Ärztliche Instrumente als gefährliches Werkzeug (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)


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Aufgrund anhaltender Kopfschmerzen verlangt O von Zahnarzt T eine Zahnextraktion der plombierten Zähne. Diese ist medizinisch nicht indiziert. T entfernt aufgrund eines Missverständnisses alle im Oberkiefer befindlichen Zähne.

Einordnung des Falls

Ärztliche Instrumente als gefährliches Werkzeug (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den objektiven Tatbestand der einfachen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) erfüllt.

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Ja!

Unter die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) fallen die körperliche Misshandlung (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB) und die Gesundheitsschädigung (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB). Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines nicht nur unerheblichen krankhaften (= pathologischen) Zustandes. O fehlen alle Zähne ihres Oberkiefers. Sie ist nun darauf angewiesen, Prothesen zu tragen. Somit kommt es zumindest zu einem pathologischen Zustand, der auch dauerhaft vom Normalzustand abweicht (Gesundheitsschädigung).

2. T handelte durch die Einwilligung der O gerechtfertigt.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Ein ärztlicher Heileingriff kann durch Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn der Eingriff lege artis, also fehlerfrei, durchgeführt wird. Die Einwilligung der O beruhte auf ihrer laienhaften Unkenntnis und einer schlechten seelischen Verfassung. Auch bezog sie sich nur auf einen einen Eingriff, der Heilungsaussichten bietet (Heileingriff). Dies war jedoch gerade nicht der Fall. Es gab keine medizinische Indikation. Auch war es dem Zahnarzt völlig klar, dass es sich nicht um einen therapeutischen Eingriff handelte.

3. Die zahnärztliche Zange könnte ein "gefährliches Werkzeug" (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB) darstellen.

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Ja, in der Tat!

Werkzeugist jeder bewegliche Gegenstand, mittels dessen durch Einwirkung auf den Körper eine Verletzung zugefügt werden kann. Gefährlich ist ein Werkzeug, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (potentielle Gefährlichkeit).Das StGB wurde im Jahr 1998 neugefasst. Die erhöhte Strafbarkeit in §223a StGB a.F. war hauptsächlich an den Gebrauch einer Waffe geknüpft. Das gefährliche Werkzeug war nur ein Beispiel der Waffe und musste daher waffenähnlich sein. Dies wäre nur gegeben, wenn der Gegenstand zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken benutzt wurde. Nach der Neufassung sind Waffen nur nur noch ein Unterfall des gefährlichen Werkzeugs. Entscheidend ist nicht mehr der Einsatz des Gegenstands als Angriffs- oder Verteidigungsmittel. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Gegenstand im Einzelfall geeignet ist erhebliche Verletzungen hervorzurufen.

4. T hat den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB erfüllt.

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Ja, in der Tat!

Ein gefährliches Werkzeug iSv § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und nach seiner konkreten Art der Benutzung geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. T hat zur Zahnextraktion medizinisches Werkzeug verwendet, das abstrakt geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen und von T auch so eingesetzt wurde. O hat erhebliche Verletzungen in der Mundhöhle erlitten.In einer Entscheidung von 1978 hatte der BGH auf der Grundlage des § 223a StGB a.F. noch geurteilt, dass ärztliche Instrumente aus dem Anwendungsbereich ausscheiden, wenn sie von einem Arzt fachgerecht in Ausübung seines Berufes gebraucht werden. Denn dann würden sie nicht in Angriffs- oder Verteidigungsrichtung verwendet. Im Hinblick auf die neue Gesetzeslage hat das OLG Karlsruhe klargestellt, dass nun auch medizinische Werkzeuge unter den Begriff des gefährlichen Werkzeugs fallen können. Der BGH hat diese Auslegung in einem anderen Verfahren bestätigt (BGH, Urt. v. 19.12.2023 - 4 StR 325/23).

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