Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Anfechtung der Willenserklärung

Anfechtung einer Willenserklärung – Vorrang der Auslegung nach obj. Empfängerhorizont

Anfechtung einer Willenserklärung – Vorrang der Auslegung nach obj. Empfängerhorizont

12. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft beim international tätigen Großhändler V „50 Pound“ Kakao. Bei Lieferung ist K empört und ficht „den Kaufvertrag“ an. Er dachte, er hätte 50 deutsche Pfund, also 500 g, und nicht 50 angloamerikanische Pound à 453 g bestellt.

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Einordnung des Falls

Anfechtung einer Willenserklärung – Vorrang der Auslegung nach obj. Empfängerhorizont

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K und V haben einen Kaufvertrag über 50 angloamerikanische „Pound“ Kakao geschlossen.

Ja, in der Tat!

Vor einer Anfechtung ist die Erklärung des Anfechtenden auszulegen, um zu ermitteln, ob tatsächlich ein Irrtum vorliegt. Der Vertrag ist so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157 BGB). Kommen unterschiedliche regionale Verkehrssitten in Betracht, so geht grundsätzlich die am Ort der Erklärungsabgabe geltende vor. Jedoch ist mit Pound im internationalen Handelsverkehr einheitlich nicht die englische Übersetzung von Pfund (500 g), sondern eine Mengeneinheit von 453 g gemeint. Diese Verkehrssitte hätte K kennen können und müssen. Es kam somit objektiv ein Kaufvertrag über 50 Pound Kakao zustande.
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2. K kann seine Erklärung anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs.1 Alt. 1 BGB).

Ja!

Angefochten wird die Willenserklärung, nicht der Vertrag. Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung, über deren Inhalt im Irrtum war, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage nicht abgegeben hätte (§ 119 Abs. 1 S. 1 BGB; sog. Inhaltsirrtum). K dachte, er gäbe eine Willenserklärung gerichtet auf Abschluss eines Kaufvertrages über 50 Pfund, und nicht 50 Pound, ab. Er war also über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum. Wenn er die 50 Pound für den vereinbarten Kaufpreis nicht gekauft hätte, kann er seine Erklärung gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB anfechten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Amelie

Amelie

20.6.2020, 09:25:50

Bei der letzten Frage zu diesem Fall könnte die Frage schon „Vertrag” und nicht „Erklärung” lauten. Das würde das Konzept, dass man keinen Vertrag anfechtet sondern eine Willenserklärung, vielleicht besser testen. Das Bild passt mE nicht genau zum Text, weil der Mann mit der Krawatte eher für mich der international tätige Großhändler ist, aber das ist natürlich nicht schlimm!

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

21.6.2020, 12:08:13

Hi Amelie, Danke für die Anmerkungen! Wir haben die Personen in der Illustration als „K“ und „V“ gekennzeichnet. Dann dürfte es keine Verwechslungen geben. Wenn wir in der letzten Antwort auf den Vertrag abstellen würden, s

tat

t auf die Willenserklärung, würde das unserer Erfahrung nach ein Teil der Nutzer als Fangfrage wahrnehmen. Die Aussage ließe sich nicht für alle 100% eindeutig beantworten. Denn in der Umgangssprache ist nicht selten davon die Rede, dass ein „Vertrag“ angefochten wird, auch wenn rechtsdogmatisch die einzelne Willenserklärung anzufechten ist.

JCF

JCF

15.7.2024, 17:44:17

Ich fände solche "Fangfragen" nicht schlecht 🤷‍♂️

FABY

Faby

2.4.2022, 17:46:35

Was ist genau mit „Ort der Erklärungsabgabe“ gemeint? K rief ja scheinbar bei V an, wobei nicht hervorgeht, an welchem Ort sich K aufhält 🤔

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.4.2022, 20:51:36

Hallo Faby, bei der Auslegung einer Erklärung kann der Verkehrskreis und eben auch der Ort des Vertragsschlusses berücksichtigt werden. Konkret ging es im Fall aber um die Verwendung einer im internationalen Handel gebräuchlichen Maßeinheit, weswegen letztlich irrelevant war, wo sich die Parteien konkret befanden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Eileen 🦊

Eileen 🦊

26.4.2023, 16:38:32

Bei dem letzten Fall hätte ich wieder einen Erklärungsirrtum gem. 119 I Alt. 2 angenommen, also kein verschreiben, versprechen etc. Wenn das nicht stimmt, hab ich, glaube ich, den Fall davor mit der sorgfältigen Abgrenzung nicht ganz verstanden. Kann mir da jemand helfen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.4.2023, 13:31:25

