Zivilrecht

Sonstige vertragliche Schuldverhältnisse

Bürgschaft, §§ 765ff. BGB

Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB – Bürgschaft naher Angehörige des Hauptschuldners

Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB – Bürgschaft naher Angehörige des Hauptschuldners

3. Dezember 2024

4,8(18.730 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Ehefrau F möchte sich mit einer Gärtnerei selbstständig machen. Hierzu möchte sie bei der D-Bank ein Darlehen in Höhe von €100.000 zu einem jährlichen Zins von 3% aufnehmen. D verlangt jedoch eine Sicherheit in Form einer Bürgschaft. Ehemann M verbürgt sich für F. M ist Hausmann und verfügt über eigenes Vermögen in Höhe von €2.000.

Diesen Fall lösen 79,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB – Bürgschaft naher Angehörige des Hauptschuldners

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Dem Bürgschaftsvertrag kann die Nichtigkeit aufgrund von Wucher entgegenstehen (§ 138 Abs. 2 BGB).

Nein!

Eine Nichtigkeit aufgrund Wucher setzt objektiv ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung voraus. Der Bürgschaftsvertrag ist jedoch ein einseitig verpflichtender Vertrag. Allein der Bürge verpflichtetet sich für eine fremde Verbindlichkeit einzustehen (§ 765 Abs. 1 BGB). Es fehlt an einer Gegenleistung. Ein Missverhältnis kann nicht vorliegen. Allein der M verpflichtet sich für die Verbindlichkeit der F in Höhe von €100.000 einzustehen. Die D-Bank erbringt keine Leistung an den M. Die Auskehrung der Darlehensvaluta basiert auf dem Darlehensvertrag mit F (§ 488 Abs. 1 S. 1 BGB).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Dem Bürgschaftsvertrag kann die Sittenwidrigkeit entgegenstehen (§ 138 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Sittenwidrigkeit ist gegeben, wenn das Rechtsgeschäft nach einer Gesamtwürdigung unvereinbar mit den Wertungen der Rechts- und Sittenordnung ist. Häufig werden Bürgschaften aufgrund persönlicher Beziehungen übernommen und sind durch Unerfahrenheit geprägt. Oftmals geht dies für den Bürgen mit einer finanziellen Überforderung einher. Nutzt der Gläubiger diese Situation in unsittlicher Weise aus, kommt eine Sittenwidrigkeit in Betracht (§ 138 Abs. 1 BGB). Nach dem BGH wird dieses Ausnutzungsbewusstsein widerleglich vermutet, wenn objektiv eine krasse finanzielle Überforderung des Bürgen vorliegt und ein besonderes persönliches Näheverhältnis zum Hauptschuldner besteht. Darüber hinaus gelten die allgemeinen Grundsätze der Sittenwidrigkeit.

3. M ist krass finanziell überfordert.

Ja, in der Tat!

Eine krasse finanzielle Überforderung ist anzunehmen, wenn zwischen dem Umfang der übernommenen Verpflichtung des Bürgen und seiner Leistungsfähigkeit ein grobes Missverhältnis besteht. Ein grobes Missverhältnis ist anzunehmen, wenn der Bürge voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die laufenden Zinsen der Hauptschuld aus dem pfändbaren Vermögen und Einkommen zu tilgen. Maßgebend ist eine wirtschaftliche Prognose im Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschaftserklärung. M übernimmt die Bürgschaft für eine Verbindlichkeit in Höhe von €100.000. Das Vermögen des M beläuft sich auf €2.000. Er verfügt über keine Einnahmequelle. Demnach kann er voraussichtlich nichtmal die Zinsen in Höhe von €3.000 zahlen. Der Umfang der Verpflichtung steht damit in einem groben Missverhältnis zur Leistungsfähigkeit.

4. M übernahm die Bürgschaft aus emotionaler Abhängigkeit.

Ja!

Eine emotionale Verbundenheit zwischen Bürge und Hauptschuldner setzt ein besonderes Näheverhältnis voraus. Ein besonderes Näheverhältnis ist im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, in der Ehe und in Lebenspartnerschaften zunehmen. M bürgt für seine Ehefrau F. Zwischen ihnen besteht damit also ein besonderes Näheverhältnis in Form der Ehe.

5. Die D-Bank verfügt über ein Ausnutzungsbewusstsein.

Genau, so ist das!

