 10 km/h? Das würde mir dann wiederum einleuchten. Das ändert dann aber trotzdem nichts an der Tatherrschaft, aber wohl etwas an der geschaffenen Gefahrenlage, da F den A dann ja umso mehr „mitgerissen“ hat. Dann würde ich aber nochmal an dem Satz „Tatherrschaft in gleichem Maße“ rütteln wollen. Ihr merkt es selbst, ich drehe mich im Kreis. Ich freue mich auf eine knappe Erklärung, sodass ich den unterschied erkennen kann! LG
Elisabeth
20.8.2020, 17:22:05
Es lohnt sich in diesem Fall sehr das Urteil nachzulesen! Die Verkehrslage war in der Tat (mit Kurve) unübersichtlich und laut den Sachverhalt im Urteil an der Grenze des von dem Angeklagten technisch möglichen noch die Kurve zu kriegen (der Nebenkläger ja nicht). @Vaan: Wichtig ist zu differenzieren! Getötet wurde in diesem Fall die Mitfahrer des KfZ, deswegen ist eine Tatherrschaft dieser völlig ausgeschlossen (der Beifahrer/Rückbankfahrer können ja nicht bremsen.)Dass der Fahrer des Unfallwagens, weil er nicht bremste, auch einen zurechenbaren Anteil an der Erfolgsverursachung der Tötungen seiner Beifahrer trug, ist zu bejahen, aber eben nicht ausschlaggebend genug, dass dieser Tatherrschaft und damit die Hauptverantwortung für den Erfolg zu tragen hat. So macht es für mich Sinn. ;)

Lukas_Mengestu
9.3.2021, 12:23:10
Vielen Dank euch allen für die angeregte Diskussion! @Marcus: Es handelt sich in der Tat um einen schwierigen Einzelfall, weswegen mit guter Argumentation selbstverständlich auch andere Ergebnisse vertretbar sind und immer der konkrete Sachverhalt in den Blick genommen werden muss. Bei Jurafuchs sind auch die Zeichnungen Teil des Sachverhaltes. Aus dieser ergibt sich nach unserer Auffassung, dass das Überholmanöver in einem engen Kurvenbereich stattfindet und A neben der Fahrbahn auch das Fahrverhalten des F im Auge behalten muss. Da F durch sein riskantes Überholmanöver einen Teil der Aufmerksamkeit des A in Anspruch nimmt, sprechen aus unserer Sicht die überzeugenderen Argumente gegen eine Alleinverantwortung des A und für die Bejahung der Zurechnung des Taterfolges zu F.

Lukas_Mengestu
9.3.2021, 12:23:28
@SSJKaito: Wie Elisabeth schon richtig ausgeführt hat, haben die Beifahrer des A keinerlei eigene Tatherrschaft, weswegen ein Ausschluss aufgrund eigenverantwortlicher Selbstgefährdung (wie im HIV-Fall) ausgeschlossen ist. Beste Grüße Lukas (für das Jurafuchs-Team)
Melissa
9.12.2021, 15:29:25
Wir haben in der Fahrschule gelernt: wenn jemand überholt, denjenigen überholen lassen und bloß nicht aus „Boshaftigkeit“ noch extra beschleunigen. Ich finde man ist selber Schuld bei soetwas…
S3tr
9.7.2020, 13:43:24
Fände es Interessant einen umgekehrten Fall zu sehen Bsp. F will A Überholen, A beschleunigt, F beschleunigt weiter und fährt dann gegen den Baum und stirbt. Hier wäre es doch eher die Frage ob eine Selbst oder Fremdgefährdung vorliegt, da F das ja noch in der Hand hat nicht zu überholen, aber evtl. Auch durch das beschleunigen des A doch die Tatherrschaft bei A liegt ?

phiob
27.8.2022, 12:21:02
Tut mir leid, aber ich habe das Gefühl, dass im Strafrecht bei Fällen mit Autos und erhöhter Geschwindigkeit immer nur Exempel statuiert werden. Wie bei diesem Fall vorher, wo sich die Frau beim Blick in den Rückspiegel erschrickt und die Kontrolle über das Fahrzeug verliert. Dort wurde ebenfalls obj Zurechnung angenommen. Bei anderen Fällen sind die Argumentationen in Bezug auf obj Zurechnung meist nicht so überzogen auf "Ja eine Zurechnung finden" gerichtet.

Edward Hopper
26.10.2022, 00:03:16
Leute chillt, viele sind mit dem Ergebnis nicht einverstanden. Ich meine es kommt aus dem OLG Celle also kein Grund zur Aufregung.