Zivilrecht
Schuldrecht Allgemeiner Teil
Dreipersonenverhältnisse
Fallgruppe: Obligatorische Gefahrtragung - Versendungskauf (§§ 446, 447)
Fallgruppe: Obligatorische Gefahrtragung - Versendungskauf (§§ 446, 447)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V verkauft für €30.000 ein Gemälde an K. Dieser bittet V, das Bild an ihn zu versenden. V beauftragt daraufhin ihren Bekannten B mit dem Transport des Bildes. Auf der Fahrt zu K verursacht B schuldhaft einen Unfall. Das Gemälde wird dabei zerstört.
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Einordnung des Falls
Fallgruppe: Obligatorische Gefahrtragung - Versendungskauf (§§ 446, 447)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Steht K gegen B ein vertraglicher Schadensersatzanspruch zu (§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Steht K gegen B ein deliktischer Schadensersatzanspruch zu (§ 823 Abs. 1 BGB)?
Nein!
3. Kann K von V erneute Lieferung des Bildes verlangen (§ 433 Abs. 1 BGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Muss K an V trotzdem den Kaufpreis bezahlen?
Ja, in der Tat!
5. K kann im Hinblick auf den zu zahlenden Kaufpreis Schadensersatz von V verlangen (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB).
Nein!
6. V ist durch die Zerstörung des Bildes ein ersatzfähiger Schaden entstanden.
Nein, das ist nicht der Fall!
7. K hat keinen Anspruch und V keinen Schaden. Liegt hier auch ein Fall der zufälligen Schadensverlagerung vor?
Ja, in der Tat!
8. Kann K nun direkt gegen B einen Schadensersatzanspruch geltend machen (Anspruch wird zum Schaden gezogen)?
Nein!
9. Kann K von V Abtretung des Schadensersatzanspruches verlangen?
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
melb1995
25.8.2022, 15:56:32
Ich verstehe es nicht ganz . Ich dachte V hat keinerlei Ansprüche
Lukas_Mengestu
20.9.2022, 12:36:38
Hallo melb1995, vielen Dank für Deine Nachfrage :-) Der "Witz" der
Drittschadensliquidationist, dass wir (1) jemanden haben, der zwar einen Anspruch gegen den Schädiger besitzt, aber keinen Schaden hat und (2) einen Geschädigten, dem aber kein direkter Anspruch gegen den Schädiger zusteht. Da B seine Verpflichtungen schuldhaft nicht erfüllt hat bzw. Vs Eigentum beschädigt hat, stehen V also dem Grund nach schuld- und deliktsrechtliche Ansprüche gegen B zu. Zu deren Geltendmachung wird Ks Schaden nun zu den Ansprüchen des V gezogen. Nun kann V entweder selbst gegen B vorgehen und anschließend den erhhaltenen Schadensersatz an K herausgeben oder er tritt seine Ansprüche direkt an K ab, sodass dieser sich mit der weiteren Abwicklung selbst befasst. Ich hoffe, jetzt ist es etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
juramen
26.5.2023, 08:27:52
Ich meine mich aus einer Haussrbeit, daran zu erinnern, dass bei solchen Konstellationen umstritten ist, ob V
tatsächlich die
Schickschulddurch B bewirkt hat. Handelt es sich nämlich bei der Transportperson um einen Bekannten, so könnte dieser im Lager des V stehen, weshalb umstritten ist, ob V der Untergang der Sache wieder zugerechnet werden müsste. Gehen Sachen bei
tatsächlichen Transport unternehmen unter, so hätte K hier einen direkten Anspruch gegen das Transportunternehmen.
Dogu
16.6.2023, 13:30:42
Aber hier wurde V durch den K doch gebeten, die Ware zu verschicken. Wieso sollte aus einer
Schickschulddann eine
Bringschuldwerden, nur weil V den B kennt? Das ist im Zweifel nicht mal dem anderen Vertragspartner bekannt und die Art der Schuld wird zwischen den Vertragspartnern vereinbart. Problematisch wäre mE allenfalls, falls der B notorisch schlecht fährt und das V bekannt ist (sorgfältige Auswahl der Versandperson).
Dogu
16.6.2023, 13:33:12
Dadurch, dass K explizit vom Regelfall der Holschuld abweichen wollte, hat er die Gefahr einer Beschädigung während des Transports durch einen Dritten (s
tatt der Abholung durch ihn selbst) erst selbst geschaffen. Es ist billig, ihm die Folgen der Realisation dieses Risikos zuzuweisen.
ehemalige:r Nutzer:in
28.8.2023, 16:17:28
Ich vermute, dass in Deiner Hausarbeit eine
Schickschuldvereinbart war, ohne dass der Käufer erst explizit um Versendung gebeten hatte, sodass § 447 nicht einschlägig war. Dann kann durchaus diskutiert werden, ob der zufällige Untergang der Sache aufgrund der Bekanntschaft von V und B (Lagertheorie) dem V doch zuzurechnen ist. Im Falle des § 447 erübrigt sich dies aber, wie Dogu sehr schön erklärt hat.
Artimes
9.1.2024, 17:07:51
Ich habe öfter im Kontext der DSL gelesen, dass §
285 BGBANALOG zur Anwendung kommt. Wieso scheidet eine direkte Anwendung aus und wie argumentiert man zu Gunsten der Analogie?
Sassun
22.10.2024, 16:21:31
In diesem Fall scheidet die direkte Anwendung mE nicht aus. § 285 I Var. 2
BGB analogbzw. eine Konstruktion über § 242 BGB /
ergänzende Vertragsauslegunghatte ich bei folgenden zwei Fällen: 1. Einer DSL im Werkvertrag (§ 644 I) 2. Einer DSL im Obhutsverhältnis in beiden diesen Fällen war die Pflicht des Gläubigers nicht unmöglich, sodass § 285 I Var. 2 analog anzuwenden war. Andere Lehrbücher haben eine Konstruktion über § 242 BGB oder über die
ergänzende Vertragsauslegungvorgeschlagen. Einheitlich war aber, dass der Dritte immer eine Kompensation in Form der Abtretung des Anspruchs / Weiterleitung des bereits geleisteten SE erhielt.
Jakob Köhler
24.6.2024, 16:43:56
K kommt hier mit der Leistung des B in Berührung. Es ist auch im Interesse des Gläubigers, dass der Käufer sein Bild bekommt. V sagt ihrem bekannten, dass er etwas zu K bringen soll. Folglich ist die Einbeziehung auch für erkennbar. Und K ist mangels direkter vertraglicher Ansprüche gegen B auch schutzwürdig. Kommt hier folglich ein VSD in Frage?
Jakob Köhler
24.6.2024, 16:47:10
Gemeint ist hier der Liefervertrag zwischen V und B mit Schutzwirkung für K
Sassun
22.10.2024, 16:16:33
mE kommt kein VSD in Frage. Ich (und auch die Literatur, zB Riehm: Schuldrecht:
Drittschadensliquidation(JuS 2016, 462)) finde, dass du das Gläubigerinteresse zu schnell bejaht hast. Mangels Wohl-und-Wehe Konstellation braucht es schließlich ein besonderes Interesse des Gläubigers V daran dass auch der Dritte K von vertraglichen Pflichten im Verhältnis V und B umfasst ist. Der Vertrag müsste spezifisch auf den Schutz des Dritten (also K) zielen. Diese hohe Hürde ist nicht dadurch erreicht, dass der Gläubiger möchte, dass K sein Bild erhält. Zumal der Gläubiger ohnehin gem. § 275 I von seiner Pflicht befreit wird und gem. §§ 447 I (326 II) seinen Anspruch behält. Ihm kann es also (relativ) egal sein, ob K das Bild erhält. Außerdem handelt es sich hier wirklich um das Paradebeispiel einer DSL-Konstellation, einen Abgrenzungsstreit zur VSD würde ich eher bei Obhutsverhältnissen führen. Im Übrigen wäre eine Abgrenzung von VSD zu DSL eine Wertungsfrage in Grenzfällen.
Sassun
22.10.2024, 16:24:29
Es würde mich freuen, wenn im Rahmen des Anspruchs des Gläubigers V gegen den Dritten K die Einrede des § 320 ergänzt wird. Der Anspruch des V gegen K auf Zahlung aus § 433 II würde dann im Gutachtenaufbau so aussehen: I. Bestehen des Anspruchs § 433 II II. Erlöschen § 326 I 1? Grds. [+] wegen § 275 I. Allerdings Geltungserhaltung durch § 447 I. III. Keine Einreden, § 320 Der Anspruch des Dritten aus § 285 I Var. 2 kann dem § 433 II entgegengehalten werden. § 285 I Var. 2 tritt zudem an Stelle des Primäranspruchs ist also
synallagmatisch.
lexspecialia
29.10.2024, 16:55:39
Und zur
Unmöglichkeit§
275 BGBergänzend, dass eine
Konkretisierungerfolgt ist gem. §243 II BGB mit der Übergabe an die Person, die den Transport ausführen sollte .
Sebastian Schmitt
29.10.2024, 17:01:03
Hallo @[Sassun](247789), danke Dir für den guten Hinweis! In der
Tattritt der Anspruch aus §
285 BGBanstelle des ursprünglichen Anspruchs des Käufers auf Eigentumsverschaffung aus § 433 I 1 BGB. Wir haben deshalb jetzt in der Aufgabe in einem Vertiefungshinweis klargestellt, dass dieser Anspruch ebenfalls am
GegenseitigkeitsverhältnisiSd §
320 BGBteilnimmt (näher zB BeckOGK-BGB/Schmidt, 71. Ed, Stand 1.8.2024, § 320 Rn 12). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
LioFlo
22.11.2024, 17:32:13
habe ich richtig verstanden, dass V eigentlich keinen ersatzfähigen Schaden( wegen 447) erlitten hat, die üblichen Voraussetzungen des 823I (oder 280I, 241 II?!) vorliegen und deshalb nach den Grundsätzen der
Drittschadensliquidationder Schaden( eigentlich Ks ) zu V „gezogen“ wird und dann um wieder Gerechtigkeit zu schaffen K eine Abtretung aus 285 zusteht ?