Ein Ausnutzungsbewusstsein wird bei finanziellen überfordernden Bürgschaften nahestehender Personen widerleglich vermutet (Beweislastumkehr). Der Gläubiger kann das Ausnutzungsbewusstsein widerlegen. Hierzu muss der Gläubiger ein berechtigtes besonderes Eigeninteresse an der Bürgschaft darlegen und beweisen. Die D-Bank trägt nichts zur Widerlegung der Vermutung vor, sodass die Beweislastumkehr greift. Wegen der umfangreichen Rspr. hierzu lohnt sich in der Klausur ein Blick in den Güneberg: 82.A. 2023, § 138 BGB RdNr. 37ff.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

7.4.2021, 13:34:16

Das finde ich wenig überzeugend, dass alleine die Ehe emotionale "Abhängigkeit" begründen können soll. Zumal in der Definition dann auch auf die Abhängigkeit nicht mehr eingegangen wird.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.4.2021, 17:34:03

Hallo Isabell, die Zweifel kann ich gut nachvollziehen. Allerdings streitet bei der ruinösen Ehegattenbürgschaft die wiederlegliche

Vermutung

dafür, dass die Bürgschaft allein aufgrund der emotionalen Abhängigkeit eingegangen wurde. Nur bei entgegenstehenden Anhaltspunkten (zB starkes Eigeninteresse), wäre diese zu verneinen. Mangels entsprechender Hinweise im Sachverhalt ist hier insofern von einer entsprechenden Abhängigkeit auszugehen. Beste Grüße, Lukas

Isabell

Isabell

27.5.2021, 16:17:08

Als wiederlegliche

Vermutung

kann ich dem Gedanken sehr viel besser Folgen. Kommt wahrscheinlich noch aus vergangenen Zeiten, in denen Ehen noch etwas anders aussahen als heutzutage.

JO

jomolino

7.6.2021, 14:40:45

Unter Maßstab bei der vorletzten Frage ist ein sprachlicher Fehler. Es müsste wohl „anzunehmen“ heißen.

HARE

HaRe

1.4.2023, 11:44:29

Ich würde die Intervalle für Zins und Einkommen noch ergänzen. Beim Zinssatz erfolgt die Angabe i.d.R. für ein Jahr, beim Einkommen hingegen für einen Monat. Die Fallangabe lösst sich auch so verstehen, dass M Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 2000 Euro erhält, das wird dann mit monatlichen Einnahmen verstanden. So unüblich ist das nicht. In diesem Fall wäre eine Sittenwidrigkeit fernliegend. Daher rege ich an, den Zinssatz mit 3 % p.a. und das Einkommen mit 2000 Euro jährlich anzugeben.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.4.2023, 13:56:58

Hallo HaRe, lieben Dank für Deinen Hinweis. Wir haben hier ergänzt, dass es um den Jahreszins geht (sonst wäre allein schon der Zinssatz wegen Wuchers nichtig). Im Hinblick auf M gibt der Sachverhalt an, dass er Vermögen (=Erspartes) iHv €2000 besitzt. Es geht also nicht um regelmäßig wiederkehrende Einnahmen. Diese belaufen sich vielmehr auf 0€. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LO

Lorenz

2.11.2024, 12:51:16

Sachverhalt lesen 😉 2000 Vermögen, nicht Einkommen

SAR84

sar84

10.10.2024, 16:09:09

Hallo, ich konnte es aus der Aufgabe leider nicht ganz entnehmen, aber die Sittenwidrigkeit kann vorliegen bei krasser finanzieller Überforderung, und emotionaler Abhängigkeit. Also das sind zwei, voneinander unabhängige Punkte, oder? Es muss nicht kommulativ vorliegen? Danke und LG

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

14.10.2024, 09:57:31

Hallo @[sar84](230154), die Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB ergibt sich stets aus einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände (statt aller Jauernig/Mansel, BGB, 19. Aufl 2023, § 138 Rn 8). Die in der Literatur zu findenden Fallgruppen erleichtern dabei die Orientierung, sind aber nicht zwingend abschließend und auch nicht dahingehend zu verstehen, dass die Abgrenzung zwischen ihnen immer trennscharf und eindeutig ist. Konkret zu Deiner Frage: IRv sog "Angehörigenbürgschaften" müssen beide Punkte kumulativ vorliegen, sonst haben wir grds keine Sittenwidrigkeit. Fehlt es an der finanziellen Überforderung, kann der Bürge die Forderung ja zumindest in absehbarer Zukunft irgendwie be- und abzahlen und wird dadurch nicht finanziell völlig ruiniert. Fehlt es an der emotionalen Abhängigkeit, gibt es keinen Grund, aus dem der Bürge besonders geschützt werden müsste. Weil er keine (hinreichend) besondere emotionale Beziehung zum Darlehensnehmer hat, kann er sich ja auch schlicht gegen eine Bürgschaft entscheiden. Gerade die Verknüpfung von krasser finanzieller Überforderung und emotionaler Nähe ist das, was problematisch ist. Bei der Abwägung iRv § 138 I BGB sollten wir nie vergessen, dass Menschen jeden Tag für sich selbst finanziell unkluge und teils sogar ruinöse Entscheidungen treffen. Das ist rechtlich grds völlig in Ordnung und von der Vertragsfreiheit gedeckt. Nur in Ausnahmefällen kann und sollte daher die Sittenwidrigkeit des § 138 I BGB ins Spiel kommen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen