Aufrechnungslage: Fehlende Gleichartigkeit

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A benötigt einen Kredit (€20.000) von der B-Bank. Damit sie ihn bekommt, bürgt ihre Schwester S für die Rückzahlungsforderung. Als A kurz vor der Insolvenz steht, verkauft sie S einen ausgebauten Bulli für €20.000. Statt diesen zu bezahlen, möchte S aufrechnen.

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Einordnung des Falls

Aufrechnungslage: Fehlende Gleichartigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Als Bürgin hat S gegen A einen Anspruch darauf, dass A sie von der Bürgschaft (§ 765 Abs. 1 BGB) gegenüber der B-Bank befreit (§ 775 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Verschlechtern sich die Vermögensverhältnisse des Hauptschuldners wesentlich, so kann der Bürge verlangen, dass dieser ihn gegenüber dem Gläubiger von der Bürgschaft befreit (§ 775 Abs. 1 Nr. 1 BGB).Da As Vermögensverhältnisse sich nach Übernahme der Bürgschaft deutlich verschlechtert haben, steht S der Befreiungsanspruch zu. Wie der Schuldner die Befreiung bewirkt, obliegt ihm. Sofern er seine Schuld gegenüber dem Gläubiger bewirkt, geht die Bürgschaft mit unter (§ 765 Abs. 1 BGB). Ebenso kann er versuchen, den Gläubiger darum zu bitten, den Bürgen aus der Haftung zu entlassen.
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2. Damit S mit dem Freistellungsanspruch gegen die Kaufpreisforderung aufrechnen kann, müsste eine Aufrechnungslage vorliegen (§§ 387, 390 BGB).

Ja, in der Tat!

Das Bestehen der Aufrechnungslage ist die Grundvoraussetzung für die Aufrechnung. Eine Aufrechnungslage liegt vor, wenn der Aufrechnende eine gegenseitige, gleichartige, fällige und durchsetzbare (Gegen-)forderung besitzt, und die (Haupt-)forderung erfüllbar ist.

3. A und S stehen gegenseitige Forderungen zu.

Ja!

Die Forderungen sind gegenseitig, wenn jede Partei zugleich Schuldner und Gläubiger der anderen ist. Während S gegenüber A einen Anspruch auf Freistellung hat (§ 765 BGB), hat A gegen S einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung (§ 433 Abs. 2 BGB). Beide sind somit sowohl Gläubiger, als auch Schuldner.

4. A und S stehen gleichartige Forderungen zu.

Nein, das ist nicht der Fall!

Gleichartigkeit liegt vor, wenn die Forderungen ihrem Gegenstand nach gleich sind.A hat einen Zahlungsanspruch gegen S. S steht dagegen lediglich ein Befreiungsanspruch zu. BGH: Dieser wandele sich erst dann in einen gleichartigen Zahlungsanspruch, wenn der Bürge gegenüber dem Gläubiger (hier: B) die Schuld des Hauptschuldners tilge und dadurch den Zahlungsanspruch des Gläubigers gegen den Hauptschuldner erwerbe (§ 774 Abs. 1 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

REUS04

Reus04

10.5.2023, 11:54:27

Ich verstehe den Sinn nicht ganz. „Damit S mit dem Freistellungsanspruch gegen die Kaufpreisforderung aufrechnen kann..“ Also will sie weder bürgen, noch den Kaufpreis bezahlen?

Tim

Tim

10.5.2023, 14:58:24

S sieht hier wohl die Gefahr im Rahmen ihrer Bürgschaft infolge der bevorstehenden Insolvenz ihrer Schwester A für die Darlehensschuld aufkommen zu müssen, meint also die 20.000,00 € zahlen zu müssen und möchte deshalb aufrechnen. Von einem Freistellungsanspruch weiß sie womöglich nicht.

Carl Wagner

Carl Wagner

10.5.2023, 20:23:50

Vielen Dank für deine Frage Reus04! Der Knackpunkt des Falles ist, dass S denkt, dass sie die 20.000 € Kaufpreisschuld mit der Darlehensschuld iHv 20.000 € verrechnen kann, weil sie ja für diese birgt. Dieser Gedanke der S ist falsch. Einen Zahlungsanspruch gegen A erwirkt S erst dann, wenn sie die Forderung des Gläubigers befriedigt hat und damit die Forderung auf sie gem. § 774 I 1 BGB übergeht. S müsste die Darlehensforderung der Bank befriedigen (§ 488 I 2 BGB). Dann ginge die Darlehensforderung auf sie über (§ 774 I 1 BGB). Diese könnte S mit der Kaufpreisforderung (§ 433 II BGB) verrechnen, §

389 BGB

. Der Freistellungsanspruch gem. § 775 BGB ist aber nicht unmittelbar auf

Geld

zahlung gerichtet, so dass er nicht gleichartig mit der Kaufpreisforderung ist. Vielleicht rührt da deine Verwirrung her, aber da das der einzige Anspruch der S gegen die A ist, musste man dann in der Falllösung zeigen, woran die Aufrechnung scheitert (Gleichartigkeit). Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

Fabio_specter

Fabio_specter

1.10.2023, 12:58:39

Die Lösung ist auch nach Risikogesichtspunkten gut zu verstehen. Angenommen eine solche Aufrechnung gegen den Befreiungsanspruch wäre möglich, dann hätte die Bank wieder das volle Insolvenzrisiko des A obwohl diese sich davor extra eine Personalsicherheit durch die S eingeholt hat und wahrscheinlich sonst nie den Kredit an A herausgegeben hätte. Nach der Lösung des BGH behält die Bank ihre Sicherheit und auch die S trägt kein besonderes Insolvenzrisiko des A, aufgrund der Sicherungsfunktion der Aufrechnung , da sie dann anschließend gegen die Kaufpreisforderung aufrechnen kann. Demnach sind die Risiken somit am fairsten verteilt. Weiterhin kann man an dem Fall denke ich lernen, das wenn man schon das Risiko einer Bürgschaft eingeht (Bürgen muss man würgen), gut daran tut noch vorher etwas beim Hauptschuldner zu holen, um zumindest dann gegen seinen Anspruch den er gegen einen hat, selbst aufrechnen zu können. Hierdurch könnte man sich als Bürge also besser gegen die Insolvenz des Hauptschuldners schützen.


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