Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Gläubiger- / Schuldnerwechsel

Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB auch bei nachträglicher Übersicherung?

Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB auch bei nachträglicher Übersicherung?

19. Mai 2025

9 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Um den Start ihrer Konditorei zu finanzieren, nimmt K bei Bank B ein Darlehen über €100.000 auf. Zur Sicherheit tritt K an B alle künftig entstehenden Forderung gegen Kunden (Nachname M-Z) ab. Umsatzzahlen mit diesen Kunden stehen noch nicht fest, belaufen sich später aber auf €500.000.

Diesen Fall lösen 78,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB auch bei nachträglicher Übersicherung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es liegt eine anfängliche Übersicherung vor.

Nein!

Eine anfängliche Übersicherung liegt vor, wenn bereits bei Vertragsschluss gewiss ist, dass im Verwertungsfall ein auffälliges Missverhältnis zwischen realisierbarem Wert der Sicherheit und der gesicherten Forderung vorliegen wird und dies auf einer verwerflichen Gesinnung des Sicherungsnehmers beruht. Bei Vertragsschluss kennen K und B den realisierbaren Wert der abgetretenen Forderungen noch nicht, sodass das Vorliegen eines auffälligen Missverhältnisses nicht gewiss ist.
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2. Es liegt eine nachträgliche Übersicherung vor.

Genau, so ist das!

Anders als bei anfänglicher Übersicherung besteht bei Vertragsschluss noch kein auffälliges Missverhältnis. Es entsteht erst nachträglich, indem sich der Umfang der abgetretenen Forderung und zu sicherndes Kreditvolumen auseinanderentwickeln (nachträgliche Übersicherung). Regelmäßig dann, wenn bei Vertragsschluss der Wert der abgetretenen künftigen Forderungen ungewiss ist oder der Zedent Tilgungsleistungen erbringt und somit das Sicherungsbedürfnis des Zessionars abnimmt. Erst nach Vertragsschluss ersichtlich, dass Wert der abgetretenen Forderungen das Fünffache der zu sichernden Darlehenssumme beträgt und ein krasses Missverhältnis vorliegt.

3. Es wird widerleglich vermutet, dass der Sicherungsnehmer übersichert ist, wenn der Nennwert aller abgetretenen Forderungen 150% der gesicherten Forderungen übersteigt.

Ja, in der Tat!

Eine genaue Bewertung des erzielbaren Werts der Sicherung im Verwertungsfall ist meist kaum möglich. Um diesen Beweisproblemen entgegenzuwirken, leitet der BGH aus dem Rechtsgedanken des § 237 S.1 BGB die widerlegliche Vermutung ab, dass eine Übersicherung dann vorliegt, wenn bei Globalzessionen der Nennwert aller abgetretenen Forderungen 150% der gesicherten Forderung übersteigt.

4. Die Sicherungszession ist generell wegen nachträglicher Übersicherung sittenwidrig und damit unwirksam (§ 138 Abs.1 BGB).

Nein!

Die Sicherungszession bleibt trotz nachträglicher Übersicherung wirksam, da sich aus dem fiduziarischen Charakter der zugrundeliegenden Sicherungsabrede eine ermessensunabhängige Freigabeverpflichtung ergibt. Das heißt, der Sicherungsnehmer (Zessionar) muss nicht (mehr) benötigte Sicherheiten freigeben. Der Sicherungsgeber (Zedent) kann somit verlangen, dass die Forderungen rückabgetreten werden, wenn die Deckungsgrenze erreicht ist. Die Freigabeverpflichtung ergibt sich also auch ohne ausdrückliche Vereinbarung im Wege ergänzender Vertragsauslegung (§§ 133, 157, 242 BGB).

5. Die Sicherungszession ist vorliegend unwirksam, da K und B keine bestimmte Deckungsgrenze vereinbart haben.

Nein, das ist nicht der Fall!

Weder eine ausdrückliche Freigaberegelung noch eine bestimmte Deckungsgrenze sind Wirksamkeitsvoraussetzung für die Sicherungsabrede. Wenn keine ausdrückliche Deckungsgrenze geregelt ist, dann liegt diese Freigabegrenze (bezogen auf den realisierbaren Wert der abgetretenen Forderungen) bei 110% der gesicherten Forderung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TO

TomBombadil

29.3.2024, 16:37:12

Hellohello, in der Definition steht, dass der Sicherungsnehmer für eine

Übersicherung

eine sittenwidrige Gesinnung o. Ä. haben muss. Worauf stützt sich diese Gesinnung, wenn noch unbekannt ist, wie hoch die Forderungen sind? Er kann ja schlecht positiv wissen, dass eine

Übersicherung

eintreten wird ...

