Zivilrecht
Sonstige vertragliche Schuldverhältnisse
Bürgschaft, §§ 765ff. BGB
Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB – Bürgschaft naher Angehörige des Hauptschuldners
Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB – Bürgschaft naher Angehörige des Hauptschuldners
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Ehefrau F möchte sich mit einer Gärtnerei selbstständig machen. Hierzu möchte sie bei der D-Bank ein Darlehen in Höhe von €100.000 zu einem jährlichen Zins von 3% aufnehmen. D verlangt jedoch eine Sicherheit in Form einer Bürgschaft. Ehemann M verbürgt sich für F. M ist Hausmann und verfügt über eigenes Vermögen in Höhe von €2.000.
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Einordnung des Falls
Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB – Bürgschaft naher Angehörige des Hauptschuldners
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Dem Bürgschaftsvertrag kann die Nichtigkeit aufgrund von Wucher entgegenstehen (§ 138 Abs. 2 BGB).
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Dem Bürgschaftsvertrag kann die Sittenwidrigkeit entgegenstehen (§ 138 Abs. 1 BGB).
Genau, so ist das!
3. M ist krass finanziell überfordert.
Ja, in der Tat!
4. M übernahm die Bürgschaft aus emotionaler Abhängigkeit.
Ja!
5. Die D-Bank verfügt über ein Ausnutzungsbewusstsein.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Isabell
7.4.2021, 13:34:16
Das finde ich wenig überzeugend, dass alleine die Ehe emotionale "Abhängigkeit" begründen können soll. Zumal in der Definition dann auch auf die Abhängigkeit nicht mehr eingegangen wird.
Lukas_Mengestu
7.4.2021, 17:34:03
Hallo Isabell, die Zweifel kann ich gut nachvollziehen. Allerdings streitet bei der ruinösen Ehegattenbürgschaft die wiederlegliche
Vermutungdafür, dass die Bürgschaft allein aufgrund der emotionalen Abhängigkeit eingegangen wurde. Nur bei entgegenstehenden Anhaltspunkten (zB starkes Eigeninteresse), wäre diese zu verneinen. Mangels entsprechender Hinweise im Sachverhalt ist hier insofern von einer entsprechenden Abhängigkeit auszugehen. Beste Grüße, Lukas
Isabell
27.5.2021, 16:17:08
Als wiederlegliche
Vermutungkann ich dem Gedanken sehr viel besser Folgen. Kommt wahrscheinlich noch aus vergangenen Zeiten, in denen Ehen noch etwas anders aussahen als heutzutage.
jomolino
7.6.2021, 14:40:45
Unter Maßstab bei der vorletzten Frage ist ein sprachlicher Fehler. Es müsste wohl „anzunehmen“ heißen.
HaRe
1.4.2023, 11:44:29
Ich würde die Intervalle für Zins und Einkommen noch ergänzen. Beim Zinssatz erfolgt die Angabe i.d.R. für ein Jahr, beim Einkommen hingegen für einen Monat. Die Fallangabe lösst sich auch so verstehen, dass M Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 2000 Euro erhält, das wird dann mit monatlichen Einnahmen verstanden. So unüblich ist das nicht. In diesem Fall wäre eine Sittenwidrigkeit fernliegend. Daher rege ich an, den Zinssatz mit 3 % p.a. und das Einkommen mit 2000 Euro jährlich anzugeben.
Lukas_Mengestu
4.4.2023, 13:56:58
Hallo HaRe, lieben Dank für Deinen Hinweis. Wir haben hier ergänzt, dass es um den Jahreszins geht (sonst wäre allein schon der Zinssatz wegen Wuchers nichtig). Im Hinblick auf M gibt der Sachverhalt an, dass er Vermögen (=Erspartes) iHv €2000 besitzt. Es geht also nicht um regelmäßig wiederkehrende Einnahmen. Diese belaufen sich vielmehr auf 0€. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Lorenz
2.11.2024, 12:51:16
Sachverhalt lesen 😉 2000 Vermögen, nicht Einkommen
sar84
10.10.2024, 16:09:09
Hallo, ich konnte es aus der Aufgabe leider nicht ganz entnehmen, aber die Sittenwidrigkeit kann vorliegen bei krasser finanzieller Überforderung, und emotionaler Abhängigkeit. Also das sind zwei, voneinander unabhängige Punkte, oder? Es muss nicht kommulativ vorliegen? Danke und LG
Sebastian Schmitt
14.10.2024, 09:57:31
Hallo @[sar84](230154), die Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB ergibt sich stets aus einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände (statt aller Jauernig/Mansel, BGB, 19. Aufl 2023, § 138 Rn 8). Die in der Literatur zu findenden Fallgruppen erleichtern dabei die Orientierung, sind aber nicht zwingend abschließend und auch nicht dahingehend zu verstehen, dass die Abgrenzung zwischen ihnen immer trennscharf und eindeutig ist. Konkret zu Deiner Frage: IRv sog "Angehörigenbürgschaften" müssen beide Punkte kumulativ vorliegen, sonst haben wir grds keine Sittenwidrigkeit. Fehlt es an der finanziellen Überforderung, kann der Bürge die Forderung ja zumindest in absehbarer Zukunft irgendwie be- und abzahlen und wird dadurch nicht finanziell völlig ruiniert. Fehlt es an der emotionalen Abhängigkeit, gibt es keinen Grund, aus dem der Bürge besonders geschützt werden müsste. Weil er keine (hinreichend) besondere emotionale Beziehung zum Darlehensnehmer hat, kann er sich ja auch schlicht gegen eine Bürgschaft entscheiden. Gerade die Verknüpfung von krasser finanzieller Überforderung und emotionaler Nähe ist das, was problematisch ist. Bei der Abwägung iRv § 138 I BGB sollten wir nie vergessen, dass Menschen jeden Tag für sich selbst finanziell unkluge und teils sogar ruinöse Entscheidungen treffen. Das ist rechtlich grds völlig in Ordnung und von der Vertragsfreiheit gedeckt. Nur in Ausnahmefällen kann und sollte daher die Sittenwidrigkeit des § 138 I BGB ins Spiel kommen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team