Hallo Eileen112358, der § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB erfasst den Erklärungsirrtum. Dieser meint verschreiben, versprechen etc., der Erklärende wollte eine "Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben". Vorliegend wollte K aber "Pfund" sagen, er irrte nur über den Inhalt seiner Erklärung gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Er dachte er würde deutsche Pfund sagen und wusste nicht, dass er mit "pound" nach dem objektiven

Empfängerhorizont

von englischen Pfund sprach die eben keinem halben Kilo entsprechen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

SI

silasowicz

6.8.2023, 16:29:18

Ich fände es toll, wenn ihr spätestens in diesem Kapitel auch eine Erläuterung der Abgrenzung von positivem/negativem Interesse einbauen könntet :-)

QUIG

QuiGonTim

11.9.2023, 08:38:52

Dieser Bitte schließe ich mich gerne an. :)

CR7

CR7

20.4.2024, 16:00:09

Same here!

SvzW

SvzW

8.8.2023, 15:11:04

Und woher sollten wissen das im internationalen Handelsverkehr 50 pound = 453g sind? Hab ich noch nie von gehört!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.8.2023, 15:21:35

Hallo SvzW, in der Klausur erhältst Du solche Angaben durch den Sachverhalt. In der Praxis obliegt es Geschäftsleuten sich die notwendigen Informationen zu besorgen und gerade bei der Verwendung von ausländischen/übersetzten Begriffen aufzupassen, dass sie sich auch

tat

sächlich darüber im Klaren sind, was der Begriff für einen objektiven Erklärungsempfänger bedeutet. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JI

jingerale

19.1.2024, 11:44:28

wenn K Kaufmann wäre, würde dies dann die Anfechtung in diesem Fall ausschließen, weil er dann wissen müsste, dass im internationalen Handelsverkehr die englischen Pfund gemeint sind? (vgl. „

tel quel

“-Fall)

JUL

Julian

21.1.2024, 11:32:08

Bei der Anfechtung kommt es nicht auf ein Verschulden an. Selbst bei fahrlässigem Handeln des Anfechtenden ist eine Anfechtung grundsätzlich möglich. Der Anfechtungsgegner hat dann grundsätzlich einen Anspruch aus § 122 I BGB. Eventuell sogar einen Anspruch aus c.i.c.

JI

jingerale

23.1.2024, 13:30:41

Es ist mir bewusst, dass es bei der Anfechtung nicht auf Fahrlässigkeit ankommt… Ich musste nur an den Jurafuchs-Fall denken, in dem zwei Kaufleute einen Kaufvertrag über 10 Kisten Erdbeeren „

tel quel

“ geschlossen haben, der Käufer jedoch nicht wusste, was

tel quel

bedeutet und trotz des vorliegenden

Inhaltsirrtum

s eben wg Handelsbrauch nicht anfechten konnte (oder habe ich den Fall falsch in Erinnerung.. finde den leider gerade auch nicht wieder)

JUL

Julian

24.1.2024, 09:01:57

Ich denke mal der Fall war anders gelagert. Eine Anfechtung wegen fehlender Kenntnis eines bestehenden Handelsbrauchs ist ausgeschlossen. Telquel ist ein solcher Handelsbrauch, welcher nicht angefochten werden kann, nur weil der Kaufmann diesen nicht kennt. Im vorliegenden Fall geht es jedoch um die Bedeutung des Wortes pound. Vorliegend ist kein Handelsbrauch gegeben über den sich der Kaufmann irrt.

JI

jingerale

24.1.2024, 16:50:22

Okay danke, das hilft mir weiter :)

JUL

Julian

24.1.2024, 19:09:53

Sehr gerne, viel Erfolg weiterhin :)

Shark

Shark

15.10.2024, 17:49:25

Im Vorliegenden Fall ist außerdem gar nicht klargestellt, dass es sich um einen Kaufmann handelt.

UT

unvorsätzlicher Totschläger

5.10.2024, 12:34:46

Sollte man hier nicht wenigstens einen (Total-) Dissens ansprechen?

LELEE

Leo Lee

6.10.2024, 12:06:15

Hallo Bausch, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der

Tat

könnte man hier die Dissensregel andenken. Beachte allerdings, dass immer eine Auslegung die primäre Lösung ist und ein Dissens erst dann in Erwägung gezogen werden sollte, wenn die Auslegung nicht fruchtet. Denn wenn der Konsens zumindest so weit reicht, dass er trotz Lücken geltungsfähig ist (weil etwa im Wege der Auslegung bestimmte Ergebnisse erzielt werden können), ein

Totaldissens

ausscheidet. Hier konnte man im Wege der Auslegung eine Lösung erzielen, weshalb ein Dissens insofern nicht nötig war. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom BeckGK-BGB, Möslein § 154 Rn. 15 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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