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

12.2.2025, 09:51:26

Hallo @[TomBombadil](23400), genau aus diesem Grund (unter anderem) liegt eine

anfängliche Übersicherung

ja gerade nicht vor. Wie du richtig sagst, ist ohne Missverhältnis auch keine

verwerflich

e Gesinnung dahingehend denkbar. Für die

nachträgliche Übersicherung

ist dagegen aufgrund der Vermutungsregelung des BGH, die lediglich an objektiven Kriterien anknüpft, nicht zwangsläufig eine

verwerflich

e Gesinnung

erforderlich

. Liebe Grüße, Tim - für das Jurafuchs-Team

Josef K

Josef K

7.5.2024, 12:43:42

Hallo, ich verstehe nicht, wie der BGH auf das Beweisproblem der ungenauen Bewertung d. erzielbaren Werts der Sicherung im Verwertungsfall aus § 237 S. 1 BGB schlauer wird. Einfach dadurch, dass dort für die Grenzen der Sicherung auf den Schätzwert abgestellt wird und 150 Prozent "ungefähr" das Doppelte von 2/3 sind und damit für jeden das Missverhältnis deutlich sein dürfte? Mit Gruß J

BEN

benjaminmeister

4.1.2025, 18:48:39

Das Missverhältnis wird nicht deshalb deutlich, weil 150 % das Doppelte von 2/3 ist, sondern weil 2/3 von 150 % genau dem Nennwert der zu sichernden Forderung entspricht. Da § 237 S. 1 einen Abschlag bis zu 33 % vorgibt, sieht der BGH einen Abschlag, der darüber hinausgeht, als nicht mehr gerechtfertigt an. Beispiel: zu sichernde Forderung - 100 nach der Wertung des § 237 S. 1 wären abzutretende Forderungen des

Schuld

ners iHv. 100 aber nur zu 66 % zu berücksichtigen (Stichwort: Ausfallrisiko). Damit der

Zessionar

auch eine 100% Deckung seiner zu sichernden Forderung nach der Wertung des § 237 S. 1 erhält (nach der nur 66 % des Schätzwertes/Nennwertes der zur Sicherheit abgetretenen Forderungen in Ansatz gebracht werden) bedarf es also abzutretenden Forderungen iHv 150.

JES

Jessica

7.5.2025, 12:19:22

Ich verstehe das nicht, könnte das nochmal jemand erklären, der besser in Mathe ist als ich?

Josef K

Josef K

7.5.2025, 16:29:40

Meine Frage zeugt auch von Unverständnis, deswegen mag sie dich irritiert haben, sorry: Ausgangspunkt für die Frage, ob eine

nachträgliche Übersicherung

vorliegt ist ein Vergleich von einerseits dem Wert der zu sichernden Forderung (hiermit hat § 237 S. 1 noch nichts am Hut, das hatte ich missverstanden) und andererseits dem Wert der sicherungsübereigneten Gegenstände (Forderungen oder Sachen). Der Wert der sicherungsübereigneten Gegenstände ist allgemein gesprochen. Er wird von der Rechtsprechung genauer bestimmt, weil im fraglichen Vergleich zur Ermittlung der

Übersicherung

berücksichtigt werden muss, dass bei einer Versteigerung der sicherungsübereigneten Sachen typischerweise ein geringerer Erlös als ihr geschätzter Marktwert (Schätzwert) erzielt wird. Für das Verhältnis dieser Diskrepanz orientiert sich der BGH an § 237 S. 1, sodass danach vermutet wird, dass bei der Versteigerung der Sicherungsgegenstände ein Erlös erzielt wird, der 2/3 ihres eigentlichen Marktwerts beträgt. Die 2/3 des Marktwerts der SIcherungsgegenstände ergeben den "realistischen" Sicherungswert. Formel:

Übersicherung

= Sicherungswert der sicherungsübereigneten Gegenstände > 100 % des Wertes der zu sichernden Forderungen Sicherungswert = 2/3 d Marktwerts/Schätzwert d Sicherungsgegenstands (analog § 237 S. 1). Der Sicherungsgeber kann dann bei

Übersicherung

verlangen, dass Gegenstände in Höhe der Differenz vom überschüssigen Sicherungswert im Verhältnis zum Wert der zu sichernden Forderung freigegeben werden. Dabei ist es hilfreich die Differenz wieder zurück in den Marktwert zu übersetzen: also den Differenzbetrag x2/3 und dann x3 = Marktwert der freizugebenden Sicherheiten.

JES

Jessica

13.5.2025, 20:35:37

Vielen Dank für die ausführliche Antwort!

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

11.12.2024, 17:04:56

Sollten sich noch mehr Leute hier herumtreiben, die wie ich nichts mit dem immer wiederkehrenden Begriff des "fiduziarischen Charakter" anfangen können: Das meinst einfach nur "treuhänderisch" und meint eine Sicherheit, die unabhängig von der Haupt

schuld

ist. Im Gegensatz dazu steht die akzessorische Sicherheit, die abhängig von der Haupt

schuld

ist.

FW

FW

10.2.2025, 19:42:40

Hi, ich hab den Unterschied nicht ganz verstanden. Warum wird eine Deckungsgrenze ab 110% angenommen und ein Freigabeanspruch entsteht ab 150%?


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