Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Auslegung der Willenserklärung

Anfechtung wegen Inhaltsirrtums – Toilettenpapier–Fall

Anfechtung wegen Inhaltsirrtums – Toilettenpapier–Fall

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schulleiterin K bestellt bei V „25 Gros Rollen“ Toilettenpapier für den Schulbedarf. Auf dem ausgefüllten Bestellschein steht „Gros=12x12“. Bei Anlieferung verweigert K Annahme und Bezahlung der 3.600 gelieferten Rollen. Tatsächlich wollte sie nur 25 Rollen bestellen.

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Einordnung des Falls

Toilettenpapier-Fall: Anfechtung wegen Inhaltsirrtums

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen K und V besteht ein Kaufvertrag über (25 x 12 x 12 =) 3.600 Rollen Toilettenpapier (§ 433 BGB).

Ja, in der Tat!

Der Anspruch des V auf Kaufpreiszahlung (§ 433 Abs. 2 BGB) für 3.600 Rollen setzt einen wirksam geschlossenen Kaufvertrag dieses Inhalts voraus. Das erfordert eine Einigung in Form zweier übereinstimmender Willenserklärungen. Die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) ergibt hier, dass K durch Ausfüllen des Bestellscheins ein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrags über 3.600 Rollen abgegeben hat. Ihr wirklicher Willen, nur 25 Rollen bestellen zu wollen, ist im Rahmen der Auslegung unbeachtlich. Mit der Annahme durch V ist ein Kaufvertrag über 3.600 Rollen wirksam zustande gekommen.
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2. Eine Anfechtung durch K ist ausgeschlossen. Es gilt der Vorrang der Sachmängelgewährleistung (§§ 434ff. BGB).

Nein!

Das Eingreifen der Vorschriften über die Mängelhaftung setzt eine Übergabe voraus. Greifen die Mängelrechte, schließen diese nur die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums (§ 119 Abs. 2 BGB) aus, nicht die Anfechtung wegen Inhalts-/Erklärungsirrtums (§ 119 Abs. 1 BGB) und Täuschung/Drohung (§ 123 BGB), da insoweit unterschiedliche Schutzzwecke verfolgt werden (Weidenkaff, in: Palandt, 77.A. 2018, § 437 RdNr. 53).Es ist nicht zu einer Übergabe gekommen. Daher greifen die Mängelgewährleistungsvorschriften nicht. Es ist kein Anfechtungsgrund ausgeschlossen.

3. K wollte eine Erklärung des Inhalts „25 Gros“ nicht abgeben (Erklärungsirrtum, § 119 Abs. 1 Fall 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Beim Erklärungsirrtum will die Person eine Erklärung dieses Inhalts gar nicht abgeben. Dies ist typischerweise der Fall bei Versprechen, Verschreiben, Vertippen. K hat sich nicht verschrieben oder versprochen. Sie wollte die Erklärung "25 Gros" abgeben.

4. K erklärte, was sie erklären wollte, war jedoch über die Bedeutung ihrer Erklärung im Irrtum (Inhaltsirrtum, § 119 Abs. 1 Fall 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Beim Irrtum über den Erklärungsinhalt (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) entspricht zwar der äußere Erklärungstatbestand dem Willen des Erklärenden, er irrt aber über die Bedeutung der Erklärung. K irrte über die Bedeutung des Begriffes „Gros“ und damit über den Umfang des Geschäftsgegenstandes. Sie unterlag einem Inhaltsirrtum. Inhaltsirrtum: „Der Erklärende weiß, was er sagt, aber nicht, was er damit sagt.“

5. K hätte ihre Willenserklärung auch bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles abgegeben (§ 119 Abs. 1 BGB).

Nein!

Anfechtbar ist die Erklärung nur, wenn der Irrtum für sie ursächlich war. Dies setzt voraus, dass der Erklärende die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung so nicht abgegeben hätte (Ellenberger, in: Palandt, 77.A. 2018, § 119 RdNr. 31). LG Hanau: Hätte K gewusst, dass unter einem „Gros“ 12 Dutzend zu verstehen sind, hätte sie kein Angebot über „25 Gros“ erklärt. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Menge den Schulbedarf über Jahre gedeckt hätte, und im Hinblick auf fehlende Lagerkapazität und die jährliche Haushaltsabrechnung völlig unüblich sei.

6. K hätte insbesondere wegen des Hinweises auf dem Bestellschein „Gros=12x12“ die wahre Bedeutung von „Gros“ kennen können. Diese Fahrlässigkeit schließt ihr Anfechtungsrecht aus.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Frage, ob der Erklärende den Irrtum verschuldet hat, ist für die Anfechtung irrelevant (Ellenberger, in: Palandt, 77.A. 2018, § 119 RdNr. 1). Wird die Anfechtung innerhalb der Frist (§ 121 BGB) gegenüber dem richtigen Gegner erklärt (§ 143 BGB), ist die Willenserklärung und damit auch der Vertrag mit Wirkung ex tunc nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB). Der Anfechtende haftet gegenüber dem Geschäftsgegner jedoch verschuldensunabhängig auf Ersatz des Vertrauensschadens (§ 122 Abs. 1 BGB). Eine Anfechtung der K führt hier zur Nichtigkeit des Kaufvertrags ex tunc (§ 142 Abs. 1 BGB). Trifft ihn ein Verschulden, ist auch die Haftung aus c.i.c. (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) möglich (Ellenberger, in: Palandt, 77.A. 2018, § 122 RdNr. 6).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Edward Hopper

Edward Hopper

14.11.2022, 22:22:32

Bei der c.i.c. . Muss doch 241 abs 2 stehen und nicht 241 abs 1.? Cic betrifft doch immer die nebenleistungspficht

Nora Mommsen

Nora Mommsen

15.11.2022, 11:57:09

Hallo Edward Hopper, ganz richtig. Da war der Absatz einfach in Gänze verschwunden, den haben wir nun ergänzt :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

24.7.2023, 09:14:30

Bestimmt wird es noch woanders vertieft, aber nur zum Zusammen-Denken: auf welchen Posten wäre ein Schadensersatz bei § 122 dann begrenzt? Lediglich auf die Liefer- und Abtransportkosten?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.7.2023, 19:07:36

Hi Pilea, ist eine Willenserklärung nach § 119 angefochten, muss der Erklärende nach § 122 Abs. 1 BGB dem Erklärungsempfänger den Schaden ersetzen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut („

negatives Interesse

“). Das sind hier in der Tat erst einmal die Liefer- und Abtransportkosten. In Betracht kommt aber auch ein entgangener Gewinn, den V nicht realisieren konnte, weil er auf die Gültigkeit des Vertrages vertraute und deshalb an K statt an einen Dritten vertragsgemäß geliefert hat (zB wenn in der Corona-Pandemie plötzlich die Klopapierpreise durch die Decke gehen ;-) ). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SI

silasowicz

4.8.2023, 11:28:44

Ich habe Probleme mit der Formulierung "der äußere Erklärungstatbestand entspricht dem Willen des Erklärenden". Es ist doch gerade nicht so, dass K das will und somit lässt der äußere ETB doch höchstens auf den Willen des Erklärenden schließen und der tatsächliche Wille ist ausschließlich eine Frage des subjektiven Erklärungstatbestands, oder?

EB

Elias Von der Brelie

5.8.2023, 12:42:06

Leider hast du es unter einer späteren unteraufgabe gepostet glaube ich, da ich bei meinem Text diesen Satz nicht finden kann. Da man bei den Aufgaben nicht zurückgehen kann ohne das ganze Kapitel zu wiederholen kann ich auch nicht wirklich nach gucken in welchem Kontext genau der Satz verwendet wurde. Am besten immer unter der Richtigen Unter Aufgabe Posten. Es sei denn ich übersehe hier etwas.

MWA

mwally

24.12.2023, 02:53:19

Sie möchte genau das, was sie gesagt hat, nämlich 25 Gros Toilettenpapier bestellen. Dass sie nicht weiß, was sie damit tatsächlich sagt, führt zur Anfechtbarkeit wegen Inhaltsirrtums. Das ist meiner Ansicht nach schon richtig so.

KAR

Karolin

8.7.2024, 11:51:28

Hallo, ich habe bei der ersten Frage, ob zwischen K und dem Toilettenpapierlieferant (dessen Buchstabe ich vergessen habe) einen Vertag zustande gekommen ist, “Aussage stimmt nicht” genommen, weil ich dachte der Vertrag sei wegen Anfechtung ex-tunc nichtig. Das war dann aber falsch. Habe ich hier Inhaltlich etwas nicht richtig verstanden, oder ist die Frage vielleicht missverständlich Formuliert? Danke!

TI

Timurso

8.7.2024, 12:12:16

Du hast Recht, dass der Vertrag mit der Anfechtung ex-tunc entfällt. Allerdings wurde die Anfechtung vorliegend noch nicht erklärt, vgl. auch die Ausführungen zur letzten Frage. Daher besteht der Vertrag noch. Jedenfalls ist der Fall so angelegt, man soll nur den Anfechtungsgrund prüfen. Man kann aber durchaus argumentieren, dass die Verweigerung von Annahme und Bezahlung eine Anfechtungserklärung ist. Hängt auch davon ab, wer liefert (richtiger Anfechtungsgegner), aber jedenfalls auf dem Bild sieht es so aus, als ob das ein Vertreter der Verkäuferfirma wäre. Man könnte die Frage hier noch etwas deutlicher formulieren, z.B. "Ein Vertrag ist zunächst entstanden."


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