Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Anfechtung einer Willenserklärung – Vorrang der Auslegung nach obj. Empfängerhorizont
Anfechtung einer Willenserklärung – Vorrang der Auslegung nach obj. Empfängerhorizont
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft beim international tätigen Großhändler V „50 Pound“ Kakao. Bei Lieferung ist K empört und ficht „den Kaufvertrag“ an. Er dachte, er hätte 50 deutsche Pfund, also 500 g, und nicht 50 angloamerikanische Pound à 453 g bestellt.
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Einordnung des Falls
Anfechtung einer Willenserklärung – Vorrang der Auslegung nach obj. Empfängerhorizont
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K und V haben einen Kaufvertrag über 50 angloamerikanische „Pound“ Kakao geschlossen.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. K kann seine Erklärung anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs.1 Alt. 1 BGB).
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Amelie
20.6.2020, 09:25:50
Bei der letzten Frage zu diesem Fall könnte die Frage schon „Vertrag” und nicht „Erklärung” lauten. Das würde das Konzept, dass man keinen Vertrag anfechtet sondern eine Willenserklärung, vielleicht besser testen. Das Bild passt mE nicht genau zum Text, weil der Mann mit der Krawatte eher für mich der international tätige Großhändler ist, aber das ist natürlich nicht schlimm!
Christian Leupold-Wendling
21.6.2020, 12:08:13
Hi Amelie, Danke für die Anmerkungen! Wir haben die Personen in der Illustration als „K“ und „V“ gekennzeichnet. Dann dürfte es keine Verwechslungen geben. Wenn wir in der letzten Antwort auf den Vertrag abstellen würden, statt auf die Willenserklärung, würde das unserer Erfahrung nach ein Teil der Nutzer als Fangfrage wahrnehmen. Die Aussage ließe sich nicht für alle 100% eindeutig beantworten. Denn in der Umgangssprache ist nicht selten davon die Rede, dass ein „Vertrag“ angefochten wird, auch wenn rechtsdogmatisch die einzelne Willenserklärung anzufechten ist.
JCF
15.7.2024, 17:44:17
Ich fände solche "Fangfragen" nicht schlecht 🤷♂️
Faby
2.4.2022, 17:46:35
Was ist genau mit „Ort der Erklärungsabgabe“ gemeint? K rief ja scheinbar bei V an, wobei nicht hervorgeht, an welchem Ort sich K aufhält 🤔
Lukas_Mengestu
5.4.2022, 20:51:36
Hallo Faby, bei der Auslegung einer Erklärung kann der Verkehrskreis und eben auch der Ort des Vertragsschlusses berücksichtigt werden. Konkret ging es im Fall aber um die Verwendung einer im internationalen Handel gebräuchlichen Maßeinheit, weswegen letztlich irrelevant war, wo sich die Parteien konkret befanden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Eileen 🦊
26.4.2023, 16:38:32
Bei dem letzten Fall hätte ich wieder einen Erklärungsirrtum gem. 119 I Alt. 2 angenommen, also kein verschreiben, versprechen etc. Wenn das nicht stimmt, hab ich, glaube ich, den Fall davor mit der sorgfältigen Abgrenzung nicht ganz verstanden. Kann mir da jemand helfen?
Nora Mommsen
27.4.2023, 13:31:25
Hallo Eileen112358, der § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB erfasst den Erklärungsirrtum. Dieser meint verschreiben, versprechen etc., der Erklärende wollte eine "Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben". Vorliegend wollte K aber "Pfund" sagen, er irrte nur über den Inhalt seiner Erklärung gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Er dachte er würde deutsche Pfund sagen und wusste nicht, dass er mit "pound" nach dem
objektiven Empfängerhorizontvon englischen Pfund sprach die eben keinem halben Kilo entsprechen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
silasowicz
6.8.2023, 16:29:18
Ich fände es toll, wenn ihr spätestens in diesem Kapitel auch eine Erläuterung der Abgrenzung von positivem/negativem Interesse einbauen könntet :-)
QuiGonTim
11.9.2023, 08:38:52
Dieser Bitte schließe ich mich gerne an. :)
CR7
20.4.2024, 16:00:09
Same here!
SvzW
8.8.2023, 15:11:04
Und woher sollten wissen das im internationalen Handelsverkehr 50 pound = 453g sind? Hab ich noch nie von gehört!
Lukas_Mengestu
8.8.2023, 15:21:35
Hallo SvzW, in der Klausur erhältst Du solche Angaben durch den Sachverhalt. In der Praxis obliegt es Geschäftsleuten sich die notwendigen Informationen zu besorgen und gerade bei der Verwendung von ausländischen/übersetzten Begriffen aufzupassen, dass sie sich auch tatsächlich darüber im Klaren sind, was der Begriff für einen objektiven Erklärungsempfänger bedeutet. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
jingerale
19.1.2024, 11:44:28
wenn K Kaufmann wäre, würde dies dann die Anfechtung in diesem Fall ausschließen, weil er dann wissen müsste, dass im internationalen Handelsverkehr die englischen Pfund gemeint sind? (vgl. „tel quel“-Fall)
Julian
21.1.2024, 11:32:08
Bei der Anfechtung kommt es nicht auf ein Verschulden an. Selbst bei fahrlässigem Handeln des Anfechtenden ist eine Anfechtung grundsätzlich möglich. Der Anfechtungsgegner hat dann grundsätzlich einen Anspruch aus § 122 I BGB. Eventuell sogar einen Anspruch aus c.i.c.
jingerale
23.1.2024, 13:30:41
Es ist mir bewusst, dass es bei der Anfechtung nicht auf Fahrlässigkeit ankommt… Ich musste nur an den Jurafuchs-Fall denken, in dem zwei Kaufleute einen Kaufvertrag über 10 Kisten Erdbeeren „tel quel“ geschlossen haben, der Käufer jedoch nicht wusste, was tel quel bedeutet und trotz des vorliegenden Inhaltsirrtums eben wg Handelsbrauch nicht anfechten konnte (oder habe ich den Fall falsch in Erinnerung.. finde den leider gerade auch nicht wieder)
Julian
24.1.2024, 09:01:57
Ich denke mal der Fall war anders gelagert. Eine Anfechtung wegen fehlender Kenntnis eines bestehenden Handelsbrauchs ist ausgeschlossen. Telquel ist ein solcher Handelsbrauch, welcher nicht angefochten werden kann, nur weil der Kaufmann diesen nicht kennt. Im vorliegenden Fall geht es jedoch um die Bedeutung des Wortes pound. Vorliegend ist kein Handelsbrauch gegeben über den sich der Kaufmann irrt.
jingerale
24.1.2024, 16:50:22
Okay danke, das hilft mir weiter :)
Julian
24.1.2024, 19:09:53
Sehr gerne, viel Erfolg weiterhin :)
Shark
15.10.2024, 17:49:25
Im Vorliegenden Fall ist außerdem gar nicht klargestellt, dass es sich um einen Kaufmann handelt.
unvorsätzlicher Totschläger
5.10.2024, 12:34:46
Sollte man hier nicht wenigstens einen (Total-) Dissens ansprechen?
Leo Lee
6.10.2024, 12:06:15
Hallo Bausch, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat könnte man hier die Dissensregel andenken. Beachte allerdings, dass immer eine Auslegung die primäre Lösung ist und ein Dissens erst dann in Erwägung gezogen werden sollte, wenn die Auslegung nicht fruchtet. Denn wenn der Konsens zumindest so weit reicht, dass er trotz Lücken geltungsfähig ist (weil etwa im Wege der Auslegung bestimmte Ergebnisse erzielt werden können), ein
Totaldissensausscheidet. Hier konnte man im Wege der Auslegung eine Lösung erzielen, weshalb ein Dissens insofern nicht nötig war. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom BeckGK-BGB, Möslein § 154 Rn. 15 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo